Turbulentes erstes Halbjahr für Van der Bellen
Morgen, Mittwoch, ist der neue Bundespräsident ein halbes Jahr im Amt. Er reiste viel, hatte eine zerbröselnde Regierung als Gegenüber, war um Ausgleich mit der FPÖ bemüht und machte nur einen schweren Fehler.
WIEN. Die EU und fast alle Nachbarländer besucht, Regierungskrise mit anschließendem Koalitionsbruch erlebt, neuen Vizekanzler angelobt, eine Minderheitsregierung verhindert – Bundespräsident Alexander Van der Bellen konnte sich über mangelnde Abwechslung in seinem ersten halben Jahr in der Hofburg nicht beschweren.
Am 26. Jänner war der ehemalige Grünen-Chef als neues Staatsoberhaupt angelobt worden. Zu einer seiner Hauptaufgaben erklärten Kommentatoren damals das Zuschütten der politischen Gräben nach einem fast einjährigen, stark polarisierenden Wahlkampf. Von diesen Gräben zwischen der FPÖ und dem Rest des politischen Spektrums ist heute nichts mehr zu bemerken, was auch ein Verdienst Van der Bellens ist. Er trug maßgeblich zur Beruhigung der Gemüter bei, als er zum Burschenschafterball in der Hofburg lediglich die Sätze fallen ließ: „Was geht es mich an? Lasst sie doch.“Oder als er Heinz-Christian Strache einen hohen Orden verlieh, den Heinz Fischer dem FPÖ-Chef noch verweigert hatte.
Ansonsten hielt sich der neue Bundespräsident aber exakt in den Fußstapfen seines Vorgängers. Wer sich vom ersten grünen Bundespräsidenten ein neues, irgendwie anderes Amtsverständnis erwartet hatte, wurde enttäuscht. Wer sich Routine, Verlässlichkeit und einen ruhenden Pol in der Hofburg wünschte, konnte zufrieden sein.
Wobei das mit dem „ruhend“nicht so ganz stimmt. Van der Bellen hat in den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit eine Fülle von Auslandsreisen absolviert. Mit Ausnahme Liechtensteins besuchte er alle Nachbarländer, Italien sogar zwei Mal. Seine erste Auslandsreise führte ihn freilich zur EU nach Brüssel und Straßburg, wo Van der Bellen im Europaparlament eine viel beachtete Rede hielt, in der er sich als – wie es im europapolitischen Jargon heißt – „glühender Europäer“präsentierte.
Auch als Gastgeber war der Bundespräsident viel beschäftigt. Seine ersten offiziellen Gäste in der Hofburg waren der britische Thronfolger Prinz Charles und seine Ehefrau Herzogin Camilla. Der Austria Presse Agentur war es eine Bemerkung wert, dass Van der Bellen beim Staatsbankett, das aus diesem Anlass stattfand, zum Smoking eine Krawatte trug und nicht die vorgeschriebene Masche.
Innenpolitisch verliefen die sechs Monate ausgesprochen turbulent. Bereits bei Van der Bellens Angelobung im Jänner lag die Große Koalition in den letzten Zügen, im Mai scheiterte sie endgültig. Der neue ÖVP-Obmann Sebastian Kurz kündigte der SPÖ die Zusammenarbeit auf, woraufhin SPÖ-Chef Kanzler Christian Kern Pläne für eine SPÖ-Minderheitsregierung mit blauer Duldung gewälzt haben soll. Gerüchten zufolge spielte der Bundespräsident aber nicht mit, sodass sich die Pläne zerschlugen. Ob die Gerüchte stimmen, wird man nie erfahren. Jedenfalls kam es zu keiner Minderheitsregierung, son- dern bekanntlich zu Neuwahlen.
Den Alltag in der Präsidentschaftskanzlei erledigt Van der Bellen nach anfänglichen Problemen mit den Zwängen des Zeremoniells routiniert. Für seine Funktion als Oberbefehlshaber des Bundesheers nimmt er sich Zeit. Sein erster Truppenbesuch dauerte fast einen ganzen Tag lang.
Wirklich schweren Fehler hat der Bundespräsident bisher nur einen gemacht. Als er im Frühjahr meinte, angesichts der um sich greifenden Islamophobie werde man die Frauen noch bitten müssen, aus Solidarität ein Kopftuch zu tragen, schüttelten selbst wohlmeinende Beobachter den Kopf. Van der Bellen ruderte daraufhin zurück und gab zu Protokoll, kein großer KopftuchFreund zu sein.
Die erste große Bewährungsprobe für Van der Bellen steht ab dem 15. Oktober bevor. Ab dann muss er eine Regierungsbildung moderieren, die gewiss zu den schwierigsten der Zweiten Republik zählen wird. Mit Spannung wird erwartet, wie er sich verhält und ob er allenfalls auch den Zweitplatzierten zum Bundeskanzler ernennt.
Und was machen eigentlich Van der Bellens einstige Konkurrenten? Norbert Hofer ist eine der Säulen des FPÖ-Wahlkampfs und macht gerade den Flugschein.
Irmgard Griss hat sich nach langem Zögern entschlossen, für die Neos zu kandidieren. Rudolf Hundstorfer wurde Präsident der Bundessportorganisation. Andreas Khol schreibt ein Buch. Und Richard Lugner macht gerade mit einem neuen Anlauf zur Sonntagsöffnung von sich reden.