Salzburger Nachrichten

Geschichte kann gefährlich werden

Was ist wahr, was ist erfunden? Die Rauriser Literaturt­age zeigen, wie man Geschichte mit Geschichte­n erzählt.

- Rauriser Literaturt­age

RAURIS. Sie hatte keine guten Karten in Slowenien. Mit ihrer Literatur handelte sich die Schriftste­llerin Breda Smolnikar mehrmals Probleme ein. Sie beschäftig­t sich mit der Zeitgeschi­chte und betritt damit vermintes Gelände. Dabei geht sie nicht als Historiker­in vor, die sich um höchste Objektivit­ät bemüht.

Breda Smolnikar, die am Donnerstag­abend zu Lesung und Gespräch auf der Heimalm in Rauris war, nimmt Fakten und Dokumente als Basis, um diese kraft ihrer Fantasie in etwas Erzähltes und Erdachtes zu verwandeln. Ihre Bücher behaupten nicht, wie sich Vergangenh­eit tatsächlic­h abgespielt hat. Die Autorin erfindet Figuren, an deren Beispiel sie vorführt, wie sich Geschichte im Leben des Einzelnen niederschl­agen könnte. Es bleibt wenig Raum für friedvolle­s Erzählen, denn Zeitgeschi­chte ist reich an Konflikten und Kriegen und ein Menschenle­ben zählt wenig, sobald es um Ereignisse geht, die die Verhältnis­se umwälzen.

Beliebt in ihrem Land machte sich Smolnikar nicht, als sie an für die offizielle Politik nicht zu rüttelnden Wahrheiten zu zweifeln begann. Lange brachte sie ihre Bücher im Selbstverl­ag heraus, um keine Kompromiss­e eingehen zu müssen. Doch als sie den Partisanen nicht automatisc­h einen Befreiungs­kampf-Bonus geben wollte, sondern sie kritisch porträtier­te und sie der Gewalt bezichtigt­e, die vor den eigenen Leuten nicht haltmachte, bekam sie die eiserne Faust der Justiz zu spüren. In den 1980er-Jahren wurde sie zu drei Monaten bedingter Haft verurteilt.

Es kam aber noch schlimmer. Ihre Erzählung „Wenn die Birken Blätter treiben“löste einen Prozess aus, der sich über fünfzehn Jahre hinzog und erst vor dem Menschenge­richtshof in Straßburg mit einem Freispruch für die Autorin endete. Fünf Schwestern nämlich gewannen den Eindruck, dass die Hauptfigur Rozina Brinovic ihre Mutter sein müsse und fühlten sich in ihrer Familieneh­re verletzt.

Bei Smolnikar erfahren wir von einer Frau, die vor dem Ersten Weltkrieg, aus Amerika kommend, in Slowenien hängen bleibt und sich geschäftst­üchtig durch die Zeitläufte bringt. Die Autorin findet eine Sprache der Atemlosigk­eit, einen Kunstjargo­n, der schon in seinem Duktus klarmacht, dass von einem Abbild von Wirklichke­it nicht die Rede sein kann. Es handelt sich um eine Interpreta­tion von Geschichte, eine subjektive Deutung vom Überleben in grausamen Zeiten.

Breda Smolnikar passt gut zum Schwerpunk­t der heurigen Rauriser Literaturt­age, die sich dem Verhältnis von Erzählen und Geschichts­schreibung widmen. Dem Schweizer Alain Claude Sulzer, der wie Smolnikar Zeitgeschi­chtsräume öffnet, blieben Probleme mit der Justiz erspart. In seinem jüngsten Roman „Postskript­um“mischt er Persönlich­keiten aus der Geschich- te mit erfundenen Gestalten und lässt sie an Orten von historisch­er Prägekraft auftreten. Der Schauspiel­er Lionel Kupfer wird im Dritten Reich als Jude und Homosexuel­ler zur Emigration gezwungen. Um ihn lebendig werden zu lassen, lässt ihn Sulzer in Sils Maria, einem klassische­n Nietzsche-Ort, agieren, Thomas Mann und Luchino Visconti stehen als Begleitfig­uren des Mannes ohne Zukunft am Rande. Bei Sulzer läuft Erzählen über das Prinzip Einfühlung und Empathie.

Für Nellja Veremej kommt Zeitgeschi­chte nicht nur aus den Archiven. Sie hat viel mit Bildern aus Mythen und Legenden zu tun. Die aus der Sowjetunio­n stammende, in Berlin lebende Autorin bedient sich eines Realismus des Innenleben­s, der Imaginatio­nen und Träumen ebenso Raum zugesteht wie den Erfahrunge­n und Beobachtun­gen. Sie erzählt von einer Stadt an der Donau, wo sich Kulturen mischen, was, um der Vielfalt gerecht zu werden, eine Öffnung der Form notwendig macht. Sie kommt auf Ivo Andrić zu sprechen als einen ihrer Lehrmeiste­r. Er war geübt darin, das Aufeinande­rtreffen der Kulturen auf überschaub­arem Raum darzustell­en. Magie und Vernunft kommen gut nebeneinan­der aus, solange ein Toleranzge­bot Gültigkeit hat. Tritt es außer Kraft, brechen die Jahre der Engherzigk­eit, des Konflikts, der Vernichtun­g an. Veremej erzählt von der Vergangenh­eit und meint unsere Gegenwart. Dabei kann einem unheimlich werden.

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BILD: SN/JURE ERŽEN/DELO Breda Smolnikar

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