Die schwierige Geburt der neuen Schule
Die Schulen erhalten mehr Eigenverantwortung, die Direktoren dürfen sich ihre Lehrer aussuchen – und die komplizierte alte Schulbürokratie weicht einer komplizierten neuen Schulbürokratie.
Die am 17. November 2015 von der Koalition als „fast geiles“(© Harald Mahrer) Ergebnis groß präsentierte Bildungsreform soll in den nächsten Tagen endlich um ein fertiges Paket zur Schulautonomie bereichert werden. Der Begutachtungsentwurf des von Ministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) zum Kern der Reform erwählten Schulautonomiepakets könnte nach zähem Ringen Ende nächster Woche präsentiert werden.
Für das Schulautonomiepaket sind Änderungen in 32 Bundesgesetzen und 400 Novellierungsanordnungen nötig. Und was bringt es den Schulen?
Neuer Unterricht. Die Entscheidungen über geänderte Öffnungszeiten, Klassengrößen, Teilungszahlen, neue Unterrichtsformen oder das Abgehen von der 50-Minuten-Stunde werden an den Schulen oder Schulverbünden fallen.
Neue Verwaltung. Bis zu acht Schulstandorte sollen zu Schulverbünden („Clustern“) zusammengefasst werden können. Derzeit haben etwa 77 Prozent aller Pflichtschulen weniger als 200 Schüler.
Neue Leiter. Schulleiter, die nur mehr für fünf Jahre bestellt werden, sollen künftig wesentlich gestärkt werden, sich ihre Lehrer aussuchen dürfen, Leistungsvereinbarungen mit der Schulaufsicht abschließen, aber auch viel stärker für Ergebnisse verantwortlich sein. An der Spitze der Cluster steht ein „Schulclusterleiter“mit eigenem Sekretariat.
Über die umstrittenen Gesamtschul-Modellregionen wurde zuletzt gar nicht mehr verhandelt. Zum Ärger der Grünen. „Für uns ist jede Verhandlung zur Schulautonomie auch eine Verhandlung zum Thema Modellregionen, weil das eine das andere bedingt“, sagt der grüne Bildungssprecher Harald Walser. Ministerin Hammerschmid kündigte diese Woche an, als nächsten Schritt die Modellregionen angehen zu wollen.
Auch die Eltern sind nicht wirklich zufrieden. Der Präsident des Bundeselternverbands, Gernot Schreyer, warnt vor der Gefahr, dass das Autonomie- zum Sparpaket werde. Auch ist er dagegen, dass die Eltern bei der Entscheidung über Klassengrößen und Teilungszahlen nicht mehr mitstimmen dürfen. Man sei eindeutig für mehr Autonomie am Standort, sagte er den SN. Entscheidend sei aber, wer die Entscheidungen am Standort treffe. „Uns ist wesentlich, dass die schuldemokratischen Elemente, die es bisher gab, erhalten bleiben.“Die Gewerkschaft bleibt kritisch. „Wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen“, sagt Lehrergewerkschafter Paul Kimberger. Die Schulleitungen zugunsten der Clusterbildung wegzurationalisieren sei für die Gewerkschaft nicht vorstellbar. Und wenn es zu keiner Absicherung der Klassenschülerhöchstzahlen und Teilungszahlen komme, werde es keine Zustimmung der Gewerkschaft geben. Schließlich gebe es, wenn Klassenschülerhöchstzahlen wegfielen, ungeahntes Einsparungspotenzial. Das Ministerium verweist darauf, dass Einsparungen und Synergieeffekte, die sich durch die Autonomie an den Schulen oder Schulclustern ergeben, ausschließlich den Schulstandorten zugutekommen.
Und wie sieht die neue Schulbürokratie aus? Kompliziert. Bei den Bildungsdirektionen der Länder, die zentraler Teil des Autonomiepakets sind, soll dem Vernehmen nach ein Kompromiss zwischen Ministerium und Ländern erzielt worden sein. Hauptknackpunkt des Erstentwurfs aus 2015 war der Umstand, dass viele Kompetenzen in Wien gebündelt werden sollten. Die Länder leisteten Widerstand. Obwohl auch der Rechnungshof darauf drängte, dass die Schulbehörden in den Ländern Bundesbehörden werden und der massive Einfluss der Länder abgestellt wird, kam nun letztlich eine sehr komplizierte Kompromisskonstruktion heraus. Die neuen Bildungsdirektionen, die dem Bund mehr Einblick verschaffen, die Schulverwaltung praktikabler machen und eine gewisse Entpolitisierung bringen sollten, werden nun wieder eine gemeinsame Behörde mit einem Bundesstrang und einem Landesstrang sein. Im Pflichtschulbereich geht die Weisungskette weiter zum Land, bei den Bundesschulen zum Ministerium. Der Ländereinfluss bleibt erhalten, der Bund erhält aber immerhin deutlich mehr Möglichkeiten, über die Schulaufsicht auf die Pflichtschulen steuernd einzuwirken. Und durch zentrale Verrechnung auch der Landeslehrer über das Bundesrechenzentrum soll das Ministerium künftig auch viel mehr Einblick erhalten, wohin die Milliarden, die der Bund den Ländern bisher für die Pflichtschulen „blind“überwiesen hat, fließen.
Eine „entpolitisierte“Kommission, die sich aus zwei vom Bund und zwei vom Land nominierten Mitgliedern und einem Experten zusammensetzt, soll den geeignetsten Bildungsdirektor auswählen. Die politischen Posten der Landesschulratspräsidenten und die nach den Mehrheitsverhältnissen im Land besetzten Landesschulratskollegien werden abgeschafft. Zudem dürfte künftig der bisherige Landesschulratsdirektor zum Leiter des inneren Dienstes und der bisherige Landesschulinspektor Leiter des pädagogischen Dienstes der Bildungsdirektionen werden.
Fix ist freilich noch nichts: „Mit uns ist es nicht ausverhandelt. Und uns werden sie brauchen, weil das eine Zweidrittelmaterie ist“, sagt der grüne Bildungssprecher Walser. Die „Zwitterbehörde“aus Bund und Land hält Walser für „sehr problematisch“, weil weiter zwei Zuständigkeiten bestünden. Auch sei nicht gewährleistet, dass es eine „saubere, klare Struktur“gebe, die politische Gestaltungsmöglichkeiten eröffne, reine parteipolitische Einflussnahme aber hintanhalte.