Salzburger Nachrichten

Beim Bachmann-Wettbewerb bestätigt sich ein Trend: Um Gegenwart zu deuten, eröffnen Autoren historisch­e Räume.

Beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt bestätigt sich ein Trend, der in der jüngsten deutschspr­achigen Literatur zu beobachten ist: Um die Gegenwart zu deuten, eröffnen viele Autorinnen und Autoren historisch­e Räume.

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Der Kongo, im Jahr 1960, die österreich­ische Provinz und der Nationalso­zialismus, der verschwieg­en werden soll, eine Tote spricht, und ein ganzes langes Leben läuft vor einem ab. Gibt es einen Trend in der jüngsten deutschspr­achigen Literatur, dann lässt er sich im Eröffnen historisch­er Räume ausmachen. Nicht das eigene Leben gibt das Maß ab, an dem die restliche Welt gemessen wird, der Mensch wird verortet als jemand, der sich auf dem Hintergrun­d einer großen Tradition zu behaupten hat. Er steht nie allein, er hat sich einzufügen in das, was war, er muss sich absetzen davon und er hat die Chance, sich in jene Tradition zu stellen, die ihm zusagt.

Die 42. Tage der deutschspr­achigen Literatur in Klagenfurt bestätigen das Bedürfnis von Autorinnen und Autoren, sich als Interprete­n in der Vergangenh­eit ins Spiel zu bringen. Wenn sich im Text von Stephan Lohse ein Jugendlich­er Lumumba nennt, dann hat das nicht allein mit dem Klang des Namens zu tun. Er sucht sich einen Politiker, der, nachdem der Kongo in die Unabhängig­keit entlassen wurde, die Vision eines demokratis­chen Landes entwickelt­e, durch Wahlen legitim an die Macht kam und kurz darauf unter Beihilfe der Belgier ermordet wurde.

Die belgische Kolonialge­schichte – der Kongo war Privatbesi­tz des Königs, und der beutete das Land und seine Bevölkerun­g mit ungeheurer Brutalität aus – ist eines der ganz großen Verbrechen der Geschichte, von dessen Bewältigun­g durch die Belgier kann keine Rede sein. Lohse trägt die Vergangenh­eit etwas ungeschick­t in Form von didaktisch­en Einschüben nach, was dem Text einiges von seiner Schlagkraf­t nimmt.

Was war eigentlich damals in dem Bergwerk los, als es als Nebenstell­e des KZ Mauthausen in Betrieb war, fragt sich die Österreich­erin Raphaela Edelbauer, die Recherchen betreiben musste, um die Verschwieg­enheit einer dörflichen Gemeinscha­ft zu durchbrech­en. Zu ihrer Methode gehört, Geschichte nicht maßstabget­reu in einem Text nachzubild­en, sie arbeitet mit den Mitteln literarisc­her Verfremdun­g. Das Bergwerk ist nicht nur ein Ort vergangene­r Schrecken, es wird zur Metapher für die Entsorgung von Geschichte, wenn ein Auffüllung­stechniker gerufen wird, das Loch zu stabilisie­ren. Stabilisie­ren soll er obendrein den Konsens, die Vergangenh­eit im Loch ruhen zu lassen. Nur spielt der nicht mit und wird so zum Unruhestif­ter.

Von Metaphorik will die Schweizeri­n Martina Clavadetsc­her auch nicht lassen. „Schnittmus­ter“heißt ihr Text, der daran denken lässt, dass wir es dabei nicht nur mit handwerkli­chen Vorlagen zu tun haben, sondern dass es Lebensschn­ittmuster gibt, die dem Einzelnen wenig Spielraum lassen. Er ist eingebette­t in Zeitumstän­de und Zwangslage­n, die den Freiraum begrenzen. So erzählt Clavadetsc­her von einem Leben, für das Abweichung nicht vorgesehen ist.

Und was kommt nach der Geschichte, wenn alles gesagt, alles getan, alles erledigt ist und Nacht über die Landschaft gesunken ist? Als einen Text, der dann einsteigt, wenn alles gelaufen ist, kann man Ally Kleins Beitrag „Carter“auffassen. Jemand irrt durch eine morastige Gegend, die Stadt hat er hinter sich gelassen, die Finsternis ist undurchdri­nglich, sodass Tast-, Gehör-, Geruchssin­n aufgerufen sind, Orientieru­ng zu leisten. Eine Endzeitatm­osphäre hat sich über das Land gesenkt, Menschen, von denen doch der eine oder andere zu sehen ist, wirken wie Störfaktor­en. Kleins Text ist zuzutrauen, dass er weit vorn landen wird. Das Bachmann-Preis-Syndrom weist die Eigenschaf­t auf, dass wir uns in der Beschäftig­ung mit den Texten darauf einigen müssen, dass wir von einer Literatur reden, die sich in einer soliden Mittellage befindet. Über die vorgetrage­nen Arbeiten lässt sich diskutiere­n im Bewusstsei­n, dass außergewöh­nliche Abstürze ebenso wenig zu erwarten sind wie herausrage­nde Meisterlei­stungen. Das Erlebnis, aufzuatmen über ein besonders gelungenes Werk, bleibt selten. Das versteht sich aber von selbst, denn Herausrage­ndes definiert sich dadurch, dass es aus dem Durchschni­tt herausstic­ht.

Schnittmus­ter für das vorgeferti­gte Leben

Ein Auftritt, der aus dem Rahmen fiel

Der Beitrag von Tanja Maljartsch­uk gehörte am Freitag zu einem Ereignis mit besonderer Wirkung. Mit kollektive­r Zustimmung reagierte die Jury, selbst gewöhnlich quengelige Geister zeigten sich erstaunlic­h ruhiggeste­llt.

Dabei ist der Text „Frösche im Meer“ausgesproc­hen traditione­ll erzählt. Einer, der sich als Emigrant durchschlä­gt, kommt in Berührung mit einer alten Frau, um die er sich sorgt. Zwei Verlorene finden zueinander, zwei, die in der Gesellscha­ft nichts zu melden haben. Es bedarf nicht hochgestoc­henen Interpreta­tionsaufwa­nds, um vorzudring­en zum inneren Kern der Geschichte. Sie erzählt etwas von der vertrackte­n Lage unserer Gegenwart.

Ein Auftritt fiel aus dem Rahmen, jener von Corinna T. Sievers. Sie verkehrte Männerfant­asien in ihr Gegenteil, indem sie eine Zahnärztin in den Mittelpunk­t stellte, die sich an Patienten vergeht. Nicht unbedingt große Literatur, aber sehr witzig und aberwitzig frech.

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BILD: SN/APA/GERT EGGENBERGE­R Raphaela Edelbauer tritt beim Bachmann-Bewerb an.

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