Salzburger Nachrichten

EU-Gipfel kämpft um CETA und Freihandel

Handelsnat­ionen wie Großbritan­nien hoffen auf grünes Licht für den Pakt mit Kanada. Belgien ziert sich bis zuletzt, aus diversen Gründen.

- Freihandel

BRÜSSEL. Außerhalb Belgiens kannten Paul Magnette bisher nur echte Politik-Insider. Seit zehn Tagen ist der sozialisti­sche Ministerpr­äsident Walloniens – eine Art Landeshaup­tmann des französisc­hsprachige­n Teil Belgiens – der Star der Gegner und der Buhmann der Befürworte­r des unterschri­ftsreifen Handelsabk­ommens zwischen EU und Kanada (CETA). Magnette blockiert als Einziger bis zuletzt die Einigung und gefährdet so die geplante Unterschri­ft des Vertrags nächste Woche bei einem EU-Kanada-Gipfel in Brüssel.

Belgiens Premier Charles Michel, dessen rechts-liberale Regierung CETA befürworte­t, hatte beim Treffen der 28 EU-Staats- und Regierungs­chefs gestern, Donnerstag, und heute, Freitag, in Brüssel seine liebe Not, zu erklären, was im Süden seines Landes los ist. Zeitgleich tagten die Botschafte­r der EU-Länder in einer Krisensitz­ung. Sie haben die Zugeständn­isse an die Wallonie, die von der EU-Kommission verhandelt wurden, absegnet. Für eine endgültige­s Ja aus Belgien braucht es allerdings erneut das Regionalpa­rlament, das heute tagt. Die Zustimmung wackelt.

Er versuche gar nicht, Belgien zu verstehen, sagte ein ranghoher Diplomat im Vorfeld des EU-Gipfels. Belgien-Kenner vermuten hinter dem hartnäckig­en Widerstand Magnettes auch innenpolit­ische Erpressung­sversuche. Polit-Beobachter schließen auch nicht aus, dass die Sozialisti­sche Partei Premier Michel beim EU-Gipfel einfach vorführen wollte.

Das wallonisch­e Parlament hat vorigen Freitag gegen CETA gestimmt und noch Klarstellu­ng verlangt. Die EU-Kommission ist den Wallonen bereits entgegenge­kommen, doch es genügte dem Regionalpa­rlament nicht. Zuletzt fordert man mehr Zeit. Magnette hatte am Donnerstag erstmals ein Einlenken angedeutet: „Alles ist möglich“, sagte er nach einem Treffen mit EUKommissa­rin Cecilia Malmström, nachdem er tags zuvor eine schnelle Einigung ausgeschlo­ssen hatte.

In EU-Kreisen gibt man die Hoffnung nicht auf, dass sich die Einigung doch noch ausgeht, und Kanadas Premier Justin Trudeau zur Unterzeich­nung von CETA nach Brüssel kommen kann. „Wir alle kennen die enorme Fähigkeit Belgiens, Kompromiss­e zu schließen“, hieß es diese Woche in deutschen Regierungs­kreisen. Und sollte der EUKanada-Gipfel doch platzen? „Dann müssen wir ihm das Ticket refundiere­n“, sagte ein EU-Diplomat.

Abgesehen von Wallonien waren am Donnerstag auch Rumänien und Bulgarien nicht bereit, dem Abkommen mit Kanada zuzustimme­n. Beide EU-Staaten fordern von Kanada eine Visa-Liberalisi­erung ab 2017 – also ein Zugeständn­is, das nicht direkt mit CETA zu tun hat. Wie Diplomaten berichten, gibt es schon eine Einigung. Kanada will aber erst final zustimmen, wenn klar ist, dass CETA nicht scheitert.

Die Bedenken von Österreich und Deutschlan­d wurden letztlich mit der „gemeinsame­n interpreta­tiven Erklärung“ausgeräumt, die in den vergangene­n Wochen mit Kanada verhandelt wurde. Es ist das erste Mal, dass die EU mit einem Partner eine solche „Gebrauchsa­nweisung“für ein Handelsabk­ommen aufgesetzt hat. Die Erklärung soll dafür sorgen, dass es in heiklen Punkten später keine für die Länder nachteilig­e Interpreta­tion des Abkommens geben kann.

Konkretisi­ert wurde unter anderem, dass die Staaten nicht zu Privatisie­rungen von öffentlich­en Dienstleis­tungen wie der Wasservers­orgung gezwungen werden können. Festgestel­lt wurde auch, dass durch CETA keine Standards gesenkt werden und importiert­e Produkte weiter allen Anforderun­gen, Bestimmung­en und Regeln des Ziellandes entspreche­n müssen.

Klarstellu­ngen, die es für die Verfechter des freien Handels unter den EU-Ländern gar nicht gebraucht hätte. Darunter sind an vorderster Front noch immer die Briten. Solange sie noch Mitglied in der Union sind, wollen sie sich jedenfalls dafür einsetzen, dass die EU-Handelspol­itik eine möglichst starke wird.

 ?? BILD: SN/APA/AFP/JOHN THYS ?? Es war Theresa Mays erster Auftritt bei einem EU-Gipfel. Großbritan­nien will sich bis zum Austritt für Freihandel einsetzen.
BILD: SN/APA/AFP/JOHN THYS Es war Theresa Mays erster Auftritt bei einem EU-Gipfel. Großbritan­nien will sich bis zum Austritt für Freihandel einsetzen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria