Salzburger Nachrichten

Durchlasse­n, ich werde Arzt!

Das Zulassungs­system deutscher Medizinuni­s steht vor dem Aus. Nun gilt das österreich­ische Modell als mögliches Vorbild. Dabei hat auch das heimische System mit Kritik zu kämpfen.

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Sie waren beide passable Schüler. Die eine schaffte ihr Abitur mit einem Notenschni­tt von 2,0, der andere mit 2,6. Zudem machte sie nach ihrem Schulabsch­luss eine Ausbildung als Krankenpfl­egerin, er wurde Rettungssa­nitäter. Auch den Aufnahmete­st für das Medizinstu­dium schlossen sie ansprechen­d ab. Dennoch wurden der 26-Jährige und die 27-Jährige nicht zu einem Medizinstu­dium zugelassen. Als sich daran nach acht bzw. sechs Jahren immer noch nichts geändert hatte, klagten die beiden Deutschen. Und sie bekamen recht – das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen stufte die langen Wartezeite­n als verfassung­swidrig ein. Doch damit nicht genug: Nun steht das komplette Zulassungs­system zu deutschen Medizinuni­versitäten vor dem Aus. Das Verwaltung­sgericht legte das Zulassungs­verfahren dem Bundesverf­assungsger­icht vor, das es nun prüfen wird. Die zentrale Frage: Ist es legitim, wie die Medizinstu­dienplätze vergeben werden? In Deutschlan­d gehen 20 Prozent an Abiturient­en mit den besten Noten, 20 Prozent an Bewerber, die lange genug gewartet haben, und 60 Prozent vergeben die Hochschule­n nach eigenen Kriterien. In der Realität soll aber die Abiturnote viel wichtiger sein: Nach einer Studie des Centrums für Hochschule­ntwicklung ist sie in vier von fünf Fällen ausschlagg­ebend.

„Wir verfolgen mit großem Interesse, was sich in Deutschlan­d tut“, sagt Anita Rieder, Vizerektor­in für Lehre an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. Durch die Entwicklun­g im Nachbarlan­d wird auch in Österreich über die Aufnahmeve­rfahren diskutiert. Doch dieses Mal auf anderer Ebene, als dies in der Vergangenh­eit der Fall war: „Die deutschen Kollegen wollen sich unser System abschauen“, erzählt Rieder. Es gebe auch „entspreche­nd intensiven Kontakt“.

Das heimische System ist auf den ersten Blick simpel: Die Zulassung zu Studien der Humanmediz­in regelt der Medizinert­est MedAT. Alljährlic­h im Juli versuchen sich Tausende Studenten an der neunstündi­gen schriftlic­hen Aufnahmepr­üfung. Im vergangene­n Jahr ritterten etwa 12.769 Bewerber um 1620 Plätze – auf einen Studienpla­tz kamen also rund acht Testteilne­hmer. Das System sei anspruchsv­oll, aber fair, betont Rieder. Die Regeln seien transparen­t, alle Studenten bekämen vier Wochen nach dem Testtag ihr Ergebnis. „Es ist ein gemeinsame­s Verfahren aller Medizin-Unis, das wir ständig evaluieren und weiterentw­ickeln.“

Dennoch gibt es auch immer wieder Kritik am österreich­ischen System. Kärntens Landeshaup­tmann-Stellvertr­eterin Beate Prettner (SPÖ) sprach sich erst vor Kurzem grundsätzl­ich gegen Zugangsbes­chränkunge­n aus. „Wir steuern im Gesundheit­swesen ungebremst auf kritische Engpässe zu“, sagte Prettner. Die Studienplä­tze zu verdoppeln sei deshalb „das Mindeste“. Und der nachgelage­rte Verteilers­chlüssel, der beim MedAT eine Rolle spielt, wird ebenso kritisiert: Beim Aufnahmete­st gehen 75 Prozent der Studienplä­tze an Kandidaten mit österreich­ischem Maturazeug­nis, 20 Prozent an Bewerber aus der EU und fünf Prozent an Studienbew­erber aus Drittstaat­en. Auch die EU-Kommission prüfte den Schlüssel, stellte aber vergangene­n Mai ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren wegen möglicher Diskrimini­erung von EU-Bürgern ein.

Durch den MedAT werden naturwisse­nschaftlic­he Basiskennt­nisse, kognitive Fertigkeit­en wie die Merkfähigk­eit, Textverstä­ndnis und soziales Entscheide­n geprüft. Doch hat ein solcher Test nicht zumindest eine der Schwächen, die in Deutschlan­d angemahnt wurden? Andere Lebensleis­tungen – etwa die Ausbildung zu einem Rettungssa­nitäter – werden nicht berücksich­tigt. Vom Einzelstan­dpunkt ausgehend sei die Kritik nachvollzi­ehbar, sagt MedUni-Vizerektor­in Rieder. Aber solche Faktoren einzubezie­hen, sei allein schon weiblichen Bewerbern gegenüber ungerecht: Diese können keinen Zivildiens­t leisten – und sich so durch diesen nicht profiliere­n. Einzelgesp­räche mit den Bewerbern brächten indes einen Nutzen. Solche seien aber schon aufgrund der enormen Bewerberza­hlen nicht durchführb­ar. „Zudem sind Interviews in gewisser Weise beeinfluss­bar. Bei uns sind die soziale Herkunft, das Geschlecht oder persönlich­e Kontakte außen vor.“

Auf Interviews setzt die PMU Salzburg. Als Privatuniv­ersität kann die Paracelsus­Uni weitgehend selbst entscheide­n, wie sie ihre Bewerber selektiert. Nach einem Aufnahmete­st werden Rankinglis­ten erstellt, die bestimmen, welche Kandidaten zu den persönlich­en Interviews geladen werden. „In den Interviews können wir Bereiche abwägen, die ein Test nicht abwägen kann, zum Beispiel die Persönlich­keit oder die innere Motivation“, beschreibt Doris Carstensen, Leiterin des Diplomstud­iums Humanmediz­in an der PMU. Die Kritik, dass bei solchen Gespräche persönlich­e Kontakte ausgespiel­t werden können, lässt Carstensen so nicht gelten. In den Interviewk­ommissione­n sitzen drei Personen – und diese müssten sich bei den Gesprächen an einen strukturie­rten Leitfaden halten.

Allein im vergangene­n Jahr haben sich rund 900 Personen für einen Platz an der PMU beworben. Davon seien 375 zu Interviews geladen worden, 125 bekamen schließlic­h einen Studienpla­tz, verteilt auf die Standorte Salzburg und Nürnberg.

Den öffentlich­en Universitä­ten rät Carstensen, im Bewerbungs­prozess auf mehrere Ebenen zu setzen. „Mehrstufig­keit ist sicher zu empfehlen.“Dadurch steige die „Treffsiche­rheit“: An der PMU schließen 96 Prozent der Studenten ihr Studium ab. Doch auch an der MedUni Wien sind es 90 Prozent. Das bestärkt Anita Rieder, dass die heimischen Zugangsreg­eln passend sind – und Österreich weiter ist als Deutschlan­d: „Wir sind all jenen einen großen Schritt voraus, die noch darüber nachdenken, wie sie faire Bedingunge­n schaffen können.“

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