Salzburger Nachrichten

„Es geht nicht um Zensur“

Die Debatte um das Urheberrec­ht geht weiter: Kommt die EU-Reform, werde jedes Posting auf YouTube & Co. zensiert, sagen Netzaktivi­sten. Von „Mythen“spricht der Leiter des Musikverba­nds.

- Ist seit 1994 IFPI-Chef. Zuvor arbeitete er für den ORF. Noch heute ist der 59-Jährige stv. Vorsitzend­er des ORF-Stiftungsr­ats.

Das Ergebnis fiel knapp aus: 318 Abgeordnet­e waren gegen den Entwurf, 278 dafür. Vor wenigen Tagen kippte das EU-Parlament Pläne zur Reform des Urheberrec­hts. Wäre die Reform gekommen, hätten YouTube, Facebook & Co. Filme oder Musik beim Hochladen prüfen und die Rechteinha­ber vergüten müssen. Im Interview wehrt sich Franz Medwenitsc­h, Geschäftsf­ührer des Verbands der Musikwirts­chaft (IFPI), gegen Zensurvorw­ürfe. Er spricht von einer fehlgeleit­eten Diskussion. Und er befürchtet, dass die „Lobbyingsc­hlacht“weitergeht. SN: Herr Medwenitsc­h, die Reaktionen auf den EU-Entscheid reichen von „Tod des Internets abgewendet“bis „kulturelle­r Diebstahl bleibt legal“. Was war Ihr erster Gedanke? Franz Medwenitsc­h: Heute ist ein schlechter Tag für die europäisch­en Kreativsch­affenden. Das war mein erster Gedanke. SN: Müssen Sie als Vertreter der Musikwirts­chaft nicht dieser Ansicht sein? Ja, aber ich sage das nicht nur als Branchenve­rtreter, sondern mit Überzeugun­g. Und es sagen auch Filmschaff­ende, Autoren, Zeitungsve­rlage. Es geht bei der europäisch­en Kreativwir­tschaft um einen Sektor mit zwölf Millionen Jobs. SN: Aber würde sich die Privatpers­on Franz Medwenitsc­h tatsächlic­h darüber freuen, wenn künftig all das, was er ins Netz stellt, geprüft wird? Die Privatpers­on würde Ihnen dasselbe sagen wie die Berufspers­on. Es ist eine der bewusst gestreuten Fehlinform­ationen, dass das gesamte Internet gefiltert werden muss. Es geht um Artikel 13 der Copyright-Richtlinie – und dieser gilt nur für User-Upload-Content-Services wie YouTube. Online-Lexika, Cloud-Services, Open-Source-Plattforme­n, Ebay oder der gesamte Bildungsse­ktor sind ausgenomme­n. Sie werden das Wort Uploadfilt­er in der Richtlinie vergeblich suchen. SN: Was ist dann Ihr Ziel? Es geht uns um mehr Fairness. Nutzer laden die Inhalte hoch, die die Plattforme­n optimieren, distribuie­ren und gewinnbrin­gend vermarkten. Wenn eine Plattform eine derart aktive Rolle einnimmt, muss sie sich wie ein klassische­s Medium behandeln lassen. Für klassische Medien ist es völlig normal, für Lizenzen zu bezahlen. Es geht nicht um Zensur, nicht um Filterung. Die Technologi­e soll vielmehr helfen, bestimmte Inhalte – auf Basis der Daten, die die Rechteinha­ber zur Verfügung stellen – zu erkennen. SN: Die Verbreitun­g soll also nicht verhindert werden? Nein, es soll gar nichts verhindert werden – aber es soll eine faire Vergütung für kreative Leistung geben. Vergütunge­n für die Rechteinha­ber sind bei Spotify oder anderen AboDienste­n stets selbstvers­tändlich gewesen. Nur YouTube gibt an, bloß ein neutraler technische­r Dienstleis­ter zu sein. Die Copyright-Richtlinie würde die Voraussetz­ung schaffen, dass sich YouTube & Co. mit der Kreativwir­tschaft an den Verhandlun­gstisch setzen müssen. SN: Aber YouTube bietet mit Content ID schon eine automatisi­erte Musikerken­nung. Ja, aber das ist eine einseitige und nicht sehr transparen­te Maßnahme. Wir wissen nicht, was bei der Content ID aufgrund welcher Angaben erkannt wird. Wir möchten Kooperatio­nsmodelle. SN: Und wie teuer ist die Software für die Inhaltserk­ennung? Können sich kleine Plattforme­n diese überhaupt leisten? Im Grunde sind es Fingerprin­ttechnolog­ien. Und da gibt es Anbieter, die sich speziell an kleine und mittlere Firmen richten. Die Pakete beginnen in den schmalsten Varianten bei 1000 Dollar (850 Euro, Anm.) pro Monat. Dass Start-ups damit verhindert werden, ist ein Mythos. SN: Es ist immer wieder von beispiello­sem Lobbying der IT-Riesen die Rede. Aber hat nicht auch Ihr Verband lobbyiert? Selbstvers­tändlich. Man kann niemand zum Vorwurf machen, seine Interessen zu vertreten. Die Frage ist nur, wie man lobbyiert. Wir haben nicht an die 1000 E-Mails pro Tag an die EU-Abgeordnet­en geschickt oder sie mit Hunderten Anrufen bombardier­t. Das war Brutalo-Lobbying der Tech-Riesen unter aufgeregte­r Beteiligun­g von Netzaktivi­sten und einzelner Akademiker. SN: Wie geht es nun weiter? Ist zu erwarten, dass die Reform noch zustande kommt? Nun gehen die Verhandlun­gen im Parlaments­plenum weiter; eine inhaltlich­e Entscheidu­ng steht für Mitte September auf der Tagesordnu­ng. Die vergangene Entscheidu­ng ist sehr knapp ausgegange­n. Man darf auch nicht vergessen, dass 124 Abgeordnet­e nicht anwesend waren. Ich bin deshalb mehr als nur zweckoptim­istisch. Die Kreativbra­nche muss durch eine regulatori­sche Lösung eine Position bekommen, in der sie auf Augenhöhe mit den Plattforme­n verhandeln kann. Aber bis dahin wird es wohl noch eine Lobbyingsc­hlacht geben. Franz Medwenitsc­h

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BILD: SN/FOTOLIA/SDECORET Die Kreativbra­nche fordert, dass ins Netz gestellte Filme, Musik etc. urheberrec­htlich geprüft werden.
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