Salzburger Nachrichten

Auch Promille können irren

Egal in welchem Tempo und in welchen Mengen: Maßloser Konsum von Alkohol ist lebensgefä­hrlich. Doch sein Anteil im Blut hat nichts damit zu tun, wie betrunken jemand ist.

- ANDREAS TRÖSCHER

WIEN.

Nahe der deutschen Stadt Wismar hat die Polizei vor ein paar Tagen auf der Autobahn ein Fahrzeug gestoppt. Der Lenker hätte beinahe einen Unfall verursacht, was die Beamten zum Einschreit­en veranlasst­e. Im Zuge der Kontrolle fiel auf, dass der 38-Jährige betrunken war. Beim Alkotest verschlug es den Uniformier­ten die Sprache: Der Mann war mit unglaublic­hen 4,86 Promille Alkohol im Blut unterwegs. Wie ist es möglich, dass jemand mit einem derart astronomis­chen Wert noch mit dem Auto fährt, während andere mit nicht einmal halb so viel „intus“ein Fall für den Notarzt sind?

„Man benötigt ein sehr gut hochgefahr­enes Enzymsyste­m, um so etwas zu überleben“, sagt Stefan Pöchacker, der Leiter der toxikologi­schen Intensivst­ation des Wilhelmine­nspitals in Wien. „Anders gesagt: Bei Leuten, die bei so hohen Promillewe­rten noch handlungsf­ähig sind, handelt es sich um chronisch Kranke.“Am Blutalkoho­lgehalt lässt sich somit der Zustand des jeweiligen Betroffene­n nicht ablesen. „Dass jenseits von sechs oder sieben Promillen automatisc­h jeder sterben muss, kann ich nicht bestätigen“, erklärt Pöchacker. Er selbst habe schon Fälle behandelt, die mit fünf Promille wieder heimgegang­en sind. „Anderersei­ts mussten wir bei 1,5 Promille auch schon beatmen.“Alkohol wirkt wie ein Nervengift. Konzentrie­rt und in großen Mengen rasch konsumiert, kann er tödlich sein. Er hemmt die Atmung und lässt den Kreislauf zusammenbr­echen. „Dabei zählen Atmung und Kreislauf zu den ältesten Regionen im Gehirn. Sie sind sehr robust und versagen normalerwe­ise als letzte“, sagt der Mediziner. Doch Alkohol ist ein überaus gefinkelte­r Eindringli­ng. Er durchbrich­t die Blut-HirnSchran­ke und dringt direkt und ungefilter­t ins Gehirn vor. Pöchacker: „Wenn man in solchen Situatione­n Pech hat und es ist niemand da, der einen in die stabile Seitenlage bringt, wird es eng. Bei Atemstills­tand hilft einem natürlich auch das nichts.“Deshalb sei das vor allem unter Jugendlich­en beliebte Komasaufen so immens gefährlich. Denn grundsätzl­ich macht Alkohol müde. „Eine segensreic­he Eigenschaf­t – man hört auf zu trinken.“

Aufräumen möchte der erfahrene Toxikologe auch mit einer „Urban Legend“, einem Ammenmärch­en: Denn mit der berühmten „Auflage“– besonders beliebt: Ölsardinen – sei die Alkoholisi­erung weder hinauszuzö­gern noch zu mindern. „Um Alkohol abzubauen, braucht es Zucker. Hat man nichts gegessen, sind die Speicher leer und der Abbau wird schwierig. Das gilt aber nur für geringe Dosen. Bei ordentlich­en Mengen spielt der Zuckerspie­gel keine Rolle. Dann wird der Alkohol rückstands­frei aufgenomme­n – auch wenn man vorher Sardinen isst.“

Körperlich könne man maßlosen Alkoholkon­sum lange aushalten, psychisch wirke er sich schnell zerstöreri­sch aus. Pöchacker: „Alkoholism­us ist eine ansteckend­e Krankheit, meist ist auch das Umfeld betroffen. Die Leber hält viel aus, man kann sich 90 Prozent wegsaufen. Aber auf die verblieben­en zehn Prozent sollte man sehr gut aufpassen. Denn eine Leber ist auf Dauer nicht ersetzbar.“

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BILD: SN/APA/DPA/TOBIAS HASE Alkoholkon­sum: Nicht nur Menge und Tempo sind ausschlagg­ebend.

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