„Mit einer Kurz-ÖVP geht es nicht“
Astrid Rössler regiert in Salzburg mit. Ulrike Lunacek würde gern im Bund mitregieren, aber nur unter Voraussetzungen. Ein Doppelinterview über zwei Wahlen, Klimaschutz und Europa.
SN: Hier sitzen zwei Spitzenkandidatinnen der Grünen, die demnächst eine Wahl zu schlagen haben: Für Ulrike Lunacek ist es die Nationalratswahl am 15. Oktober, für Astrid Rössler die Landtagswahl am 22. April. Frau LH-Stellvertreterin Rössler, wie sehr schadet Ihnen der nicht gerade rosige Zustand der Bundesgrünen? Astrid Rössler: Ich gehe nicht davon aus, dass uns da etwas schadet, im Gegenteil: Wir können Einigkeit zeigen und uns auf unsere Kernthemen besinnen. Ulrike Lunacek: Ich will nichts beschönigen, es ist keine einfache Situation. Aber wir Grünen haben immer wieder gezeigt, dass wir eine Aufholjagd hinlegen können, wenn es nötig ist. Wir haben noch vier Wochen Zeit. Und Astrid hat schon gesagt: Wir stehen für Themen, um die sich sonst niemand in Österreich kümmert. Der Klimawandel ist menschengemacht. Und er findet auch in Österreich statt, wenn wir nur an die sintflutartigen Regenfälle und die Muren dieses Sommers denken, die zum Beispiel im Großarltal Existenzen zerstört haben. Und die Bundesregierung tut nichts. 195 Staaten haben das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, Österreich aber hat bis heute keine Klimastrategie. Dabei müssen wir jetzt mit dem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen beginnen. SN: In Deutschland werden Fahrverbote für Dieselautos wegen des hohen Ausstoßes von Stickoxid kommen. Auch in Salzburg werden Grenzwerte überschritten. Warum treten die österreichischen Grünen nicht für Diesel-Fahrverbote ein? Rössler: Es wird nicht reichen, über Fahrverbote zu diskutieren, wir brauchen Mobilität für Wirtschaftstreibende und Pendler. Ich kann den Menschen nicht von einem auf den anderen Tag verordnen, zu Hause zu bleiben. Aber die Ursachen für die hohen Stickoxid-Werte kann man bekämpfen: Es ist nicht in Ordnung, es einfach hinzunehmen, dass Fahrzeughersteller schamlos betrogen haben. Was wir in Salzburg tun konnten, haben wir getan. Die Messwerte geben uns recht: Tempo 80 auf der Autobahn hat dieselben positiven Auswirkungen auf die Luft wie ein komplettes Fahrverbot von drei Wochen. Und wir haben dort 90.000 Fahrten pro Tag. Wir versuchen in den Ländern das Menschenmögliche. Aber die Bundesregierung lässt uns im Stich. Lunacek: Es geht uns nicht ums Verbieten, sondern ums Gegensteuern. Österreich fördert fossile Energie mit vier Milliarden Euro jährlich: Nehmen wir eine Milliarde davon und investieren wir in den öffentlichen Verkehr, in die Ablöse der Ölheizungen, die thermische Sanierung und die EMobilität. Dann wären wir schon einen großen Schritt weiter. SN: Die Grünen plakatieren: Europa beginnt in Österreich. Für viele hört sich das Verständnis für die EU aber auf, wenn diese zum Beispiel den bäuerlichen Schnapsbrennern die Steuerbegünstigung streichen will, die sie seit Maria Theresia genießen. Muss sich die EU wirklich um den Bauernschnaps kümmern? Lunacek: Ich sehe ein, dass es da und dort zu viel Verordnungen gibt. Aber wir brauchen die Union zur Lösung der großen Themen: Für das Aufhalten des Klimawandels, aber auch die Frage, wie wir mit Flüchtlingsbewegungen und Migration umgehen. SN: Gerade da hat Europa in den vergangenen zwei Jahren versagt. Lunacek: Nicht Europa hat versagt, die nationalen Regierungen haben versagt. Die EU-Kommission und das EU-Parlament haben sinnvolle Vorschläge gemacht, aber die Regierungen wollen sie nicht umsetzen. Auch die österreichische mit SPÖ und ÖVP nicht. Sie setzen sich bei ihren Parteifreunden in Ungarn, in Tschechien oder der Slowakei nicht dafür ein, dass diese Länder Flüchtlinge aufnehmen. SN: Nun sind offene Grenzen innerhalb des Schengenraums ein großer Wert der EU. Warum protestieren Sie, Frau Dr. Rössler, nicht laut gegen die deutschen Grenzkontrollen auf der Autobahn am Walserberg, die Salzburg monatelang in den Stau gestürzt haben? Rössler: Wir sehen die Kontrollen natürlich als Verletzung der offenen Grenzen an. Es hat von uns auch Reaktionen darauf gegeben. Aber es gab keine Bereitschaft auf deutscher Seite, daran etwas zu ändern. Dabei sind die Kontrollen ein Placebo, weil alle anderen Grenzübergänge zwischen Salzburg und Deutschland ja meist offen sind. Lunacek: Es ist noch mehr: Es ist Propaganda und Angstmache. SPÖ und ÖVP machen das ja genauso. Österreich kontrolliert zwar die Grenze zu Slowenien, aber auch nicht an allen Übergängen. Am Loiblpass wird nicht kontrolliert. Es geht nur darum, die Ängste der Menschen zu instrumentalisieren. Das machen Innenminister Wolfgang Sobotka und Sebastian Kurz als Chef der angeblich neuen ÖVP ganz massiv. Was wir wirklich brauchen, wäre eine bessere Zusammenarbeit der Polizei und der Geheimdienste in den EU-Ländern. Österreichs Grenzpolitik ist nur dem Wahlkampf geschuldet.
„Es geht uns nicht ums Verbieten, sondern ums Gegensteuern.“Ulrike Lunacek, Spitzenkandidatin
SN: Stichwort Wahlkampf: Es fällt auf, dass die Bundesgrünen seit 20 Jahren vom Mitregieren reden. Wirklich mitregieren tun aber die Landesgrünen – und zwar in fünf Bundesländern. Was können denn die Landesgrünen besser als die Bundesgrünen? Lunacek: Es ist einfach eine Frage der Mehrheiten. Wir hatten auf Bundesebene sehr gute Wahlergebnisse, aber die Partner waren zu schwach. Einmal waren wir
knapp dran an einer Regierungsbeteiligung, das war nach der Nationalratswahl 2002. Ich war damals selbst im Nationalrat und habe mit ÖVP-Außenministerin Benita Ferrero-Waldner die Kapitel Europa und Außenpolitik verhandelt. In der letzten Nacht war Wolfgang Schüssel (ÖVP-Chef und Bundeskanzler, Anm.) dann nicht bereit, den Grünen irgendein Zugeständnis zu machen, das es für eine funktionierende Koalition gebraucht hätte. Deswegen sind Alexander Van der Bellen und Eva Glawischnig (damals Parteichef und Stellvertreterin, Anm.) aufgestanden. Aber viele in Österreich wollen, dass die Grünen im Bund mitregieren, weil sie sehen, was in den Ländern alles glückt. Rössler: Wir Landesparteien haben auch sehr profitiert von der Professionalisierung, die in den letzten Jahren von der Bundesebene ausgegangen ist. Das war ein Verdienst von Eva Glawischnig, die uns zu einem einheitlichen Auftritt zusammengeschweißt hat. Das hat es uns in den Ländern und Gemeinden ermöglicht, dass wir bundesweit wahrgenommen werden. SN: In Salzburg wurde grünes Regieren möglich in einer Dreierkoalition. Ist für Sie, Frau Abg. Lunacek, SchwarzGrün-Neos vorstellbar? Lunacek: Ja, wir wollen mitregieren. Aber wir wollen auch verhindern, dass Österreich abdriftet in Richtung Orbanisierung. Eine antieuropäische Haltung ist gefährlich. Aus dem Grund ist klar: Mit den Freiheitlichen gibt es sicher keine Verhandlungen. Aber wenn es andere Optionen und Mehrheiten gibt, sage ich: Ja, wir verhandeln auf jeden Fall. Aber so wie die angeblich neue ÖVP jetzt inhaltlich aufgestellt ist, sehe ich diese Option nicht. Sollte die ÖVP nach der Wahl einen christlichsozialen und nicht einen neoliberalen und antieuropäischen Weg einschlagen, dann könnte es mit uns schon gehen. Ob Kurz das wirklich will, werden wir nach der Wahl sehen. SN: Das heißt: Keine Koalition mit der Kurz-ÖVP? Lunacek: So wie die ÖVP derzeit aufgestellt ist, nicht. Wenn es einen Klimawandel innerhalb der ÖVP gibt, dann ja.
SN: Wie reagieren Salzburgs Grüne, sollte die Landes-ÖVP auf Kurz-Kurs gehen? Rössler: Das würde ich abwarten. Die Landesparteien haben sehr viel Eigenständigkeit. Ich gehe davon aus, dass die ÖVP bei der Landtagswahl stimmenstärkste Partei wird und mit allen Gespräche führt. Dann wird man sehen, wo sich Mehrheiten und inhaltliche Übereinstimmungen finden. Ich merke, dass die Menschen zufrieden sind mit der Konstellation und dem Stil der Landesregierung. Man schätzt, dass wir viele Themen angegangen sind, die 20 Jahre nicht reformiert worden sind – und das ohne Streitereien.
„Die Menschen sind zufrieden mit dem Stil dieser Landesregierung.“Astrid Rössler, LH-Stellvertreterin