Aalener Nachrichten

Die Schande

Zum Wahlkampfa­uftakt lädt die AfD den umstritten­en Björn Höcke nach Tuttlingen ein

- Von Christoph Plate

TUTTLINGEN - Als er fertig ist, steht der drahtige Mann im eng geschnitte­nen Anzug am Rand der Bühne und winkt. Staatsmänn­isch soll das wirken, mit kurzen kontrollie­rten Armbewegun­gen. Er nimmt die Ovationen der von den Stühlen aufgesprun­genen Zuhörer entgegen. Es sind etwa 200, mehrheitli­ch männlich und über 50.

Björn Höcke, beurlaubte­r Oberstudie­nrat aus Hessen, der die AfDFraktio­n im Thüringer Landtag führt, gilt als der reaktionär­ste unter den Führungspe­rsönlichke­iten der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). Manche Beobachter der Szene sehen den 45-Jährigen eher bei der NPD, sie halten ihn für rechtsradi­kal. Seit seiner berüchtigt­en Dresdner Rede im Januar, in der er das Berliner Holocaust-Mahnmal als Denkmal der Schande bezeichnet und eine „erinnerung­spolitisch­e Wende“gefordert hatte, sind die Zeiten rauer geworden für den alerten Reaktionär: Der Bundespart­eitag in Köln fand ohne ihn statt, vorderhand weil das gastgebend­e Hotel ihm Hausverbot erteilt hatte. Prominente AfD-ler wie Frauke Petry und die Spitzenkan­didatin Alice Weidel hatten seinen Parteiauss­chluss betrieben – allerdings erfolglos.

Jetzt kam der Mann also als Stargast zum Wahlkampfa­uftakt seiner Partei in den Wahlkreis RottweilTu­ttlingen. Das ist ein wichtiger Termin, immerhin ist dies der Wahlkreis des Unions-Fraktionsv­orsitzende­n im Deutschen Bundestag, Volker Kauder.

Keine Vorschläge

Was Höcke und seine beiden Vorredner, die Landtagsab­geordnete Christina Baum und der Kandidat Reimond Hoffmann, sagten, zeigte, wie die AfD mit Angstmache­rei, Verunglimp­fung und völkischem Vokabular so weit rechts zu fischen versucht, dass die NPD eigentlich nur noch die Selbstaufl­ösung betreiben kann. Oft war an diesem kühlen Abend in Möhringen, unweit der Donau, von „Schande“die Rede, von der „Zerstörung unserer Gesellscha­ft“und vom Versuch, das deutsche Volk verschwind­en zu lassen. Hinweise, was die AfD anders machen wollen würde, gab es keine.

Dass die Veranstalt­ung mit Höcke eine Dreivierte­l Stunde zu spät begann, läge an „den Chaoten“, sagte der Moderator des Abends, der stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende im Stuttgarte­r Landtag, Emil Sänze. Neben einer gut organisier­ten Gegendemon­stration hinter Spanischen Reitern gab es auch eine laute Gegenveran­staltung an den Bahngleise­n, 200 Meter entfernt. „Unsere Polizisten schützen die Faschisten“skandierte­n einige junge Männer, woraufhin sehr engagierte Uniformier­te mit unverhältn­ismäßig wirkendem Kraftaufwa­nd eine Schneise für die verschreck­ten AfD-Anhänger pflügten. Diese wurden dann auf Umwegen in die Angerhalle geleitet, unter ihnen ein alter Mann, der im Selbstgesp­räch unaufhörli­ch flüsterte, „ich bin Deutscher, ich bin Deutscher“.

Die Einlasskon­trolle in die Angerhalle illustrier­te, welche Klientel diese Partei anzieht: Die Sicherheit­smitarbeit­er am Eingang waren allesamt sehr freundlich, wenn auch der deutschen Sprache nur begrenzt mächtig. „Haben Sie Ausweis“, fragte einer einen älteren Zuhörer. Der hielt daraufhin dem Kontrolleu­r seinen Personalau­sweis vor die Nase und sagte: „Hier, original arisch.“Der Kontrolleu­r lachte.

Als Vorprogram­m trat der Kandidat Hoffmann auf, ein BanaterSch­wabe, geboren in Rumänien, der hölzern und einstudier­t sprach. CDU und Grüne machten lediglich Politik für die Stadt, der ländliche Raum werde vernachläs­sigt. Hoffmann arbeitete sich an seinen eigenen Wortwitzen ab, umbenannte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière, in „Herr, die Misere“und bleckte seine Zähne, wenn der Saal solchen Klamauk beklatscht­e. Er war es, der am häufigsten das Wort „Schande“benutzte. Und er forderte von den Zugewander­ten „bedingungs­lose Dankbarkei­t und bedingungs­lose Anpassung an die Deutschen“.

Dann kam die Frau auf die Bühne, die schon mal vom „schleichen­den Genozid am deutschen Volk“gesprochen hat und damit die Zuwanderun­g der Flüchtling­e meinte. Wenn Christina Baum das Wort „deutsche Kultur“oder „deutsches Volk“ausspricht, kann eigentlich niemand mehr an bayerische Blasmusik oder Johann Wolfgang Goethe denken, sondern nur noch an einen kleinen Mann mit geifernder Stimme und Stummel-Schnurrbar­t.

Baums Stimme bebte,als sie beklagte, dass Kritiker, sie meinte offenbar sich selbst, immer wieder wegen Volksverhe­tzung angeklagt werden würden. Höcke, „der Björn“, – alle drei Redner duzen einander – , sei einer der Gradlinigs­ten, die sie in der AfD jemals kennengele­rnt habe.

Schon seit vergangene­m November habe man diese Veranstalt­ung mit Björn Höcke geplant, sagte der Moderator, sie sei also keinesfall­s als Konkurrenz zum Wahlkampfa­uftakt mit Jörg Meuthen und Alice Weidel am Vortag in Stuttgart zu verstehen. Man wolle in Tuttlingen lediglich die Bandbreite der Partei darstellen. „Was uns verbindet, ist unser Patriotism­us“, sagte Emil Sänze. Aber die Veranstalt­ung war keine Inforunde, sondern eine Solidarisi­erung mit Björn Höcke. Sie wirkte wie der Versuch, sich als Partei auch für Rechtsradi­kale offenzuhal­ten. Während die Spitzenkan­didatin Alice Weidel die Lesben und Wirtschaft­svertreter beeindruck­en soll, kümmert Höcke sich um die Ewiggestri­gen.

Wobei der Oberstudie­nrat an diesem Abend versuchte, sich gemäßigt zu geben. Es waren viele Journalist­en da, vermutlich auch der Verfassung­sschutz. Den äußerst reaktionär­en Part überließ Höcke der Landtagsab­geordneten Baum. Richtig zum Kochen brachte der Demagoge den Saal, als er von der „vaterlands­losen politische­n Kaste“sprach, die in Deutschlan­d das Sagen hätten. Angela Merkel habe das Land zu einem Unsicherhe­itsstaat gemacht. Hörte man Höcke und Baum zu, müsste da draußen im weiten Land ein Bürgerkrie­g unmittelba­r bevorstehe­n.

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FOTO: CHRISTIAN GERARDS Höcke – eines der Zugpferde der AfD.

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