„Jeder Mensch wird mehrmals gerufen“
Sehnsucht nach Liebe? Dass sich dieser Wunsch nur im Erhören eines Rufes erfüllt, treibt Erwin Piplits bei seiner Theaterarbeit an.
WIEN. „Das einzig Wirkungsvolle in der Verbesserung der Herzensbildung wird durch den Erkenntnisweg erzählt, den nur eine Gemeinschaft gehen kann.“So fasst der Theatermacher Erwin Piplits das Anliegen seiner Trilogie zusammen, die er nun vollendet. Inspiriert von Erzählungen des iranischen Philosophen Suhrawardi widmen sich er und sein Serapions Ensemble aus Performern und Tänzern der Herzensbildung.
Über „Der Ruf“, den letzten Teil der Trilogie, der übermorgen, Donnerstag, Premiere hat, sagt Piplits: „Jeder Mensch wird mehrmals im Leben gerufen, es kommt darauf an, welchen Ruf er wahrnimmt und welchem Ruf er folgt.“Gemeint ist der innere Ruf nach dem Anderen, dem fehlenden Teil, um mit ihm zu verschmelzen, zur Einheit zu werden. Dies führt zur Eigenliebe und der daraus erwachsenden Fähigkeit, auch seinen Mitmenschen, seiner Umwelt Liebe zu geben.
Wie die bisherigen Trilogie-Teile ist auch „Der Ruf“eine in sich geschlossene Handlung. „Das Rauschen der Flügel“(Teil 1) schilderte die adoleszente Begegnung eines Individuums mit der Welt: Frau und Mann verpassen einander. In „Rebellion“(Teil 2) ging es um die parallele Suche von Frau und Mann nach der Gemeinsamkeit, die nicht gefunden werden kann, und um das Rebellieren als Teil von Respekt.
Man kann die Trilogie „Fidèles d’amour“(Anhänger der Liebe) auch als Hommage des 78-jährigen Theatermachers an Ulrike Kaufmann sehen. Sie war die Liebe seines Lebens und – bis zu ihrem Tod 2014 –Mitstreiterin auf der künstlerischen Entdeckungsreise und Suche nach einer Form des Theaters, das durch assoziative Bildgewalt die Fantasie beflügelt. So erzählt sich symbolisch in Gestalt eines alten Paares, das in allen Trilogie-Teilen das Geschehen betrachtet, auch die Arbeit dieses Künstlerpaars.
„Alles, was wir machen, ist nicht darstellbar, daher müssen wir Mittel anwenden, die den Menschen dazu anzustoßen, sich eigene Gedanken zu machen“, sagt Piplits. Seine Theaterleidenschaft, vermutet er, sei aus einem Schreck heraus entstanden. Seine Mutter habe einen regelrechten Totenkult gepflegt und ihn jede Woche auf den Friedhof mitgenommen. Danach habe er immer auf dem Schafberg zum Ringelspiel gedurft. Zudem habe er ein kleines Puppentheater besessen, das sein Vater eines Tages in einem Wutanfall zerstört habe. „Vielleicht war dieser Schock eine Art Initial“, sagt Erwin Piplits. Begonnen hat der gelernte Textildrucker mit Theaterplastik, Bühnenbildern, Kostümen, dem Bau von Masken und Figuren.
1973 reichten sich die Bühnenbildstudentin Ulrike Kaufmann und er zum ersten Mal die Hand: Die beiden gründeten die FigurenTheatergruppe „Pupodrom“, mit der sie durch die Lande zogen. „So wie Picassos Vater das Genie seines Sohnes erkannte und daraufhin selbst das Malen aufgab, überließ ich Uli Kaufmann und ihrer unerschöpflichen Kreativität alles Bildnerische“, sagt Piplits. Bis hin zur Auswahl der Stoffe hätten sie zu einer Gemeinsamkeit gefunden, in der aber jeder seine Eigenständigkeit habe behalten können. „Wir haben vierzig Jahre über das Theater gestritten“, sagt er lachend.
1980 gründeten Erwin Piplits und Ulrike Kaufmann das Serapions Ensemble, das seit 1988 im Odeon, der einstigen Börse für landwirtschaftliche Produkte im Zweiten Bezirk in Wien, beheimatet ist. Es folgten aufsehenerregende Produktionen, die durch Bearbeitung philosophischer Themen beeindruckten: mit fantastischen, grotesken Bildern, mit Kostümen, die sich wie durch Zauberei durch eine Vielzahl von Schichten immer wieder verwandelten, mit Masken, Figuren, Objekten sowie ausdrucksstarkem Musikund Tanztheater, das fast ganz auf Sprache verzichtete.
Charakteristisch für die Arbeiten des Serapions Ensembles ist, dass über einen langen Zeitraum miteinander geforscht und experimentiert wird und ein Thema das nächste bedingt. Jede Produktion ergibt ein Gesamtbild, das sich bis ins Detail – sogar bis hin zu den Eintrittskarten – fortsetzt. Aus seiner unermesslichen Bibliothek schöpft Erwin Piplits Material für seine Ideen. „Auch wenn ich noch so viel lese – ich muss in eine Szene hineinschauen, dann kommt die Idee“, sagt der Theatermacher, „es kann nur funken, wenn es etwas gibt, was man als Freiheit erkennen kann.“
Als Ulrike Kaufmann mit 61 Jahren starb, entschied er sich, trotzdem weiterzumachen. In ihrem gemeinsamen Sohn Max Kaufmann, der mit dem Serapions Ensemble aufgewachsen ist, hat er seinen neuen Künstlerischen Leiter.
Für die Trilogie „Fidèles d’amour“bildete der Theateridea- list ein neues Team mit dem Tänzer und Choreografen Mario Mattiazzo und der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Ivana Rauchmann, die aus dem von Erwin Piplits zusammengetragenen Probenmaterial auch Texte verfasst hat.
Wenn man Erwin Piplits bei den Endproben zu „Der Ruf“im Odeon zusieht, glaubt man beinahe, einen kleinen Buben vor sich zu haben, der mit Offenheit und Neugier jede noch so kleine Bewegung seiner Darsteller verfolgt. Im Odeon hat man das Gefühl, sich an einem magischen Ort zu befinden, an dem eine Atmosphäre fast heiliger Ruhe herrscht, wo gleichberechtigte kreative Zusammenarbeit stattfindet, die von großem Respekt füreinander geprägt ist.
Erwin Piplits arbeitet zwölf Stunden am Tag, erst mit der Bühnentechnik, dann auf der Probe mit dem sechzehnköpfigen Ensemble, anschließend noch in der Werkstatt. Er sagt, wenn er das Theater verlasse, sei es, als ob sein Stecker gezogen würde.
Theater: „Der Ruf“, 3. Teil der Trilogie „Fidèles d’amour“, Serapions Ensemble, Odeon, Wien, ab 15. Februar.
„Welchen Ruf nimmt man wahr?“Erwin Piplits, Theatermacher