Neue Blicke auf Tanzpionierin
In der Camera Austria geht es um Fake und Fälschung und die Ausstellung „body luggage“widmet sich der Migration von Gesten und dokumentiert das Schicksal einer Tänzerin.
GRAZ. Ihre jüdische Abstammung zwang sie 1939 zur Flucht aus Österreich. Die expressionistische Tänzerin, Tanzlehrerin und Choreografin Hilde Boman-Behram, besser bekannt unter dem Künstlernamen Hilde Holger, wählte Indien für ihr Exil, wo sie Elemente des klassischen indischen Tanzes in ihre Arbeit integrierte. Holger, die immer wieder auch Tanzperformances im öffentlichen Raum durchführte, wurde in ihrer Neoheimat zu einer Pionierin des modernen Tanzes: Export von Körpersprache.
In der steirischen herbst-Ausstellung „body luggage – Migration von Gesten“wird dankenswerterweise auf die hierorts weitgehend vergessene Lebensgeschichte von Hilde Holger (1905–2001) verwiesen. Die faszinierende Künstlerin setzte in Bombay, wo sie 1941 eine Tanzschule eröffnete, ihre AusdruckstanzExperimente, ergänzt mit indischen Bildern und Themen, fort. Für Zasha Colah, die aus Indien stammende Kuratorin der herbst-Ausstellung, ist dies exemplarisch: „Durch Ortswechsel, oft über große Distanzen hinweg und unter prekären Bedingungen, treffen Menschen verschiedener Herkunft aufeinander – und damit auch das, was sie bei sich tragen, deren Erinnerungen, Ideen und Geschichten.“Colah präsentiert in Graz Tanzfotos, aber auch private Briefe, choreografische Notizen von Hilde Holger, Zeitungsausschnitte und weckt die Lust, sich mehr mit dieser Weltbürgerin zu beschäftigen.
„Körpersprache/Bodylanguage“: So lautete der Titel einer legendären herbst-Ausstellung im Jahr 1973, bei der Horst Gerhard Haberl unter anderem Arbeiten von Arnulf Rainer, Valie Export, Bruce Nauman und Vito Acconci zeigte. Ging es damals um das expressive Ausloten der eigenen Körperlichkeit, so thematisiert 43 Jahre später die Schau „body luggage“im Grazer Kunsthaus die Bewegung von Körpern im Sinne von Migration. Das Motto dabei lautet: „Das einzige Gepäck, das wir immer mit uns tragen, ist unser Körper.“Das unterstreicht etwa der burmesische Künstler Htein Lin, der als politischer Gefangener Performances entwickelt hat.
Nur mit seinem Körper ironisiert er Bestrafungen der Gefangenen und verwandelt das, was manche als „Hölle auf Erden“empfanden, in eine Art schwarze Komödie. Das Grauen schlägt um in Humor. Besonders sehenswert ist die Performance „The Fly“, bei der Htein Lin auf einem Stuhl sitzt. Simon Wachsmuth wiederum knüpft in seinem Beitrag an das Schicksal von Hilde Holger an, thematisiert die Migration von Tänzern aus Europa in der dunklen Zeit faschistischer Terrorregime.
Der Enkel einer Tänzerin zeigt im – von der eigenen Familiengeschichte beeinflussten – Video „Qing“, wie sehr sich auch die Bedeutung von Gegenständen – ein Teeservice – durch Prozesse der Migration verändern kann. Die Konfrontation von historischen Beispielen und zeitgenössischen Positionen funktioniert, zahlreiche Film- und Videobeiträge (u. a. von der Inderin Padmini Chettur oder der amerikanisch-burmesischen Künstlerin Chaw Ei Thein) stellen außereuropäische Zugänge vor. Die einzige Malerei der Ausstellung stammt von Portia Zvavahera aus Simbabwe: „Embraced and Protected in you“. Das großformatige Werk zeigt geheimnisvolle gesichtslose Frauen mit ausladenden, tanzähnlichen Bewegungen in einer dunklen, albtraumhaften Szenerie. „Im Tiefschlaf war ich Teil einer geistigen Schlacht, die ich nicht gewinnen konnte“, sagt die Künstlerin. Die Gesten aus der Welt des Traums sind vielsagend.
Räumlich direkt anschließend zum Space02 des Grazer Kunsthauses zeigt die Camera Austria eine Personale des österreichischen Fotografen Markus Krottendorfer. Der 40-Jährige begibt sich in der Serie „At New Moon Tomorrow“auf die Spuren einer eurozentristischen Weltbeschreibung, die mitunter an der Realität vorbeischrammte. Gemeint sind etwa die um 1900 entdeckten „Kong-Berge“, die – obwohl sie nie existierten – auf Landkarten aufschienen.
Ausgehend von diesen und anderen Fiktionen präsentiert er eine Reisefotografie, die das Publikum im Unklaren darüber lässt, welche Wirklichkeit das Dargestellte repräsentiert. Analoge Farbfilterfotografien könnten den „Originalschauplatz“der geografischen Flunkerei zeigen. Oder auch nicht. Das Konzept, Fragen der Täuschungen und manipulativen Fälschung durch Bilder zur Diskussion zu stellen, erhellt sich nur über erklärende Texte. Die Vermittlungskompetenz in der Camera Austria erscheint ausbaufähig. Ausstellungen: