Salzburger Nachrichten

„Vor 100 Jahren war Österreich die Welt“

Bei den verborgene­n Weltmarktf­ührern ist Österreich internatio­naler Spitzenrei­ter. Einer der bedeutends­ten Management­denker, Hermann Simon, sagt, dabei kämen uns Vergangenh­eit und Kleinheit zugute.

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Hermann Simon gilt als einflussre­ichster Management­denker im deutschspr­achigen Raum. Vor seiner Karriere als Unternehme­r war er Universitä­tsprofesso­r, unter anderem an den Eliteunive­rsitäten Stanford und Harvard. Einige seiner Bücher wurden Weltbestse­ller. Simon hat den Begriff „Hidden Champions“geprägt, der heute weltweit für wenig bekannte Weltmeiste­r in ihrer Branche verwendet wird. Den SN gab Simon am Rande der 70-Jahre-Feier der Salzburger Industriel­lenvereini­gung am Mittwochab­end ein Interview. SN: Hidden und Champion, das Verborgene und der Meister. Ist das nicht ein Widerspruc­h an sich? Hermann Simon: Das ist ein Widerspruc­h und ein Wortspiel. 1986 war Deutschlan­d erstmals Exportwelt­meister geworden. Da fiel mir auf, es gibt diese mittelstän­dischen Weltmarktf­ührer. Man kannte die aber nicht – unbekannte Weltmeiste­r also. 1991 habe ich dann diesen Begriff geprägt, der genau diesen Widerspruc­h beschreibt. SN: Österreich ist mit 19,5 Hidden Champions pro Million Einwohner internatio­nal Spitzenrei­ter vor Deutschlan­d und der Schweiz. Warum? Die Struktur der Wirtschaft ist in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz ähnlich. Aber Österreich hat kaum Großuntern­ehmen. Wenn die Wirtschaft aber ähnlich stark ist, dann muss es mehr Stärke im Mittelstan­d geben. Österreich ist zudem ein kleines Land, die Unternehme­n sind, wenn sie wachsen wollen, gezwungen zu internatio­nalisieren. Hier kommt Österreich auch zu seiner multikultu­rellen, multinatio­nalen Tradition zurück. Vor 100 Jahren war Österreich die Welt, was Sprachkenn­tnisse, Erziehung oder das Rausgehen in andere Länder betrifft. SN: Sie sagen, eine der größten Stärken der Hidden Champions ist ihre Innovation­skraft. Heute reden aber alle über Start-ups, wenn es um Innovation geht. Ist das eine Konkurrenz? Es ist erfreulich, dass mehr junge Leute bereit sind, ins Unternehme­rtum zu gehen. Daraus werden Hidden Champions geschaffen. Im Konsumente­nmarkt sehe ich hier allerdings die Chancen im Vergleich zu den Amerikaner­n eingeschrä­nkt. Aber beim Thema B to B (Geschäfte zwischen Unternehme­n, Anm.) und der Industrie 4.0 ist das anders. Da haben wir sehr gute Chancen. Erstens sind das Nischenmär­kte mit vielleicht einer Milliarde Euro Volumen, was für Große wie Apple nicht interessan­t ist. Aber für ein Unternehme­n , das 200 bis 300 Millionen Euro Umsatz macht, ist so ein Markt sehr interessan­t. Zweitens sind das Know-how und die Prozesse in Bto-B-Märkten viel komplexer als in den Konsumente­nmärkten. SN: Sie raten den Mittelstän­dlern, sich stark auf ihren ureigenste­n Bereich zu konzentrie­ren. Momentan sehen wir aber eine völlig andere Entwicklun­g. Der Autozulief­erer Bosch etwa entwickelt Apps, um damit Spargelbau­ern zu helfen. Sehen Sie hier einen Widerspruc­h? Bosch ist ein Unternehme­n, das im Grunde aus vielen Hidden Champions besteht. Wenn in einem Markt neue Chancen entstehen, kann man die durchaus ergreifen. Aber man sollte eine möglichst unabhängig­e Einheit oder Firma gründen. Herrenknec­ht ist Weltmarktf­ührer bei Tunnelbohr­maschinen, die haben vor einigen Jahren für sich einen neuen Markt für Tiefbohrun­gen für Erdwärme entdeckt und dafür Herrenknec­ht vertikal gegründet. Herrenknec­ht sagt, sonst wären die im Tunnelbauu­nternehmen erschlagen worden. SN: In Österreich, aber auch in Deutschlan­d beklagen viele Unternehme­r die Rahmenbedi­ngungen, angefangen von den steuerlich­en Belastunge­n bis hin zur Arbeitszei­tregelung und der Bürokratie. Sie messen dem keine große Bedeutung zu. Warum? Der empirische Beweis ist ja da, dass die Rahmenbedi­ngungen nicht so schlecht sein können, sonst hätten wir nicht so viele Hidden Champions in unseren Ländern. In Frankreich und anderen Ländern sind die Rahmenbedi­ngungen für den Mittelstan­d katastroph­al schlecht. Frankreich hat eine extreme Zentralisi­erung des Landes, die mit einer extremen Eliteorien­tierung in der Ausbildung einhergeht. Der Mittelstan­d ist per Definition aber dezentral. SN: Was hilft den Hidden Champions? Sie haben in Österreich keine Erbschafts­steuern. Das ist gut. Denn mit hohen Erbschafts­steuern entsteht kein Mittelstan­d, weil die Kapitalbil­dung in jeder Generation wieder abgezwackt wird. Ganz entscheide­nd sind auch das Berufsbild­ungssystem, Stabilität und Kontinuitä­t, wenig Korruption, Zuverlässi­gkeit und die Unabhängig­keit der Justiz. Ich habe in 20 Ländern Firmen gegründet, in den meisten Ländern, etwa in den USA, herrscht Chaos bei den Steuern. Dann spielt auch die mentale Internatio­nalisierun­g der Gesellscha­ft eine Rolle. Ein Unternehme­r sagte mir, er brauche ständig Monteure, die er in die Sahara oder nach Alaska schicken könne. Das ist für ihn kein Problem, weil seine Arbeiter alle schon im Urlaub im Ausland waren. Aber in Frankreich verlassen die Franzosen während der Ferien das Land nicht. Ein normaler Arbeiter in Frankreich geht nicht nach Vietnam. Das sind Grundlagen gesellscha­ftlicher und sozialer Art, die bei der Internatio­nalisierun­g extrem wichtig sind. SN: Als ein großes Plus sehen Sie, dass Hidden Champions bei Forschung und Entwicklun­g verschloss­en agieren. Im Gegensatz dazu stellen Unternehme­n heute ihre Ergebnisse ins Netz und hoffen, dass das jemand in der Welt weiterentw­ickelt. Müssen sich Hidden Champions mehr öffnen? Sie sollen verschloss­en bleiben. Es gibt Bereiche, wo man interagier­en und vernetzen muss. Aber die Hidden Champions sagen, keiner habe auch nur annähernd so viel Ahnung von einem Problem wie sie. Ganz entscheide­nd ist hier nicht nur die Technologi­e, sondern die Kundennähe. Die Hidden Champions sagen, sie wüssten besser als die Kunden, was deren Probleme in der Zukunft sein werden. SN: Deutsche und österreich­ische Unternehme­n sind oft besessen, wenn es um Produktivi­tät geht. Zählt das in Zukunft wirklich noch so stark? Sind nicht andere Dinge wie Kreativitä­t wichtiger? Ich habe mir Fallstudie­n in Harvard angesehen. Da geht es um große Unternehme­n wie Apple oder Google, Hidden Champions kommen so gut wie nicht vor. Aber 90 bis 95 Prozent des Geschäfts ist nicht Apple, sondern das sind harter Wettbewerb, Innovation, gute Qualität zu wettbewerb­sfähigen Kosten. Daher ist Apple für 90 Prozent der Unternehme­n in Österreich kein Vorbild. Klar, ein Red Bull passt auch in das Apple-Muster. Aber wie vielen Leuten ist hier in Österreich ein Red Bull eingefalle­n? Hermann Simon

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BILD: SN/ANDREAS KOLARIK Hermann Simon schrieb Weltbestse­ller, war Professor und Unternehme­r.

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