Blick
Vier Fragen an vier Menschen, die als Fremde nach Österreich kamen und nun hier leben. Ihre Antworten zeigen: So unterschiedlich können Innen- und Außensicht sein.
ANJA KRÖLL SN: Welche Erwartungen hatten Sie, bevor Sie nach Österreich kamen? Tova Marr-Spatz: In den Neunzigern habe ich mit meinen Eltern für vier Jahre in Österreich gelebt. Mir gefiel es damals gar nicht (lacht). Mir kam Österreich sehr isoliert vom Rest von Europa vor. Die Geschäfte haben um 18 Uhr zugesperrt, was für mich undenkbar war. Als klar war, dass ich mit meinem Mann nach Österreich gehe, war es zunächst kein gutes Gefühl. Elisa De Podestá Gomes: Ich habe erwartet, Neues zu lernen. Vor allem in meinem Beruf in Linz. Gleichzeitig wollte ich eine neue, andere Kultur kennenlernen und Europa bereisen. Natürlich war mir bewusst, dass ich in ein sehr gut entwickeltes Land ziehe und es auch zu Situationen kommen wird, wo ich diese Situation mit jener in meiner Heimat, Brasilien, vergleichen werde. Ricardo Beltrán Mazorra: Von Österreich kannte ich ehrlich gesagt außer dem Stephansdom, Mozart und dem Wiener Schnitzel vorher nicht viel. Ich wusste aber, dass es in Österreich keine Kängurus gibt (lacht). Als ich meine Frau Kathrin in Kuba kennengelernt habe, erzählte sie mir viel über Österreich. Besonders von ihrer Heimat Salzburg, von der Natur, vom Wintersport und von der Kälte. Nic Kirvida: 2013 kam ich mit meiner Frau nach Österreich, um jene Firma zu besuchen, für die ich künftig arbeiten sollte. Und um gemeinsam zu entscheiden, ob wir uns ein Leben in diesem Land vorstellen können. Wir kannten beide „The Sound of Music“und hatten unsere typischen Klischeevorstellungen: Lederhosen, Jodeln, Wiener Schnitzel und Schnaps. Die erste Nacht haben wir dann im Hotel Stein in Salzburg verbracht und es war großartig. Obwohl sich die Stereotype nicht erfüllt haben. Wir haben die Geschichte, die Ruhe und die Romantik der Stadt genossen. Die Erwartungen an den Rest von Österreich waren also hoch. SN: Wie präsentiert sich Österreich nun, nachdem Sie hier leben? Tova Marr-Spatz: Ich schätze die Schönheit, die Sicherheit und die Kultur. Es gibt so viele Museen. Und Österreich – oder vielmehr Wien – ist multikultureller geworden. Österreich ist nicht mehr nur „Schnitzel“. Ich kann hier genauso mein Curry bekommen. Am besten lässt sich Wien als Metropole beschreiben, die eine unglaublich hohe Sicherheit bietet. Diese Balance ist selten. Elisa De Podestá Gomes: Ich habe bereits viel über die österreichische Kultur gelernt. Ich spreche Deutsch, was für die Integration entscheidend ist. Es ist faszinierend, wie dieses Land funktioniert. Die Organisation, das Vertrauen in die Menschen, der öffentliche Verkehr und die punktgenauen Fahrpläne. Am meisten schätze ich, dass ich mich überall frei bewegen kann, weil ich mich sicher fühle. Was mich ein wenig verängstigt, ist, wie viel die Behörden über ihre Bürger wissen. Ich hoffe immer, dass diese Informationen für gute Zwecke genutzt werden. Was mich schwer enttäuscht, ist, wie viele Menschen in Österreich rauchen und dass es nach wie vor in Lokalen erlaubt ist. In Kanada oder Brasilien ist das undenkbar. Ricardo Beltrán Mazorra: Österreich ist reich an Diversität, ob bei Kulturen oder Religionen. Die Natur ist sehr schön. Es gibt vieles, das mir sehr gut gefällt, aber auch Dinge, die nicht nur neu für mich waren, sondern auch immer schwer zu akzeptieren sein werden. Der Lebensrhythmus und die volle Konzentration auf die Arbeit etwa. Man hat viel weniger Zeit für seine Familie und für sich selbst als in Kuba. Nic Kirvida: Wir lieben es. Österreich ist unsere Heimat und in vielen Punkten besser als die USA. Am Anfang waren wir schockiert, dass am Sonntag alle Geschäfte geschlossen sind, aber mittlerweile schätzen wir die klare Trennung von Arbeit und privatem Leben. Dann das Gesundheitssystem. Als wir einige Wochen in Österreich waren, haben wir herausgefunden, dass meine Frau schwanger ist. Das hat uns gezeigt, wie großartig die Gesundheitsversorgung ist. Ebenso der öffentliche Verkehr. Was ungewohnt war, ist die reservierte Art der Österreicher. Amerikaner sind offener. Sie lachen oder grüßen, auch wenn sie dich nicht kennen. SN: Was funktioniert in Österreich besser als in Ihrem Heimatland? Tova Marr-Spatz: Der Preis für Alkohol (lacht). Im Ernst: Das öffentliche Verkehrssystem ist viel besser als in Kanada. Und auch die kulturellen Güter, oder besser gesagt deren Schutz. Denkmalschutz, das ist in Kanada ein Fremdwort. Elisa De Podestá Gomes: Generell: Alles, was eine mittel- bis langfristige Planung benötigt, funktioniert in Österreich viel besser als in Brasilien. Es ist faszinierend, wie viel und wie viel im Voraus in Österreich geplant wird. Nicht nur für behördliche Dinge, auch für Urlaube oder Tischreservierungen. Hinzu kommt der öffentliche Verkehr, das soziale System, Schulen. Wie die Gesellschaft mit Kindern umgeht. Damit dieses System funktioniert, müssen auf der anderen Seite hohe Steuern gezahlt werden. Aber dafür erhalten die Bürger etwas Großartiges zurück. Ricardo Beltrán Mazorra: Besser sind jedenfalls Kommunikationsmittel wie Handy und Internet und öffentliche Verkehrsmittel. Der Service in der Gastronomie ist viel besser und es gibt auch viel mehr Produkte. Schlechter als in Kuba ist, dass man weniger Freizeit hat. Leute, die sich nicht kennen, begrüßen sich nicht und treten nur wenig in Kontakt. Besonders in Wien starrt jeder in der Straßenbahn vor sich hin, anstatt miteinander zu sprechen. Kuba ist viel lebendiger. Man muss die Leute nicht kennen, um gemeinsam Spaß zu haben, wenn man z. B. auf den Bus wartet. Man hat auch keine Angst vor fremden Menschen. In Österreich werde ich schon oft komisch angesehen. Nic Kirvida: In Amerika haben wir zwei Wochen Urlaub. In Österreich sind es fünf. Ich habe das Gefühl, dass die Österreicher für Erfahrungen und Erinnerungen leben. In Amerika geht es mehr um den Konsum – ein größeres Haus, ein neues Auto, ein neues Boot. Das Gesundheitssystem ist um Meilen besser als jenes in Amerika. Öffentlicher Verkehr ebenso. SN: Was würden Sie sich von Österreich wünschen? Tova Marr-Spatz: Ich bin Mutter eines fünfjährigen Sohnes mit Autismus und gerade dabei, ein Zentrum für Autismus aufzubauen, weil es ein Albtraum ist, schnell und ohne Bürokratie die notwendige Unterstützung zu erhalten. Im Vergleich zu anderen Ländern ist es in Österreich unglaublich schwer, als Mutter Vollzeit zu arbeiten. Elisa De Podestá Gomes: Besseres Wetter (lacht). Vielleicht ein wenig mehr Offenheit der Menschen. Ricardo Beltrán Mazorra: Das Wort Stress abzuschaffen wäre sehr schön. Ich hätte gern mehr Zeit für Familie und Freunde – mehr Zeit, um zu leben. Und ganzjährig die karibische Sonne wünsche ich mir auch. Dann wären die Leute mehr draußen und offener. Nic Kirvida: Österreich ist sehr bürokratisch. Das macht es manchmal schwierig, Dinge rasch zu erledigen. Manchmal wäre es angenehm, längere Öffnungszeiten zu haben. Und die Steuern in Österreich sind sehr hoch. In Amerika ist es leichter, als Unternehmer durchzustarten.