Kalte Progression aufgewärmt
Zu niedrigen Zinsen kommt eine steigende Inflation: Das erhöht den Druck auf die Politik, einzuschreiten.
Was Börsianer diese Woche beunruhigte, würde viele Österreicher freuen: dass die Zinsen in absehbarer Zeit angehoben werden könnten. Im Moment ist das ja ein Jammer mit den Ersparnissen. Man kann direkt zuschauen, wie sie an Wert verlieren. Im Großen und Ganzen handelt es sich um eine gigantische Geldvernichtung, die da abgeht.
Das Finanzvermögen der privaten Haushalte beläuft sich auf 625 Milliarden Euro. Es ist natürlich unterschiedlich veranlagt. Ein einziges Prozent macht insgesamt aber gut sechs Milliarden Euro aus. Womit man eine Ahnung bekommt, um wie viel es hier geht. Zum Vergleich: Die letzte Steuerreform hatte ein Gesamtvolumen von rund fünf Milliarden Euro.
Recht sein kann dieses Zinsniveau natürlich allen, die eher verschuldet sind. Wirklich zutreffen tut das aber vor allem auf den Staat.
Er stand zuletzt mit 295 Milliarden Euro in der Kreide. Viel machen kann der Finanzminister da allerdings nicht. Wie schon sein Vorgänger Hans Jörg Schelling darf auch Hartwig Löger zwar erleichtert darüber sein, dass dieser Zustand das Budget spürbar entlastet. Die Zinspolitik aber entzieht sich mehr denn je dem Einfluss nationaler Politik.
Umso mehr gerät diese Politik unter Druck, zu tun, was ihr möglich ist, und zwar im Zusammenhang mit einem anderen Problem: Die Rede ist von der schleichenden Steuererhöhung namens kalte Progression, die mit der Inflation einhergeht.
Die Teuerungsrate hat sich gegenüber 2015 und 2016 auf rund zwei Prozent verdoppelt, und dabei dürfte es vorerst auch bleiben. Das bedeutet, dass die Unternehmen entsprechend höhere Löhne auszahlen müssen. Nur: Da die Steuertarife unverändert bleiben, drohen die Arbeitnehmer real zu verlieren.
Ein Beispiel: Wird bei 3000 Euro brutto im Monat ein voller Inflationsausgleich von zwei Prozent gewährt, kommen netto nur rund eineinhalb Prozent mehr heraus. Weniger also, als die Teuerung beträgt. Womit sich die Bezieherin oder der Bezieher schon wieder ein bisschen weniger leisten können. Alles in allem geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag, der in wenigen Jahren zur Milliarde anschwillt – und extra ins Budget fließt.
Die kalte Progression könnte aufgehoben werden. Die Politik ziert sich jedoch. Aus einem nachvollziehbaren Grund: Schreitet sie ein, beraubt sie sich eines Spielraums, ein eigenes Entlastungspaket zu schnüren, und zwar in der Hoffnung, dass die Wähler das dann auch goutieren. ÖVP und FPÖ haben sich dennoch im Sommer dafür ausgesprochen, die kalte Progression zu beseitigen. Allerdings wollen sie das laut Regierungsprogramm nun erst nach 2020 einmal „prüfen“.