Der neuen GroKo fehlt die ganz große Idee
Wie weiter in Deutschland? Wieder mit einer Großen Koalition. Sie hat viele Kritiker, ist aber die einzig realistische Regierung.
Mehr als 45 Millionen Bürger haben vor einem halben Jahr bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgegeben. Aber ob es wirklich zu einer neuen Großen Koalition in Deutschland kommt, hängt am Ende vom Entscheid von etwa 460.000 SPD-Mitgliedern ab. Das mag man als lebendige innerparteiliche Demokratie verbuchen. Doch aufs staatspolitisch Ganze gesehen ist es problematisch, dass das Votum von Genossen, die von der verunsicherten Führung einer zerrissenen Partei befragt werden, mehr Gewicht haben soll als das aller anderen.
Jedenfalls hat dieser Aspekt die schwierige Regierungsbildung in Berlin am stärksten bestimmt. Die SPD muss nun natürlich betonen, dass der Koalitionsvertrag der neuen GroKo vor allem eine sozialdemokratische Handschrift trage. Die SPD hat durchgesetzt, dass sie mit ihren Ministerien das Handeln der Regierung prägen kann. Sogar das Schlüsselressort Finanzen hat sie künftig in der Hand, das nicht nur im Inneren, sondern auch in Europa von entscheidender Bedeutung ist. Die CDU/CSU, mit 33 Prozent der Stimmen viel stärker als die SPD mit etwa 20 Prozent, musste enorme Zugeständnisse machen – bloß um die SPD in die Koalition und den Segen der SPD-Basis für diese Koalition zu bekommen.
Alle Koalitionsparteien haben beim Koalitionsabkommen die je eigene Klientel im Auge behalten. CDU/CSU und SPD setzen dafür die derzeit gewaltigen Haushaltsüberschüsse ein. Darunter sind sicherlich sinnvolle Investitionen für Bildung oder Wohnungsbau. Aber eine eindeutige Prioritätensetzung der Politik für die Modernisierung des Landes ist dabei nicht erkennbar.
Das zeigt auch der Ressortzuschnitt: Es gibt weder ein Ministerium für Integration noch eines für Digitales. Maßgeschneidert ist hingegen der Aufgabenbereich für CSU-Chef Horst Seehofer, der als Innenminister seiner Partei vor der bayerischen Landtagswahl im Herbst Profil verschaffen und zugleich seinen parteiinternen Einfluss gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergrößern kann.
Nicht Aufbruchstimmung, sondern Missmut begleitet den Start der neuen GroKo. Viele Bürger haben den Eindruck, dass die Union als langjährige Kanzlerpartei ideenlos und die ständig schrumpfende SPD innerlich im Widerstreit ist. Beide brauchen eine Erneuerung. Unter diesen Umständen kann die GroKo die große Zahl der Skeptiker im Grunde nur noch überraschen – mit einer „neuen Politik“und einem „guten Regieren“.