Jagen statt Schulbank drücken
Sie ist die beste Lehrerin der Welt: Maggie MacDonnell will junge Inuit-Ureinwohner aus dem Teufelskreis von Armut und Gewalt befreien. Ihre Methoden sind ungewöhnlich.
Die kleine Gemeinde Salluit ist ein entlegener Ort hoch im arktischen Norden von Kanada. Eine befestigte Straße dorthin gibt es nicht, nur eine Flugpiste aus Schotter mitten in der Tundra. Wenn Nebel über der Bucht hängt oder ein Schneesturm tobt, gibt es oft tagelang keinen Weg hinein oder hinaus – fast wie am Ende der Welt.
Auch sonst ist das Leben harsch für die rund 1400 Bewohner von Salluit. Die Temperaturen fallen im Winter auf minus 25 Grad Celsius. Viele Familien leben zusammengepfercht in kleinen Holzhütten oder Containern. Weil es nicht genügend Betten für alle gibt, übernachten manche Kinder schon mal auf dem Küchentisch. Die Selbstmordraten unter Jugendlichen sind bis zu elf Mal höher als im Durchschnitt in Kanada. „Wenn meine Schüler morgens ins Klassenzimmer kommen, sind sie oft traumatisiert. Also sind erstmal Entspannungsübungen angesagt“, erzählt Maggie MacDonnell den SN. Sie ist Lehrerin in der Arktis, zuletzt auch in Salluit. Dort setzt sich die 36-Jährige für die Zukunft der jungen Menschen ein. Für ihren Einsatz wurde sie vergangene Woche in Dubai mit dem renommierten „Global Teacher Prize“als beste Lehrerin der Welt ausgezeichnet. Die Pädagogin stammt aus der kanadischen Provinz Nova Scotia und hat lange in Afrika gearbeitet. Sie wurde unter 20.000 Bewerbern aus 179 Ländern ausgewählt.
In die Arktis kam MacDonnell vor sechs Jahren. Zuerst musste sie um die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft kämpfen. „Das hat lange gebraucht. Doch durch meine Arbeit in Afrika habe ich gelernt, sensibel mit den kulturellen Traditionen vor Ort umzugehen.“Für sie fängt das schon morgens bei der Erfassung der Anwesenheit an. Taucht in der Bucht ein Wal auf, dürfen ihre Schüler den Unterricht ausfallen lassen, um auf die Jagd zu gehen. Wollen sie ein Problem lieber mit einem Dorfältesten besprechen oder wollen sie ihre traditionelle Sprache Inuktitut außerhalb der Schule pflegen, geht auch das.
Ihr Unterricht in der Arktis ist stark auf praktische Problemlösungen ausgerichtet. Oft geht MacDonnell mit ihren Schülern zur Jagd oder zum Fischen oder lädt Dorfälteste in die Schule ein. So sollen die Jugendlichen lernen, wieder an die kulturellen Traditionen ihrer Eltern anzuknüpfen. „Die soziale Misere in der Arktis hat auch viel mit der Suche nach einer eigenen kulturellen Identität zu tun“, sagt MacDonnell.
Viele Inuit-Familien leiden bis heute unter der kulturellen Entwurzelung, die weiße Missionare einst in die Region gebracht hatten. Bis vor einigen Jahren mussten Ureinwohner Internate besuchen, in denen indigene Sprachen und Traditionen verboten waren. Sexuelle Übergriffe und Gewalt dagegen waren häufig. So entstand ein Teufelskreis aus Schuld, Gewalt und Gegengewalt, der bis heute nachwirkt.
Auch hohe Lebensmittelpreise und Fehlernährung sind im hohen Norden ein Problem. MacDonnell startete daher ein Schulessen-Programm. Unter anderem kaufte sie ein Fitnessfahrrad mit einem Generator und verband diesen mit einem elektrischen Quirl. Seitdem können ihre Schüler sich und anderen durch Muskelkraft ein Fitnessgetränk mixen – und gleichzeitig ihre Kondition trainieren.
„In der Arktis muss man kreativ sein und so mancher pädagogische Leitsatz passt nicht immer. Die Rolle eines Lehrers ist oft viel umfassender, als das in Toronto oder Montreal der Fall wäre“, meint MacDonnell. Sieben Pflegekinder aus anderen Familien hat sie seit ihrer Ankunft beispielsweise bei sich zu Hause aufgenommen, manche für ein paar Tage, manche für länger.
„In der Arktis muss man kreativ sein.“Maggie MacDonnell, Lehrerin