IS-Milizen rückten kampflos ab
Russland zieht angeblich der Türkei eine Grenze.
Die Einnahme von Dscharablus durch die türkische Armee und syrische Rebellengruppen erfolgte nach Erkenntnissen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kampflos. Die Milizen des „Islamischen Staats“(IS), die die nordsyrische Grenzstadt seit drei Jahren kontrollierten, seien bereits zu Wochenbeginn abgezogen. Der IS wurde rechtzeitig über die Absichten Ankaras in Kenntnis gesetzt und konnte seine Stellungen in aller Ruhe räumen.
„Die ganze Operation ist ein abgekartetes Spiel“, vermuten Beobachter: Nicht die Terrormilizen, die Ankara über Jahre an seiner Südgrenze geduldet und gefördert hatte, seien das Ziel der Offensive „Schutzschild Euphrat“gewesen, sondern die kurdischen Volksverteidigungsmilizen (YPG). Nach der Einnahme der nordsyrischen Stadt Manbidsch zu Beginn des Monats fehlten den syrischen Kurden nur noch 500 Quadratkilometer, um ihren Traum von einem auch zusammenhängenden Kurdenstaat an der Grenze zur Türkei zu verwirklichen. Dass ein solcher Staat, den die Kurden „Rojava“(West-Kurdistan) nennen, für Ankara eine absolute Horrorvorstellung ist, weiß die YPG-Führung sehr genau. Dennoch wurde die Überquerung des Euphrat, der als rote Linie für Ankara gilt, angeordnet, um die vom IS gehaltene Stadt Manbidsch zu befreien. Ohne die Unterstützung der amerikanischen Luftwaffe wäre das nie möglich gewesen. Die Signale aus Washington waren eindeutig: 74 Tage lang bombardierten USKampfjets die IS-Hochburg, Spezialeinheiten am Boden lieferten die Zielkoordinaten. Doch am Mittwoch stellte sich US-Vizepräsident Joe Biden an die Seite des NATOPartners Türkei und forderte die YPG auf, Manbidsch zu räumen und sich auf das Ostufer des Euphrat zurückzuziehen.
Die Kurden fühlen sich verraten. Internationale Experten werfen ihnen dagegen vor, „ihre Karten überreizt und die US-Unterstützung überschätzt zu haben“. „Es gehört zu den goldenen Regeln der Geopolitik, dass jede kurdische Armee in jeder Generation zumindest ein Mal von den Großmächten aufs Kreuz gelegt wird“, sagte der britische Politologe Alexander Clarkson. Das bedeute aber nicht, dass die syrischen Kurden von den USA im Stich gelassen würden. Jedoch müssten sie „Kompromissbereitschaft“zeigen und die Weisungen der USA befolgen. Schließlich wurde auch die Türkei über ihre Limits informiert, weiß Fabrice Balanche vom Washingtoner Institute for Near East Policy: „Stoßen die Türken oder Verbündeten weiter als 15 Kilometer nach Süden vor, werden sie von Russland angegriffen.“