„Es geht nicht um Zensur“
Die Debatte um das Urheberrecht geht weiter: Kommt die EU-Reform, werde jedes Posting auf YouTube & Co. zensiert, sagen Netzaktivisten. Von „Mythen“spricht der Leiter des Musikverbands.
Das Ergebnis fiel knapp aus: 318 Abgeordnete waren gegen den Entwurf, 278 dafür. Vor wenigen Tagen kippte das EU-Parlament Pläne zur Reform des Urheberrechts. Wäre die Reform gekommen, hätten YouTube, Facebook & Co. Filme oder Musik beim Hochladen prüfen und die Rechteinhaber vergüten müssen. Im Interview wehrt sich Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbands der Musikwirtschaft (IFPI), gegen Zensurvorwürfe. Er spricht von einer fehlgeleiteten Diskussion. Und er befürchtet, dass die „Lobbyingschlacht“weitergeht. SN: Herr Medwenitsch, die Reaktionen auf den EU-Entscheid reichen von „Tod des Internets abgewendet“bis „kultureller Diebstahl bleibt legal“. Was war Ihr erster Gedanke? Franz Medwenitsch: Heute ist ein schlechter Tag für die europäischen Kreativschaffenden. Das war mein erster Gedanke. SN: Müssen Sie als Vertreter der Musikwirtschaft nicht dieser Ansicht sein? Ja, aber ich sage das nicht nur als Branchenvertreter, sondern mit Überzeugung. Und es sagen auch Filmschaffende, Autoren, Zeitungsverlage. Es geht bei der europäischen Kreativwirtschaft um einen Sektor mit zwölf Millionen Jobs. SN: Aber würde sich die Privatperson Franz Medwenitsch tatsächlich darüber freuen, wenn künftig all das, was er ins Netz stellt, geprüft wird? Die Privatperson würde Ihnen dasselbe sagen wie die Berufsperson. Es ist eine der bewusst gestreuten Fehlinformationen, dass das gesamte Internet gefiltert werden muss. Es geht um Artikel 13 der Copyright-Richtlinie – und dieser gilt nur für User-Upload-Content-Services wie YouTube. Online-Lexika, Cloud-Services, Open-Source-Plattformen, Ebay oder der gesamte Bildungssektor sind ausgenommen. Sie werden das Wort Uploadfilter in der Richtlinie vergeblich suchen. SN: Was ist dann Ihr Ziel? Es geht uns um mehr Fairness. Nutzer laden die Inhalte hoch, die die Plattformen optimieren, distribuieren und gewinnbringend vermarkten. Wenn eine Plattform eine derart aktive Rolle einnimmt, muss sie sich wie ein klassisches Medium behandeln lassen. Für klassische Medien ist es völlig normal, für Lizenzen zu bezahlen. Es geht nicht um Zensur, nicht um Filterung. Die Technologie soll vielmehr helfen, bestimmte Inhalte – auf Basis der Daten, die die Rechteinhaber zur Verfügung stellen – zu erkennen. SN: Die Verbreitung soll also nicht verhindert werden? Nein, es soll gar nichts verhindert werden – aber es soll eine faire Vergütung für kreative Leistung geben. Vergütungen für die Rechteinhaber sind bei Spotify oder anderen AboDiensten stets selbstverständlich gewesen. Nur YouTube gibt an, bloß ein neutraler technischer Dienstleister zu sein. Die Copyright-Richtlinie würde die Voraussetzung schaffen, dass sich YouTube & Co. mit der Kreativwirtschaft an den Verhandlungstisch setzen müssen. SN: Aber YouTube bietet mit Content ID schon eine automatisierte Musikerkennung. Ja, aber das ist eine einseitige und nicht sehr transparente Maßnahme. Wir wissen nicht, was bei der Content ID aufgrund welcher Angaben erkannt wird. Wir möchten Kooperationsmodelle. SN: Und wie teuer ist die Software für die Inhaltserkennung? Können sich kleine Plattformen diese überhaupt leisten? Im Grunde sind es Fingerprinttechnologien. Und da gibt es Anbieter, die sich speziell an kleine und mittlere Firmen richten. Die Pakete beginnen in den schmalsten Varianten bei 1000 Dollar (850 Euro, Anm.) pro Monat. Dass Start-ups damit verhindert werden, ist ein Mythos. SN: Es ist immer wieder von beispiellosem Lobbying der IT-Riesen die Rede. Aber hat nicht auch Ihr Verband lobbyiert? Selbstverständlich. Man kann niemand zum Vorwurf machen, seine Interessen zu vertreten. Die Frage ist nur, wie man lobbyiert. Wir haben nicht an die 1000 E-Mails pro Tag an die EU-Abgeordneten geschickt oder sie mit Hunderten Anrufen bombardiert. Das war Brutalo-Lobbying der Tech-Riesen unter aufgeregter Beteiligung von Netzaktivisten und einzelner Akademiker. SN: Wie geht es nun weiter? Ist zu erwarten, dass die Reform noch zustande kommt? Nun gehen die Verhandlungen im Parlamentsplenum weiter; eine inhaltliche Entscheidung steht für Mitte September auf der Tagesordnung. Die vergangene Entscheidung ist sehr knapp ausgegangen. Man darf auch nicht vergessen, dass 124 Abgeordnete nicht anwesend waren. Ich bin deshalb mehr als nur zweckoptimistisch. Die Kreativbranche muss durch eine regulatorische Lösung eine Position bekommen, in der sie auf Augenhöhe mit den Plattformen verhandeln kann. Aber bis dahin wird es wohl noch eine Lobbyingschlacht geben. Franz Medwenitsch