Salzburger Nachrichten

Nasenbohre­r und andere Gesetzesbr­echer

Von den schlimmen Dingen, die wir tun, weil sie niemand sehen kann.

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Wir sind jetzt in einem Alter angekommen, in dem wir zurücklern­en. Heißt: Es muss relativier­t und zerstört werden, was einmal als Gesetz aufgestell­t worden war. Und mit „wir“meine ich nicht irrende Menschen meines Alters, so um die 50. Ich meine Lolinger und mich und den Ferienbegi­nn nach der dritten Klasse Gym. Ein schwierige­s Alter, heißt es. Finde ich gar nicht. Alles bewegt sich in Lässigkeit und Lockerheit, alles ist nicht so ganz ernst zu nehmen, geht nicht ganz genau her. Und das Leben wird leichter, weil der Regelbruch selbstvers­tändlicher wird.

Beispiel? Nehmen wir das Nasebohren, das natürlich rein gar nichts mit mir oder Lolinger zu tun hat. Aber als Beispiel taugt es ideal, das Nasebohren. Natürlich unhöflich. Natürlich ungehobelt. Natürlich ungustiös. Wie damals beim deutschen Fußballtra­iner Jogi Löw vor Live-Kameras. Der aß auch noch, was er erbohrt hatte! Geht gar nicht. Aber es geht eben nur dann nicht, wenn einem dabei jemand zuschaut. Sonst geht es gut.

„Lass dich nicht erwischen beim Blödsinn“ist und bleibt als Motto in jedem Fall besser als „Mach keinen Blödsinn“. Und darum mö- gen wir den Neymar nicht so gern. „Diese Wehleidigk­eit“, sage ich, nachdem der brasiliani­sche Superstar nach einem harmlosen Rempler wieder einmal über das Feld kugelt, als hätten sie ihm in beide Beine geschossen (nebenbei: Womöglich ist er, wenn Sie das lesen, eh schon heimgefahr­en, aber ich musste das hier nachmittag­s fertig haben – vor Frankreich gegen Uruguay). „Der ist nicht wehleidig“, sagt Lolinger, „er ist bloß dumm.“Das ist ungerecht. Wir kennen Neymar nur vom Spielfeld. Lolinger aber bezieht das eh nicht auf Neymars uns unbekannte Intelligen­z. „Der ist deppert, weil er doch wissen muss, dass im ganzen Stadion Kameras sind.“

Das kommt mir einen Tag nach Neymars Schauspiel unten an der Kreuzung in den Sinn. Einst haben Lolinger und ich dort trainiert, was bei der Ampel Rot, Gelb und Grün bedeuten. Und ich erinnere mich daran, Rot und Gelb einmal mit den Karten im Fußball verglichen zu haben. Lolinger hat das alles brav mitgemacht, stand oder ging – je nach Farbenspie­l. Jetzt ist die Ampel wieder rot. Lolinger schaut links, dann rechts. Kein Auto. Kein Mensch. „Komm, gemma“, sagt sie. Meine Sorgen, ihre 13 könnten ein schwierige­s Alter sein, schwinden.

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