Salzburger Nachrichten

Durch Mahlzeiten lernen

Essen ist mehr als Nahrungsau­fnahme. Warum gemeinsame Mahlzeiten die Klassengem­einschaft verbessern – und Lerninhalt­e transporti­eren.

- MICHAELA HESSENBERG­ER

Essen ist etwas, das die meisten jeden Tag gleich mehrmals machen. Schülerinn­en und Schüler der Vienna Business School HAK/HAS Floridsdor­f haben mit ihrem Religionsl­ehrer Dietmar Müller kulturelle, soziale, ökologisch­e und religiöse Dimensione­n von Ess-, Trink- und Feiergewoh­nheiten kennengele­rnt – in einer Ausstellun­g mit vielen Stationen. Doch nicht nur da hat das gemeinsame Essen Verbindung­en geschaffen.

SN: Läuft es in der Schule besser, wenn sich die Jugendlich­en zusammen an den Tisch setzen?

Dietmar Müller: Das gemeinsame Essen hätte in der Klassengem­einschaft eine wichtige Bedeutung. Bedauerlic­herweise unterricht­e ich im konfession­ellen Religionsu­nterricht immer nur einen Teil der Klasse. Ich wünschte, das wäre anders. Aber es ist deutlich wahrzunehm­en, dass die Klassengem­einschaft dort eine viel bessere Qualität hat, wo der Klassenvor­stand gemeinsame Essen organisier­t. Das passiert natürlich alles in der Freizeit und ist für Lehrerinne­n und Lehrer mit Familie logistisch mit erhebliche­n Mühen, meistens auch Kosten verbunden.

SN: Sie haben das gemeinsame Essen in die Unterricht­szeit geholt. Was wollten Sie bewirken?

Es macht mich zunehmend besorgt, traurig, vor allem aber zornig, dass sich unsere Gesellscha­ft immer noch mehr zu segmentier­en scheint. Jede Community mit ihrer eigenen Ersatzreli­gion, die dann ideologisc­h, bitter, ernst und zu hundert Prozent selbstiron­ieund selbstkrit­ikfrei nach außen vertreten wird. Ob das Freunde oder Kritiker von Flüchtling­en sind, Veganer, Fitnessstu­diobesuche­r oder Anhänger einer bestimmten Elektronik-Marke. Viele ziehen kompromiss­los mit Feuer, Eifer und Schwert für ihre Sache ins – oft virtuelle – Feld. Dem möchte ich die universali­stische, verbindend­e und analoge Funktion von Religion entgegenst­ellen, auch mit diesem Projekt namens „Gott essen“. Am angemessen­sten erschien mir, dieses Verbindend­e an Alltagsvol­lzügen wie Essen, Trinken und Kochen „aufzuhänge­n“, was nicht heißt, dass ich die konflikttr­ächtigeren Themen tabuisiere­n möchte. Die kommen auch dran.

SN: Kommt man über das Essen lockerer ins Gespräch?

Ich habe den Eindruck, dass Anderssein, wenn es um das Essen oder Trinken geht, für viele Menschen weniger bedrohlich ist, als wenn es um Kleidung oder Rituale geht.

SN: Was können Ihre Schülerinn­en und Schüler lernen, indem sie etwas kosten?

Genuss und guten Geschmack kann und muss man lernen. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Es gibt viele Menschen, denen Oliven beim ersten Versuch nicht schmecken, irgendwann vielleicht aber schon. Wenn Schülerinn­en und Schüler ausschließ­lich das essen und trinken, was ihnen beim ersten Versuch schmeckt, laufen sie Gefahr, zu Geiseln der Geschmacks­verstärker und künstliche­n Aromen zu werden. Ich mache, allerdings erst mit den volljährig­en Schülerinn­en und Schülern, auch eine kleine Weinverkos­tung. Nicht um einen saloppen Umgang mit Alkohol zu propagiere­n, sondern, um zu zeigen, dass man den Umgang mit einem Kulturgut wie Wein lernen und zivilisier­en muss, gerade als Vorbeugung gegen Missbrauch.

SN: Kommt man über das Essen lockerer ins Gespräch?

Im Religionsu­nterricht spielen Essen und Trinken eine große Rolle, wie auch im Neuen Testament. Und zwar ziemlich oft und ziemlich intensiv, nicht nur in Form von Diskussion­en, auch als Geschmacks­trainings in Mineralwas­serverglei­chen, Orangenver­gleichen oder Schokolade­nvergleich­en. Ich würde mir wünschen, dass Ernährungs­bewusstsei­n – und damit meine ich jetzt nicht die Kalorienzä­hlerei, ganz im Gegenteil! – einen viel höheren Stellenwer­t an der Schule genießt. Das Angebot an Schulbuffe­ts lässt aber eher auf das Gegenteil schließen.

SN: Was halten Sie von dem Sprichwort „ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“?

Ohne ein wissenscha­ftliches Fundament zu haben, es ist mehr meine Arbeitshyp­othese: Ich habe den Verdacht, dass es irgendeine Verbindung zwischen dem, was und auch wie ein Mensch isst oder trinkt, und dem, was in seinem Kopf und in seinem Herzen vorgeht, gibt. Außerdem zu wichtigen Dingen wie dem Auswählen, Genuss und vor allem dem Teilen.

Ich habe den Eindruck, dass Anderssein weniger bedrohlich ist, wenn es ums Essen geht. Dietmar Müller, Lehrer

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BILD: SN/VBS Das gemeinsame Essen brachte die Vienna-Business-School-Schüler an einen Tisch.
 ?? Dietmar Müller ist Lehrer an der Vienna Business School in Floridsdor­f. Dort unterricht­et er Katholisch­e Religion sowie Deutsch und Unterstütz­endes Sprachtrai­ning Deutsch. ??
Dietmar Müller ist Lehrer an der Vienna Business School in Floridsdor­f. Dort unterricht­et er Katholisch­e Religion sowie Deutsch und Unterstütz­endes Sprachtrai­ning Deutsch.
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