Früher waren die Frauen wanderlustig
Die Verbindung von Menschen aus der Fremde mit Einheimischen befruchtete Europas Kultur.
Ausgrabungen im bayerischen Lechtal bei Augsburg zeigen Überraschendes: In der Steinzeit kamen viele Frauen nach Mitteleuropa, um hier Familien zu gründen. Vermutlich kamen sie aus Böhmen oder Mitteldeutschland, während die Männer zumeist aus der Region stammten.
Dieses Muster war kein vorübergehendes Phänomen: Die Wanderlust von Frauen lässt sich am Übergang von der Kupfersteinzeit zur Frühen Bronzezeit über einen Zeitraum von 800 Jahren nachweisen. Das ergaben archäologische Ausgrabungen.
Archäologe Philipp Stockhammer von der Ludwig-MaximiliansUniversität in München sagt zu dem überraschenden Ergebnis: „Individuelle Mobilität hat das Leben der Menschen in Mitteleuropa bereits im 3. und frühen 2. Jahrtausend vor Christus stark geprägt.“Die Forscher vermuten, dass die Wanderlust eine wesentliche Rolle beim Austausch von Kulturgütern und Ideen gespielt hat. Diese Mobilität nahm in der Bronzezeit deutlich zu und beförderte dadurch die Entwicklung neuer Technologien.
Zu dieser Zeit lebten in Süddeutschland Ackerbauern und Viehzüchter, deren Vorfahren 3000 Jahre davor über das Karpatenbecken aus dem heutigen Anatolien und Syrien eingewandert waren. Im Rahmen der Untersuchung wurden seit dem Jahr 2012 die Skelette von 84 Individuen genetisch und mittels Isotopenanalysen untersucht und archäologisch ausgewertet.
Ergebnis: Die Menschen waren zwischen 2500 und 1650 vor Christus in Gräberfeldern bestattet worden. Sie gehörten alle offenbar zu ein und demselben Gehöft bzw. einer Ansiedlung. „Die Gehöfte reihten sich entlang einem fruchtbaren Lössrücken in der Mitte des Lechtals. Größere Dörfer gab es zu dieser Zeit im Lechtal nicht“, sagt Stockhammer. Die genetischen Analysen zeigen eine große Verschiedenartigkeit weiblicher Linien. Das bedeutet, dass mit der Zeit wahrscheinlich sehr viele Frauen aus der Fremde kamen. Auch anhand der Backenzähne stellten die Forscher fest, dass die Mehrheit der Frauen nicht aus der Region stammte. Die Art ihrer Beisetzung, die sich nicht von der Einheimischer unterschied, zeigt aber, dass sie in die lokale Gemeinschaft integriert waren.
Aus archäologischer Sicht belegen die neuen Erkenntnisse die große Bedeutung weiblicher Mobilität für den kulturellen Austausch in der Bronzezeit.
Zudem ermöglichen sie einen neuen Blick auf den immensen Umfang früher menschlicher Mobilität an sich: „Es scheint, dass zumindest ein Teil dessen, was bislang als Migration von Gruppen bewertet wird, auf einer institutionalisierten Form von Mobilität Einzelner beruht“, sagt Stockhammer.