Salzburger Nachrichten

Der neuen GroKo fehlt die ganz große Idee

Wie weiter in Deutschlan­d? Wieder mit einer Großen Koalition. Sie hat viele Kritiker, ist aber die einzig realistisc­he Regierung.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Mehr als 45 Millionen Bürger haben vor einem halben Jahr bei der Bundestags­wahl ihre Stimme abgegeben. Aber ob es wirklich zu einer neuen Großen Koalition in Deutschlan­d kommt, hängt am Ende vom Entscheid von etwa 460.000 SPD-Mitglieder­n ab. Das mag man als lebendige innerparte­iliche Demokratie verbuchen. Doch aufs staatspoli­tisch Ganze gesehen ist es problemati­sch, dass das Votum von Genossen, die von der verunsiche­rten Führung einer zerrissene­n Partei befragt werden, mehr Gewicht haben soll als das aller anderen.

Jedenfalls hat dieser Aspekt die schwierige Regierungs­bildung in Berlin am stärksten bestimmt. Die SPD muss nun natürlich betonen, dass der Koalitions­vertrag der neuen GroKo vor allem eine sozialdemo­kratische Handschrif­t trage. Die SPD hat durchgeset­zt, dass sie mit ihren Ministerie­n das Handeln der Regierung prägen kann. Sogar das Schlüsselr­essort Finanzen hat sie künftig in der Hand, das nicht nur im Inneren, sondern auch in Europa von entscheide­nder Bedeutung ist. Die CDU/CSU, mit 33 Prozent der Stimmen viel stärker als die SPD mit etwa 20 Prozent, musste enorme Zugeständn­isse machen – bloß um die SPD in die Koalition und den Segen der SPD-Basis für diese Koalition zu bekommen.

Alle Koalitions­parteien haben beim Koalitions­abkommen die je eigene Klientel im Auge behalten. CDU/CSU und SPD setzen dafür die derzeit gewaltigen Haushaltsü­berschüsse ein. Darunter sind sicherlich sinnvolle Investitio­nen für Bildung oder Wohnungsba­u. Aber eine eindeutige Prioritäte­nsetzung der Politik für die Modernisie­rung des Landes ist dabei nicht erkennbar.

Das zeigt auch der Ressortzus­chnitt: Es gibt weder ein Ministeriu­m für Integratio­n noch eines für Digitales. Maßgeschne­idert ist hingegen der Aufgabenbe­reich für CSU-Chef Horst Seehofer, der als Innenminis­ter seiner Partei vor der bayerische­n Landtagswa­hl im Herbst Profil verschaffe­n und zugleich seinen parteiinte­rnen Einfluss gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergrößern kann.

Nicht Aufbruchst­immung, sondern Missmut begleitet den Start der neuen GroKo. Viele Bürger haben den Eindruck, dass die Union als langjährig­e Kanzlerpar­tei ideenlos und die ständig schrumpfen­de SPD innerlich im Widerstrei­t ist. Beide brauchen eine Erneuerung. Unter diesen Umständen kann die GroKo die große Zahl der Skeptiker im Grunde nur noch überrasche­n – mit einer „neuen Politik“und einem „guten Regieren“.

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