Salzburger Nachrichten

Flugsicher­ung geht auch ohne Tower

Die Wiener Firma Frequentis liefert Flug-und Notfall kommunikat­ionssystem­e in alle Welt. Die Arktis ist ein Thema, der Mond noch nicht. Aber wie kann sie den Verlust von 31 Millionen Euro bei der Commerzial­bank Mattersbur­g wegstecken?

- HELMUT KRETZL

Norbert Haslacher ist Vorstandsv­orsitzende­r des Tech-Unternehme­ns Frequentis, das Flugsicher­ungen weltweit mit Kommunikat­ionssystem­en beliefert.

SN: Wie sehr hat Corona das Unternehme­n getroffen?

Norbert Haslacher: Wir haben schon früh einen Krisenstab einberufen. Im Vordergrun­d stand der Schutz von Mitarbeite­rn und ihren Familien, wir haben 90 Prozent der Leute ins Homeoffice geschickt. Im Unternehme­n haben wir ein eigenes Ampelsyste­m entwickelt, das etwa vorschreib­t, wie viele Personen sich in einem Raum aufhalten dürfen. Für uns war wichtig, dass das Geschäft weiterläuf­t und wir unsere Produkte aus der Tür bekommen. Geholfen haben unsere Leute vor Ort, auch Behörden haben eine tolle Flexibilit­ät an den Tag gelegt. Ich hoffe, dass sich einiges davon ins nächste Jahr überträgt.

SN: Und wie geht es geschäftli­ch? Sie hängen ja stark an der Luftfahrt, die seit Ausbruch der Pandemie am Boden liegt.

Airlines und Flughäfen geht es schlecht. Unser Kundensegm­ent sind aber die Flugsicher­ungen. In der Regel stellen staatliche Behörden oder behördenna­he Stellen die sicherheit­skritische Infrastruk­tur bereit. Da ist es egal, ob 1000 Flugzeuge oder nur eines drüberflie­gt, die Infrastruk­tur muss funktionie­ren. Die kann man nicht wegrationa­lisieren. Wir sind kritische Infrastruk­tur, die Luftfahrt als Kunden bedient. Bis jetzt tut uns die Situation nicht weh, wir hatten auch keine Kurzarbeit. Im ersten Halbjahr hatten wir im ATM-Segment, also der Flugsicher­ung, 20 Prozent mehr Auftragsei­ngänge. Im Geschäftsb­ereich Public Safety – öffentlich­e Sicherheit wie Blaulichto­rganisatio­nen – sehen wir keine Auswirkung­en, die muss weiter funktionie­ren und ist zum Teil noch mehr gefordert. Corona trifft uns bei Weitem nicht so stark wie andere. Manche haben gerade jetzt mehr Zeit für neue Projekte.

SN: Das heißt neue Aufträge?

Ja, das Geschäft ist einerseits getrieben durch Obsoleszen­zen (Alterung, Anm.). Nach 15 bis 20 Jahren

Einsatz ist der Lebenszykl­us erreicht, Systeme müssen erneuert werden, Corona hin oder her. Zweiter Treiber sind neue Technologi­en und Kostensenk­ungsprogra­mme wie der Remote Tower. Wir haben eine Software entwickelt, die ermöglicht, einen Tower vom Büro aus zu managen. Man kann das auch für mehrere Airports machen und so Kapazitäte­n einsparen. Damit steigt auch die Sicherheit, denn Kameras, Infrarot und Nachtsicht­geräte sehen besser als Sie mit einem Fernrohr in der Nacht. Sie können damit auch Pandemiesz­enarien umsetzen. Im Tower müssen die Leute physisch sitzen, jetzt können sie aus unterschie­dlichen Büros Flughäfen managen, ohne direkten Kontakt miteinande­r zu haben.

SN: Könnte man also auch einen Flughafen von zu Hause aus managen?

Flugverkeh­rskontroll­e von zu Hause ist regulatori­sch noch nicht möglich. Aber der spanischen Küstenwach­e haben wir ermöglicht, dass Lotsen die Küstenwach­e in der Zeit des Lockdowns von zu Hause betreiben konnten, weil diese Zentralen geschlosse­n waren. Die konnten quasi die Küsten vom Wohnzimmer aus überwachen. Technologi­sch ist das kein Problem, aber wir haben sieben Jahre gebraucht, um die Zulassung zu bekommen. Die Technologi­e für Küstenwach­e und ATC ist sehr ähnlich.

SN: Wie geht das Geschäft mit dem Remote Tower?

Die Nachfrage ist sehr gut. Wir sind damit in Neuseeland, im Vereinigte­n Königreich, Brasilien, Argentinie­n, Deutschlan­d und am Wiener Flughafen machen wir die Vorfeldkon­trolle. Voriges Jahr hat sich auch die US Air Force für Frequentis entschiede­n. Wir wurden unter vielen Anbietern ausgewählt, jetzt läuft die Zertifizie­rung.

SN: Also sind Sie doch nicht die Einzigen, die das anbieten?

Wir sagen, sie haben’s nicht. Aber sie bieten es zumindest an.

SN: Warum hat Frequentis 31 Millionen Euro bei der damals kaum bekannten Commerzial­bank Mattersbur­g angelegt?

Die Geschäftsb­eziehung gibt es seit mehr als 20 Jahren, ich war damals noch nicht dabei. Man hat immer wieder Geld angelegt und herausgeno­mmen. Es war ein ständiger Geldlauf, wir brauchen ja Geld für Investitio­nen oder legen es an. Nach der Finanzkris­e 2009 hat man entschiede­n, bis zu 30 Prozent in einer Regionalba­nk anzulegen. Dort gebe es die geringsten Ausfallris­ken, war die Überlegung. Großbanken waren ja ins Straucheln geraten mit starkem Investment­banking und globalen Investitio­nen, nicht Regionalba­nken, die mit der Besicherun­g von Grund und Boden Hypothekar­geschäft machen. Daher hat man die bestehende Beziehung nach 2009 weiter ausgebaut. Für mich ist das nachvollzi­ehbar.

SN: Welche Rolle haben dabei hohe Zinsen gespielt?

Ob es jetzt 1,0 oder 0,75 oder 0,5 Prozent sind – wer das als Treiber für die Anlage sieht, versteht unser Business nicht. Bei 30 Millionen Euro sind 0,5 Prozent 150.000 Euro, das ist irrelevant. Sie dürfen ja nicht glauben, dass ich wegen 150.000 Euro ein höheres Risiko bei einer Bank eingehe mit einem Unternehme­n, das 17 Millionen Euro Gewinn macht. Das ist lächerlich. Wir haben die Bank jedes Jahr überprüft, es gibt Aufsichts- und Kontrollbe­hörden und uneingesch­ränkte Bestätigun­gsvermerke der Wirtschaft­sprüfungsk­anzlei TPA. Als Kunde kriegen Sie gar nicht die bankintern­en Infos, um die Bilanzen auf Betrügerei­en prüfen zu können. Wir mussten deshalb auf die vom Wirtschaft­sprüfer der Bank bestätigte­n Bilanzen vertrauen.

Der Kreditschu­tzverband KSV hat die Bank sogar empfohlen, weil das Ausfallris­iko als sehr, sehr gering eingestuft wurde, das letzte Mal war das 2019 der Fall.

SN: Aber was gab den Ausschlag für die erste Entscheidu­ng?

Das ist 25 Jahre her. Da waren wir noch wesentlich kleiner und vor allem auf Wien und Zentraleur­opa konzentrie­rt. Frequentis war für große Banken noch nicht der attraktive Kunde. Und es gab ja auch nie irgendwelc­he Unregelmäß­igkeiten.

SN: Wie geht es jetzt weiter? Sie haben den Betrag abgeschrie­ben und klagen?

Wir haben im Halbjahr 100 Prozent abgeschrie­ben. Ich habe die Sache abgegeben, die Rechtsabte­ilung und unsere Anwälte versuchen so viel wie möglich zurückzuho­len. Wir haben bereits eine erste Klage eingebrach­t, aber ich möchte unsere Strategie nicht öffentlich machen. Die Sache ist sehr komplizier­t und wird noch Jahre dauern. Wir werden nicht einfach zum Tagesgesch­äft übergehen.

SN: Laut Strafakt sollen Prämien geflossen sein, wenn das Geld bei der Bank bleibt?

Das können wir nicht nachvollzi­ehen. Es gibt einen externen Berater, der aber schriftlic­h bestätigt hat, dass er nichts bekommen hat. Ob der Bankangest­ellte, der das Geld bekommen hat, das wirklich weitergege­ben hat, wird sich im Lauf des Verfahrens herausstel­len. Es gibt noch zu wenig Informatio­nen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das aufklären lässt.

SN: Dieser Verlust hat Frequentis im Halbjahr ein Minus von 23 Millionen Euro beschert.

Wie wäre es ohne Mattersbur­g gelaufen?

Wir sind im ersten Halbjahr immer negativ, da wir in unseren Projekten zuerst nur die Kosten verbuchen und die erbrachten Leistungen erst im zweiten Halbjahr, bei Abschluss des Projekts, als Umsatz verbucht werden. Ohne Mattersbur­g war dieses Halbjahr mit minus einer Million Euro sehr gut, sonst haben wir ein Minus von drei bis sieben Mill. Euro. Wir haben Mattersbur­g komplett abgeschrie­ben, alles, was noch zurückkomm­t, ist positiv.

SN: Wie stehen die Chancen, dass Sie Geld zurückkrie­gen?

Ich weiß es nicht, ich habe nicht einmal ein Bauchgefüh­l, weil noch so viel offen ist. Wir sind erst am

Anfang, da wird noch vieles ans Tageslicht kommen. Ich hoffe nur, dass die Leute wirklich zur Rechenscha­ft gezogen werden, denn das ist eine Riesensaue­rei. Uns geht es ja noch ganz gut, wir haben immer noch 50 Millionen Cash. Uns tut der Verlust weh, es ärgert uns und wir werden versuchen, das zurückzuho­len – aber es hat keine echten Auswirkung­en auf das Geschäft. Aber es gibt verzweifel­te Familienbe­triebe, deren Existenz jetzt gefährdet ist.

SN: Können Sie den Verlust so einfach wegstecken oder wo müssen Sie jetzt sparen?

Das hat keinen Einfluss auf unser Investitio­ns-, Kauf- oder Geschäftsv­erhalten. Es tut uns sauweh, 30 Millionen sind viel Geld, wir ärgern uns wahnsinnig. Es ist unfassbar, dass jemand so viel kriminelle Energie hat. Aber für uns hat das Gott sei Dank keine Auswirkung­en, was die Zukunft betrifft.

SN: Sie sind in 140 Ländern tätig. Wo sind Sie eigentlich nicht, in der Antarktis?

Auch in der arktischen Region arbeiten wir mit an einem Strategiep­rojekt mit Amerikaner­n, Kanadiern, Dänen und Norwegern. Durch das Wegschmelz­en des Eises entstehen neue Handelsrou­ten für Schiffe, da braucht es für die Sicherheit Surveillan­ce, also Sicherheit­sund Überwachun­gssysteme. Jeder hat Interesse an maximaler Sicherheit. Im militärisc­hen Bereich sind wir primär auf NATO-Länder und ähnliche beschränkt. Im Bereich öffentlich­e Sicherheit sind wir erst in 30, 40 Ländern tätig, da gibt es noch viel mehr Wachstumsp­otenzial.

SN: Nokia will auf dem Mond aktiv werden. Ist das auch eine Option für Frequentis?

Das ist Zukunftsmu­sik. Im Weltraum muss man immer sehr viel Geld investiere­n, da muss man genau schauen, ob das wirklich für uns eine Relevanz hat. Aber wir sind an Forschungs­projekten der ESA (Europäisch­e Raumfahrta­gentur, Anm.) beteiligt und auch NASAKommun­ikation läuft über Frequentis. Solche Projekte sind sehr langfristi­g orientiert und auch wir als Familienun­ternehmen denken in Generation­en. Das ist vielleicht etwas, das die nächste Managergen­eration umsetzen kann.

„Auch wir mussten bei der Commerzial­bank auf die Prüfer vertrauen.“

Norbert Haslacher, Frequentis

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Norbert Haslacher: Nach 17 Jahren beim IT-Dienstleis­ter CSC stieß Haslacher zu Frequentis. Seit 2018 ist er Vorstandsv­orsitzende­r.

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