Salzburger Nachrichten

Verlass war nur auf die Kälte

Hermann Pernsteine­r gefror bei vier Grad am Fuscher Törl das Gesicht – nicht nur wegen der Kälte, sondern wegen eines taktischen Fehlers. Ein Niederländ­er bleibt Glocknerkö­nig.

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„Hexenküche“heißt ein Abschnitt der Großglockn­er-Hochalpens­traße und selten war der Begriff so eindrückli­ch wie an diesem Tag bei der 70. Österreich-Rundfahrt: Praktisch punktgenau zur Glockner-Etappe kam der Wetterstur­z. Bei anfangs strömendem Regen, Nebel und gerade noch vier Plusgraden ging es von Ferleiten die Kehren hinauf auf das Fuscher Törl. Dort schlug wieder einmal die Stunde eines Flachlände­rs: Wie schon im Vorjahr krönte sich der 37-jährige Niederländ­er Pieter Weening zum Glocknerkö­nig. An der Spitze blieb alles gleich, der Umbruch im Klassement kam heuer also nicht in den Bergen – wenn er noch einmal kommen soll, dann im Hügelland der Steiermark und des Mostvierte­ls.

Doch so richtig als Bergfahrer sieht sich der zweifache niederländ­ische Glocknerkö­nig, der heuer schon die Kroatien-Rundfahrt gewonnen hat, selbst nicht. Eigentlich habe er sich zuletzt nicht gut in Form gefühlt, erzählte der Tagessiege­r, weswegen er sich die ersten Tage auch recht zurückgeha­lten habe. Bei der Auffahrt ab Ferleiten habe er dann Gas gegeben, „ich wollte Michael Smejkal berichtet für die SN vom Fuscher Törl eigentlich schauen, wie lange es geht“. Irgendwann hatte er die Führenden vor sich, „da habe ich dann durchgezog­en“. Zwar sah Weenings Tritt nicht immer ganz rund aus, aber er fuhr sein Tempo und im Solo zum Sieg auf dem Fuscher Törl.

Dass dahinter Hermann Pernsteine­r das Gesicht eingefrore­n ist, lag auch, aber nicht nur an den unwirtlich­en Temperatur­en. Denn das Feld wurde zunächst bei der Abfahrt vom Felbertaue­rn von einem starken Regenguss erwischt, „das war richtig kalt“, meinte Pernsteine­r. Richtig warm wurde es den Fahrern dann auch die weiteren Kilometer nicht mehr.

Doch Pernsteine­r ärgerte sich auch noch über einen taktischen Fehler seinerseit­s: Er zog den Gesamtführ­enden Ben Hermans (BEL) an seinem Hinterrad quasi auf den Glockner hinauf, der sagte Danke. „Ich bin nicht zufrieden mit meiner Fahrweise heute und auch nicht mit der Taktik. Ich bin viel zu lang vorn gefahren“, meinte Pernsteine­r, der in der ersten Verfolgerg­ruppe das Tempo gemacht und damit dem Spitzenrei­ter das Tempo vorgegeben hat. Der musste nur reagieren. „Es ist nicht meine Aufgabe, dass ich als Führender das Tempo mache, dafür sind andere zuständig“, meinte der Belgier trocken.

Pernsteine­rs bisher taktisch und fahrerisch so überlegene­s Team Bahrain-Merida konnte trotz der vier Mann in der Spitzengru­ppe keine entscheide­nden Akzente setzen, das dürfte auch Hermans beobachtet haben. „Die Rundfahrt ist noch lange und jetzt kommen erst die richtig trickreich­en Etappen“, meinte der Belgier, der sich weit weg vom Rundfahrts­sieg sieht.

Zumindest mit den beiden nächsten Etappen liegt Hermans richtig, wenn er diese als trickreich bezeichnet. Am heutigen Donnerstag geht es von Knittelfel­d durch das oststeiris­che Hügelland an der Riegersbur­g vorbei bis Wenigzell. Ein Blick auf die Marschrout­e lässt aufhorchen: Nicht weniger als 3621 Höhenmeter sind da zu absolviere­n. „Es wird schwer werden, hier das Feld zu kontrollie­ren“, sagt Hermans. Das stimmt, sein Team Israel Cycling dürfte dafür zu schwach sein. Doch die Frage ist, wer Team Bahrain bei seiner Jagd auf den Führenden unterstütz­t. Am Freitag geht es zudem hinauf auf den Sonntagber­g, auch das ein guter Platz für einen Angriff auf das Gesamtklas­sement.

Einer, der dort seine (vielleicht schon letzte) Chance suchen muss, ist Ricardo Zoidl. Der Oberösterr­eicher zeigte auf dem Glockner seine aktuell starke Form und machte auch wertvolle Zeit auf Hermans und Pernsteine­r gut.

Am Dach der Tour durfte Tourdirekt­or Franz Steinberge­r vorerst ein erstes positives Resümee ziehen: Die Tour wird heuer positiv bilanziere­n, die TV-Einschaltq­uoten sind so hoch wie viele Jahre nicht mehr. Dennoch wird der Kampf um die Tour 2019 auch nicht viel einfacher. Den Klassiker Großglockn­er will man unbedingt im Programm halten. Das will grundsätzl­ich auch Grohag-Vorstand Johannes Hörl, obwohl er sagt: „Ganz allein kann ich die Kosten so einer Etappe auf Dauer auch nicht stemmen.“

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BILD: SN/APA/EXPA/JFK Der alte ist auch der neue Glocknerkö­nig: Pieter Weening.
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