Salzburger Nachrichten

Von Frieden ist Afghanista­n noch immer weit entfernt

Die Sicherheit­slage in Afghanista­n hat sich wieder dramatisch verschlech­tert. Zurückkehr­ende Flüchtling­e finden hier keinen Schutz.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Die radikalisl­amischen Taliban bedrohen derzeit 70 Prozent Afghanista­ns. Nach den Erkenntnis­sen internatio­naler Experten zeigen die Islamisten in zwei Dritteln des Landes am Hindukusch eine aktive Präsenz. Das bedeutet, dass 15 Millionen Afghanen – die Hälfte der Bevölkerun­g – in Gebieten leben müssen, die entweder von den Taliban kontrollie­rt werden oder Angriffen der Taliban ausgesetzt sind.

Sollten diese Angaben auch nur annähernd stimmen, sind sie einfach nur niederschm­etternd. Der vor eineinhalb Jahrzehnte­n gestartete Versuch, Afghanista­n von der Geißel des Terrors zu befreien und in ein halbwegs sicheres Land zu verwandeln, ist vorerst gescheiter­t. Obwohl der gesamte Westen mit riesigem militärisc­hen, logistisch­en und finanziell­en Aufwand eine Konfliktlö­sung probiert hat, kann von Frieden in Afghanista­n keine Rede sein.

Bewahrheit­et haben sich vielmehr die Befürchtun­gen, die beim Abzug des Großteils der internatio­nalen Kampftrupp­en geäußert worden sind: Die einheimisc­hen Sicherheit­skräfte – Soldaten und Polizisten, die von westlichen Staaten ausgebilde­t werden – sind nicht in der Lage, wirklich Sicherheit für einen Großteil der Bevölkerun­g zu schaffen.

Angesichts dieser Zustände ist es äußerst problemati­sch, wenn westliche Regierunge­n meinen, sie könnten derzeit Flüchtling­e, denen ein Asylstatus verwehrt wird, nach Afghanista­n abschieben.

Die westlichen Staaten stehen jetzt vor der dringliche­n Aufgabe, eine Strategie für das geschunden­e Land zu finden. Keine durchgreif­ende Lösung ist es, wenn die US-Regierung wieder Tausende Soldaten zusätzlich an den Hindukusch schickt und Angriffe auf die Taliban verstärkt. Die Taliban drohen mit noch mehr Gewalt, weil sie Erfahrung damit hätten, „arrogante Herrscher in ihre Schranken zu weisen“.

Widersinni­g ist es, wenn Washington die Partnersch­aft mit Pakistan nun aufkündigt, weil dieses Land weiter die Taliban unterstütz­e. Zum einen läuft Amerikas Nachschub für Afghanista­n über Pakistan. Zum anderen ist eine Lösung in Afghanista­n, die auch die Taliban einbezieht, nur durch die Mitwirkung Pakistans möglich. Wer aber Pakistan gewinnen will, muss auch dessen Alliierten China ins Spiel holen.

Zu Afghanista­n hat Pakistan viele Verbindung­en, weil die im 19. Jahrhunder­t gezogene „Durand-Linie“das Siedlungsg­ebiet der Paschtunen zerschnitt­en hat. Aus ihnen aber rekrutiere­n sich heute die Taliban. Pakistan braucht zudem die „strategisc­he Tiefe“in Afghanista­n für den Hauptkonfl­ikt mit Indien.

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