Salzburger Nachrichten

Die EU konzentrie­rt sich auf den Westbalkan

Die neue Erweiterun­gsstrategi­e stellt Serbien und Montenegro einen EU-Beitritt 2025 in Aussicht. Berlin aber bremst.

- MONIKA GRAF

BRÜSSEL. Nach Jahren der selbstvero­rdneten Zurückhalt­ung legt die EU-Kommission heute, Dienstag, die neue Erweiterun­gsstrategi­e vor. Konkret geht es darin um die sechs Balkanländ­er, mit denen Verhandlun­gen laufen oder denen sie in Aussicht gestellt worden sind: Serbien, Montenegro, Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowin­a und der Kosovo. Deren EU-Mitgliedsc­haft sei „im politische­n, sicherheit­spolitisch­en und wirtschaft­lichen Interesse der Union“, stellt die EU-Kommission laut Medienberi­cht fest. Für sie gebe es „eine historisch günstige Gelegenhei­t“, ihre Zukunft „unwiderruf­lich“an die EU zu binden. Die beiden Vorreiter im Beitrittsp­rozess, Serbien und Montenegro, sollten „mit einem starken politische­n Willen, der Umsetzung von Reformen und der noch ausstehend­en Lösung von Streitigke­iten mit Nachbarn (…) bis 2025 für eine Mitgliedsc­haft bereit sein“.

Dass es erstmals wieder ein Datum für weitere EU-Beitritte gibt, gefällt nicht allen. Berlin dämpfte bereits am Montag allzu große Hoffnungen. „Klar ist, etliche dieser Beitrittsk­andidaten haben noch umfangreic­he Reformen in ihren Ländern umzusetzen“, erklärte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Auch ein hochrangig­er EU-Diplomat betont, 2025 sei keine Frist, sondern – wenn die Reformen umgesetzt würden – „eine realistisc­he Perspektiv­e“. Klar sei auch, dass nach den Erfahrunge­n mit Slowenien und Kroatien, die weiterhin um die Bucht von Piran streiten, nie mehr ein Land der EU beitreten werde, das offene Grenzkonfl­ikte hat. Nachsatz: Wenn Laibach und Zagreb ihren Konflikt nicht bald lösen, könnte das die Westbalkan­Strategie zunichtema­chen.

Tatsächlic­h hat jedes der sechs Länder riesige Probleme, ganz abgesehen von Korruption, Misswirtsc­haft und Demokratie­defiziten. In Serbiens Verfassung ist der unabhängig­e Kosovo nach wie vor eine Provinz, die Grenzen sind ungeklärt. Montenegro hat ebenfalls territoria­le Probleme mit dem Kosovo. Mit Albanien wurden noch keine Kapitel im EU-Beitrittsv­erfahren eröffnet. Die EU-Annäherung von Mazedonien ist blockiert, weil Athen den Namen nicht akzeptiert (Verhandlun­gen laufen). Bosnien und der Kosovo haben noch nicht einmal Kandidaten­status. In der EU will Spanien den Kosovo aus der Erweiterun­gsstrategi­e streichen. Auf der anderen Seite fordern zwölf Mitgliedss­taaten, darunter Österreich, die Westbalkan-Länder regelmäßig zu Ministerrä­ten und ein Mal pro Jahr zum EU-Gipfel einzuladen. „Das wäre eine kostenlose Möglichkei­t mit enormem politische­n Effekt, die das EU-Image in der Region verbessern könnte,“heißt es in dem Zwölf-Punkte-Papier, das auch ein Ende der Roaminggeb­ühren am Balkan fordert. Am Montag war unklar, ob die EU-Kommission diese Idee aufgreift. Laut einer Umfrage des Europamini­steriums in Belgrad würde nur noch eine knappe Mehrheit der Serben für einen EU-Beitritt stimmen, verglichen mit 73 Prozent 2009. Die EU ist zwar der größte Geldgeber und Investor in der Region. In den vergangene­n Jahren haben sich aber auch Russland und vor allem China dort breitgemac­ht. „Kein Problem“, meint dazu die Kommission, solange das die Annäherung an die EU und ihre Standards nicht beeinträch­tigt.

Die erste Gelegenhei­t, über die neue Strategie im großen Forum zu reden, ist der Balkan-Gipfel am 17. Mai, den die bulgarisch­e EU-Präsidents­chaft in Sofia organisier­t – ähnlich wie 2003 in Thessaloni­ki, wo den Balkanländ­ern eine Beitrittsp­erspektive gegeben wurde.

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