Von Frieden ist Afghanistan noch immer weit entfernt
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich wieder dramatisch verschlechtert. Zurückkehrende Flüchtlinge finden hier keinen Schutz.
Die radikalislamischen Taliban bedrohen derzeit 70 Prozent Afghanistans. Nach den Erkenntnissen internationaler Experten zeigen die Islamisten in zwei Dritteln des Landes am Hindukusch eine aktive Präsenz. Das bedeutet, dass 15 Millionen Afghanen – die Hälfte der Bevölkerung – in Gebieten leben müssen, die entweder von den Taliban kontrolliert werden oder Angriffen der Taliban ausgesetzt sind.
Sollten diese Angaben auch nur annähernd stimmen, sind sie einfach nur niederschmetternd. Der vor eineinhalb Jahrzehnten gestartete Versuch, Afghanistan von der Geißel des Terrors zu befreien und in ein halbwegs sicheres Land zu verwandeln, ist vorerst gescheitert. Obwohl der gesamte Westen mit riesigem militärischen, logistischen und finanziellen Aufwand eine Konfliktlösung probiert hat, kann von Frieden in Afghanistan keine Rede sein.
Bewahrheitet haben sich vielmehr die Befürchtungen, die beim Abzug des Großteils der internationalen Kampftruppen geäußert worden sind: Die einheimischen Sicherheitskräfte – Soldaten und Polizisten, die von westlichen Staaten ausgebildet werden – sind nicht in der Lage, wirklich Sicherheit für einen Großteil der Bevölkerung zu schaffen.
Angesichts dieser Zustände ist es äußerst problematisch, wenn westliche Regierungen meinen, sie könnten derzeit Flüchtlinge, denen ein Asylstatus verwehrt wird, nach Afghanistan abschieben.
Die westlichen Staaten stehen jetzt vor der dringlichen Aufgabe, eine Strategie für das geschundene Land zu finden. Keine durchgreifende Lösung ist es, wenn die US-Regierung wieder Tausende Soldaten zusätzlich an den Hindukusch schickt und Angriffe auf die Taliban verstärkt. Die Taliban drohen mit noch mehr Gewalt, weil sie Erfahrung damit hätten, „arrogante Herrscher in ihre Schranken zu weisen“.
Widersinnig ist es, wenn Washington die Partnerschaft mit Pakistan nun aufkündigt, weil dieses Land weiter die Taliban unterstütze. Zum einen läuft Amerikas Nachschub für Afghanistan über Pakistan. Zum anderen ist eine Lösung in Afghanistan, die auch die Taliban einbezieht, nur durch die Mitwirkung Pakistans möglich. Wer aber Pakistan gewinnen will, muss auch dessen Alliierten China ins Spiel holen.
Zu Afghanistan hat Pakistan viele Verbindungen, weil die im 19. Jahrhundert gezogene „Durand-Linie“das Siedlungsgebiet der Paschtunen zerschnitten hat. Aus ihnen aber rekrutieren sich heute die Taliban. Pakistan braucht zudem die „strategische Tiefe“in Afghanistan für den Hauptkonflikt mit Indien.