Durch Mahlzeiten lernen
Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Warum gemeinsame Mahlzeiten die Klassengemeinschaft verbessern – und Lerninhalte transportieren.
Essen ist etwas, das die meisten jeden Tag gleich mehrmals machen. Schülerinnen und Schüler der Vienna Business School HAK/HAS Floridsdorf haben mit ihrem Religionslehrer Dietmar Müller kulturelle, soziale, ökologische und religiöse Dimensionen von Ess-, Trink- und Feiergewohnheiten kennengelernt – in einer Ausstellung mit vielen Stationen. Doch nicht nur da hat das gemeinsame Essen Verbindungen geschaffen.
SN: Läuft es in der Schule besser, wenn sich die Jugendlichen zusammen an den Tisch setzen?
Dietmar Müller: Das gemeinsame Essen hätte in der Klassengemeinschaft eine wichtige Bedeutung. Bedauerlicherweise unterrichte ich im konfessionellen Religionsunterricht immer nur einen Teil der Klasse. Ich wünschte, das wäre anders. Aber es ist deutlich wahrzunehmen, dass die Klassengemeinschaft dort eine viel bessere Qualität hat, wo der Klassenvorstand gemeinsame Essen organisiert. Das passiert natürlich alles in der Freizeit und ist für Lehrerinnen und Lehrer mit Familie logistisch mit erheblichen Mühen, meistens auch Kosten verbunden.
SN: Sie haben das gemeinsame Essen in die Unterrichtszeit geholt. Was wollten Sie bewirken?
Es macht mich zunehmend besorgt, traurig, vor allem aber zornig, dass sich unsere Gesellschaft immer noch mehr zu segmentieren scheint. Jede Community mit ihrer eigenen Ersatzreligion, die dann ideologisch, bitter, ernst und zu hundert Prozent selbstironieund selbstkritikfrei nach außen vertreten wird. Ob das Freunde oder Kritiker von Flüchtlingen sind, Veganer, Fitnessstudiobesucher oder Anhänger einer bestimmten Elektronik-Marke. Viele ziehen kompromisslos mit Feuer, Eifer und Schwert für ihre Sache ins – oft virtuelle – Feld. Dem möchte ich die universalistische, verbindende und analoge Funktion von Religion entgegenstellen, auch mit diesem Projekt namens „Gott essen“. Am angemessensten erschien mir, dieses Verbindende an Alltagsvollzügen wie Essen, Trinken und Kochen „aufzuhängen“, was nicht heißt, dass ich die konfliktträchtigeren Themen tabuisieren möchte. Die kommen auch dran.
SN: Kommt man über das Essen lockerer ins Gespräch?
Ich habe den Eindruck, dass Anderssein, wenn es um das Essen oder Trinken geht, für viele Menschen weniger bedrohlich ist, als wenn es um Kleidung oder Rituale geht.
SN: Was können Ihre Schülerinnen und Schüler lernen, indem sie etwas kosten?
Genuss und guten Geschmack kann und muss man lernen. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Es gibt viele Menschen, denen Oliven beim ersten Versuch nicht schmecken, irgendwann vielleicht aber schon. Wenn Schülerinnen und Schüler ausschließlich das essen und trinken, was ihnen beim ersten Versuch schmeckt, laufen sie Gefahr, zu Geiseln der Geschmacksverstärker und künstlichen Aromen zu werden. Ich mache, allerdings erst mit den volljährigen Schülerinnen und Schülern, auch eine kleine Weinverkostung. Nicht um einen saloppen Umgang mit Alkohol zu propagieren, sondern, um zu zeigen, dass man den Umgang mit einem Kulturgut wie Wein lernen und zivilisieren muss, gerade als Vorbeugung gegen Missbrauch.
SN: Kommt man über das Essen lockerer ins Gespräch?
Im Religionsunterricht spielen Essen und Trinken eine große Rolle, wie auch im Neuen Testament. Und zwar ziemlich oft und ziemlich intensiv, nicht nur in Form von Diskussionen, auch als Geschmackstrainings in Mineralwasservergleichen, Orangenvergleichen oder Schokoladenvergleichen. Ich würde mir wünschen, dass Ernährungsbewusstsein – und damit meine ich jetzt nicht die Kalorienzählerei, ganz im Gegenteil! – einen viel höheren Stellenwert an der Schule genießt. Das Angebot an Schulbuffets lässt aber eher auf das Gegenteil schließen.
SN: Was halten Sie von dem Sprichwort „ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“?
Ohne ein wissenschaftliches Fundament zu haben, es ist mehr meine Arbeitshypothese: Ich habe den Verdacht, dass es irgendeine Verbindung zwischen dem, was und auch wie ein Mensch isst oder trinkt, und dem, was in seinem Kopf und in seinem Herzen vorgeht, gibt. Außerdem zu wichtigen Dingen wie dem Auswählen, Genuss und vor allem dem Teilen.
Ich habe den Eindruck, dass Anderssein weniger bedrohlich ist, wenn es ums Essen geht. Dietmar Müller, Lehrer