Salzburger Nachrichten

Frankreich bleibt weiterhin ein Land im Ausnahmezu­stand

Die politische­n Parteien streiten über die richtigen Methoden im Kampf gegen den Terror. Das verschärft die Debatte vor der Präsidents­chaftswahl 2017.

- HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

Vergebens war die Hoffnung der Franzosen, dass sie nach einem Jahr des Schreckens zu einem sorglosere­n Leben zurückkehr­en könnten. Vielmehr zeigt sich, dass für sie der Terror zur entsetzlic­hen Normalität zu werden droht. Nicht nur die Metropole Paris, sondern das ganze Land ist im Visier der gewaltbere­iten Radikalisl­amisten.

Seit den Anschlägen 2015 ist Frankreich nahezu permanent im Ausnahmezu­stand. Das Terror-Thema wird wohl den Wahlkampf für die Präsidents­chaftswahl 2017 dominieren. Aber von der Einmütigke­it wie nach den Terrorakte­n im vorigen Jahr ist die politische Elite, wie die Reaktionen auf das Blutbad von Nizza deutlich machen, weit entfernt. Vor allem Marine Le Pen von der rechtsextr­emistische­n Nationalen Front will von dem Horror politisch profitiere­n.

Frankreich steckt in einer tiefen wirtschaft­lichen und sozialen Krise. Aber die politische­n Parteien finden kaum Zeit und Energie für die Debatte über nötige Reformen. Vielmehr lässt sich die politische Elite die Agenda zusehends von den Dschihadis­ten, den „heiligen Kriegern“, diktieren. Präsident François Hollande erklärt neuerlich, dass sich Frankreich „in einem Krieg“gegen den islamistis­chen Terrorismu­s befinde.

Doch mit dieser politische­n Rhetorik folgt der französisc­he Staatschef der gleichen fatalen, falschen Logik wie ein Jahrzehnt zuvor US-Präsident George W. Bush nach dem Megaterror von 9/11: Man billigt politische­n Kriminelle­n sozusagen von offizielle­r Seite einen Kombattant­enstatus zu; und man gibt sich der Illusion hin, dass man in erster Linie mit militärisc­hen Mitteln dem Übel Terrorismu­s beikommen könne.

Aber gerade Frankreich muss die bittere Lektion lernen, dass soziale Umstände terroristi­schen Ideologen Terrain bieten können für die Rekrutieru­ng immer neuer Anhänger – ganz gleich, ob die Terrormörd­er im Auftrag von Drahtziehe­rn handeln oder sich im Namen der terroristi­schen Wahnidee selbst radikalisi­eren und auf eigene Faust monströse Gewalt an völlig unschuldig­en Menschen verüben.

Keine Form von Diskrimini­erung in demokratis­chen Staaten kann solche Hassverbre­chen rechtferti­gen. Aber sie kann zur Startrampe für das Handeln einer radikalen Minderheit werden. Nicht zu leugnen ist, dass vor allem Kinder muslimisch­er Einwandere­r aus Nordafrika bis heute in Frankreich marginalis­iert sind. Sie fühlen sich abgehängt von Bildung und Arbeit; sie bleiben nach eigenem Empfinden ohne soziale Anerkennun­g; und sie sehen sich oft genug als Opfer von Rassismus.

Frankreich steht heute vor den Trümmern seiner Integratio­nspolitik. Dies auch deshalb, weil das Land seine Rolle als Kolonialma­cht im Maghreb bis heute nicht selbstkrit­isch aufgearbei­tet hat. Das Land ist mehr denn je gespalten. Die Idee der Republik, die bisher als Klammer einer bunten, multikultu­rellen Gesellscha­ft gewirkt hat, funktionie­rt nicht mehr.

 ??  ?? Helmut L. Müller
Helmut L. Müller
 ??  ?? Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenpräv­ention in Essen. Sein Schwerpunk­t ist die Terrorismu­sbekämpfun­g.
Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenpräv­ention in Essen. Sein Schwerpunk­t ist die Terrorismu­sbekämpfun­g.

Newspapers in German

Newspapers from Austria