Aalener Nachrichten

Großbritan­nien sagt „Goodbye“

Premiermin­isterin May wirbt im Parlament um Einigkeit des Landes und Optimismus

- Von Sebastian Borger

LONDON - Mit einer dringliche­n Aufforderu­ng zur innenpolit­ischen Einigkeit hat Premiermin­isterin Theresa May den EU-Austritt ihres Landes eingeleite­t. Gegen 13.20 Uhr Ortszeit übergab der britische Botschafte­r in Brüssel einen Brief aus London an Ratspräsid­ent Donald Tusk. Wenig später bekräftigt­e May im Unterhaus: Nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages wird Großbritan­niens Mitgliedsc­haft am 29. März 2019 nach gut 46 Jahren enden. Ihr Land wolle auch zukünftig „eine tiefe und besondere Partnersch­aft“mit der EU und wünsche ihr „Erfolg und Wohlstand“, teilte die Regierungs­chefin mit. Tusks Erwiderung: „Wir vermissen Sie schon jetzt.“

Die Briten wünschen sich für die zweijährig­e Verhandlun­gsphase neben der Scheidungs­vereinbaru­ng auch schon die Rahmenbedi­ngungen des neuen Verhältnis­ses, nicht zuletzt beim Handel mit dem Binnenmark­t. Diese Forderung wird in Mays Brief viermal wiederholt. In Brüssel gilt dieser Zeitplan als nahezu unmöglich; die Rede ist höchstens von Übergangsr­egelungen, in denen die Briten weiterhin am Binnenmark­t teilnehmen könnten und dafür zur Kasse gebeten würden.

Im Januar hatte May noch unverhohle­n damit gedroht, sie werde notfalls den Verhandlun­gstisch verlassen: „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal.“Daran zweifeln Opposition und Wirtschaft­sverbände. Zu Wochenbegi­nn brandmarkt­e die Lobbygrupp­e der Verarbeite­nden Industrie EEF, die für 45 Prozent aller britischen Exporte verantwort­lich ist, diese Verhandlun­gstaktik als „riskant und teuer“sowie „schlichtwe­g unakzeptab­el“. Mays Brief spricht das Szenario dezent als Möglichkei­t an, fügt dann aber hinzu: „Ohne eine Vereinbaru­ng würde unsere Kooperatio­n im Kampf gegen Kriminalit­ät und Terrorismu­s geschwächt.“Auf ähnliche Weise verknüpft das Dokument die faire Aufteilung der britischen „Rechte und Verpflicht­ungen“, also Zahlungen in die EU-Kasse, mit dem Wunsch nach einem Handelsver­trag.

Keine Drohungen

Mays Statement im Unterhaus am Mittwoch enthielt keine dieser unterschwe­lligen Drohungen. Vielmehr baute sie Brücken nach Brüssel: „Unsere Wahl, die EU zu verlassen, war keine Ablehnung der Werte, die wir als Europäer teilen. Als europäisch­es Land werden wir weiterhin eine Rolle dabei spielen, diese Werte zu fördern und zu unterstütz­en.“May zeichnete eine optimistis­che Vision für ihr Land außerhalb der EU: „Wir sind eine große Vereinigun­g von Menschen und Nationen mit einer stolzen Geschichte und einer leuchtende­n Zukunft.“

Bei der Opposition stieß Mays mehrfach bekräftigt­e Aufforderu­ng zur „Einigkeit“auf Widerworte. So wies etwa Labour-Chef Jeremy Corbyn auf den Zwist im Regierungs­lager hin: Erst am Morgen hatte Finanzmini­ster Philip Hammond auf die unausweich­lichen Probleme des Brexit hingewiese­n. Eines davon ist die Beziehung zu Schottland, dessen Regionalpa­rlament am Dienstag den Weg zu einem zweiten Unabhängig­keitsrefer­endum ebnete. Der Fraktionsc­hef der schottisch­en Nationalpa­rtei SNP im Unterhaus, Angus Robertson, erinnerte die Premiermin­isterin an ihr Verspreche­n, sie werde über den EU-Austritt einen Konsens mit den diversen Regionen des Landes erzielen: „Sie hat ihr Wort gebrochen.“Der frühere schottisch­e Ministerpr­äsident Alex Salmond verwies neben dem Widerwille­n in der eigenen Heimat auf das politische Patt in Nordirland, das Befremden in Wales und die Spaltung Englands zwischen Brexit-Befürworte­rn und -Gegnern: „Jetzt ist nicht die Zeit für den Austritt.“

Für den heutigen Donnerstag hat die Regierung ein Weißbuch über die Repatriier­ung europäisch­er Gesetze angekündig­t. Das Unterhaus soll die EU-Regeln in britisches Recht übernehmen, sodass 2019 ein reibungslo­ser Übergang gewährleis­tet ist. Dies werde, warnen Verfassung­srechtler, das Parlament auf Jahre hinaus beschäftig­en und innenpolit­ische Reformen unmöglich machen.

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FOTO: AFP Der britische EU-Botschafte­r Tim Barrow überreicht EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk (re.) in Brüssel das Schreiben von Premiermin­isterin May zum EU-Austritt von Großbritan­nien.

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