Großbritannien sagt „Goodbye“
Premierministerin May wirbt im Parlament um Einigkeit des Landes und Optimismus
LONDON - Mit einer dringlichen Aufforderung zur innenpolitischen Einigkeit hat Premierministerin Theresa May den EU-Austritt ihres Landes eingeleitet. Gegen 13.20 Uhr Ortszeit übergab der britische Botschafter in Brüssel einen Brief aus London an Ratspräsident Donald Tusk. Wenig später bekräftigte May im Unterhaus: Nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages wird Großbritanniens Mitgliedschaft am 29. März 2019 nach gut 46 Jahren enden. Ihr Land wolle auch zukünftig „eine tiefe und besondere Partnerschaft“mit der EU und wünsche ihr „Erfolg und Wohlstand“, teilte die Regierungschefin mit. Tusks Erwiderung: „Wir vermissen Sie schon jetzt.“
Die Briten wünschen sich für die zweijährige Verhandlungsphase neben der Scheidungsvereinbarung auch schon die Rahmenbedingungen des neuen Verhältnisses, nicht zuletzt beim Handel mit dem Binnenmarkt. Diese Forderung wird in Mays Brief viermal wiederholt. In Brüssel gilt dieser Zeitplan als nahezu unmöglich; die Rede ist höchstens von Übergangsregelungen, in denen die Briten weiterhin am Binnenmarkt teilnehmen könnten und dafür zur Kasse gebeten würden.
Im Januar hatte May noch unverhohlen damit gedroht, sie werde notfalls den Verhandlungstisch verlassen: „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal.“Daran zweifeln Opposition und Wirtschaftsverbände. Zu Wochenbeginn brandmarkte die Lobbygruppe der Verarbeitenden Industrie EEF, die für 45 Prozent aller britischen Exporte verantwortlich ist, diese Verhandlungstaktik als „riskant und teuer“sowie „schlichtweg unakzeptabel“. Mays Brief spricht das Szenario dezent als Möglichkeit an, fügt dann aber hinzu: „Ohne eine Vereinbarung würde unsere Kooperation im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus geschwächt.“Auf ähnliche Weise verknüpft das Dokument die faire Aufteilung der britischen „Rechte und Verpflichtungen“, also Zahlungen in die EU-Kasse, mit dem Wunsch nach einem Handelsvertrag.
Keine Drohungen
Mays Statement im Unterhaus am Mittwoch enthielt keine dieser unterschwelligen Drohungen. Vielmehr baute sie Brücken nach Brüssel: „Unsere Wahl, die EU zu verlassen, war keine Ablehnung der Werte, die wir als Europäer teilen. Als europäisches Land werden wir weiterhin eine Rolle dabei spielen, diese Werte zu fördern und zu unterstützen.“May zeichnete eine optimistische Vision für ihr Land außerhalb der EU: „Wir sind eine große Vereinigung von Menschen und Nationen mit einer stolzen Geschichte und einer leuchtenden Zukunft.“
Bei der Opposition stieß Mays mehrfach bekräftigte Aufforderung zur „Einigkeit“auf Widerworte. So wies etwa Labour-Chef Jeremy Corbyn auf den Zwist im Regierungslager hin: Erst am Morgen hatte Finanzminister Philip Hammond auf die unausweichlichen Probleme des Brexit hingewiesen. Eines davon ist die Beziehung zu Schottland, dessen Regionalparlament am Dienstag den Weg zu einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum ebnete. Der Fraktionschef der schottischen Nationalpartei SNP im Unterhaus, Angus Robertson, erinnerte die Premierministerin an ihr Versprechen, sie werde über den EU-Austritt einen Konsens mit den diversen Regionen des Landes erzielen: „Sie hat ihr Wort gebrochen.“Der frühere schottische Ministerpräsident Alex Salmond verwies neben dem Widerwillen in der eigenen Heimat auf das politische Patt in Nordirland, das Befremden in Wales und die Spaltung Englands zwischen Brexit-Befürwortern und -Gegnern: „Jetzt ist nicht die Zeit für den Austritt.“
Für den heutigen Donnerstag hat die Regierung ein Weißbuch über die Repatriierung europäischer Gesetze angekündigt. Das Unterhaus soll die EU-Regeln in britisches Recht übernehmen, sodass 2019 ein reibungsloser Übergang gewährleistet ist. Dies werde, warnen Verfassungsrechtler, das Parlament auf Jahre hinaus beschäftigen und innenpolitische Reformen unmöglich machen.