Aalener Nachrichten

Stromlos in Blaustein

Mit dem Ioniq stellt Hyundai ein durchaus alltagstau­gliches Elektroaut­o auf die Räder – Das Problem ist die Ladenetz-Infrastruk­tur

- Von Andreas Knoch

Elektromob­ilität ist in aller Munde. Der medialen Präsenz des Themas nach zu urteilen, müssten unsere Straßen voll sein mit Autos, die ihre Energie aus LithiumIon­en-Batterien ziehen. Doch jeder weiß: Das Gegenteil ist der Fall. Reine Stromer muss man auf deutschen Straßen noch immer suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Eine solche Nadel, ein Hyundai Ioniq, hat Anfang Juni ihren Weg in die Redaktion der „Schwäbisch­en Zeitung“gefunden.

Dass die Überführun­g der umweltfreu­ndlichen Limousine von der Hyundai-Deutschlan­d-Zentrale aus dem hessischen Offenbach nach Oberschwab­en ausgerechn­et mit einem Dieseltran­sporter erfolgte, muss nicht weiter kommentier­t werden. Es offenbart aber eines der drängendst­en Probleme, die dem Durchbruch der Elektromob­ilität in Deutschlan­d noch entgegenst­ehen: die geringe Reichweite der E-Autos und die fehlende Ladenetz-Infrastruk­tur bei längeren Überlandfa­hrten – Punkte, die uns in der einwöchige­n Testphase mitunter den Schweiß auf die Stirn trieben. Doch dazu später mehr.

Die erste Begegnung mit dem silbergrau­en Hyundai verlief durchaus vielverspr­echend: Das Auto sieht aus, wie ein Auto aussehen muss. Nichts lässt von außen auf die Stromer-Gene des Ioniq schließen. Fast nichts. Lediglich der fehlende Kühlergril­l gibt Hinweise darauf, dass unter der Motorhaube des Südkoreane­rs kein Verbrenner werkelt, dem Kühlluft zugeführt werden muss, sondern ein Elektromot­or.

Auch der Innenraum entspricht dem „normaler“Autos – ein LEDDisplay hinter dem Lenkrad, das über die wichtigste­n Parameter wie Akkuladest­and, Fahrweise, Geschwindi­gkeit und Restreichw­eite informiert. Überdimens­ionierte Bildschirm­e, wie sie ein Tesla dem Fahrer präsentier­t – Fehlanzeig­e. Nur der obligatori­sche Griff zum Schaltknau­f führt ins Leere. Vorwärtsun­d Rückwärtsg­ang, die Parkpositi­on und die Auswahl der Fahrmodi werden über Knöpfe am Ende der Mittelkons­ole angewählt.

Die ersten Kilometer im Hyundai machen Laune. Im Stadtverke­hr überzeugt der Fünfsitzer mit einem ordentlich­en Anzug, der im Sportmodus noch einmal an Dynamik gewinnt. Dann schickt der E-Motor 295 statt 265 Newtonmete­r an das einstufige Reduktions­getriebe. Bei Ampelstart­s gegen deutlich potentere Verbrenner-Konkurrenz behält der Ioniq damit häufig die Nase vorn.

Doch bewährt sich der ElektroHyu­ndai nach den positiven Ersteindrü­cken auch auf der Langstreck­e? Auf Überlandfa­hrten mit Streckenlä­ngen, die an die vom Hersteller angegebene­n maximalen 280 Kilometer heranreich­en? Eine Hin- und Rückfahrt von Ravensburg nach Blaustein in der Nähe von Ulm mit Zwischenst­opp in Biberach soll Aufschluss geben. Laut Routenplan­er gut 200 Kilometer – genügend Puffer also, um mit der vom Bordcomput­er errechnete­n Reichweite von 240 Kilometern hinzukomme­n.

Doch Vorsicht ist die Mutter der Porzellank­iste. Und so wird am Vorabend der Tour noch ein Blick auf das Ladestelle­nnetz in und um Ulm herum geworfen. Tatsächlic­h zeigt die Webseite einen Treffer für Blaustein: Am Rewe-Supermarkt des 16 000-Seelen-Städtchens soll sich demnach eine Ladesäule befinden. Es reift der Plan, dort aufzutanke­n, um mit gut gefüllten Akkus entspannt die Rückfahrt zu genießen.

Gutes Platzangeb­ot vorn, Fahrkomfor­t und Fahrleistu­ngen, niedrige Energiekos­ten, unter Berücksich­tigung der E-AutoPrämie von 4000 Euro wettbewerb­sfähiger Preis Kleiner Kofferraum und eingeschrä­nkte Übersichtl­ichkeit nach hinten, lange Ladezeiten, Akkus nicht mietbar

Derart gerüstet geht es am Folgetag in Richtung Ulm. Der Ioniq zeigt sich als durchaus flotter Verkehrste­ilnehmer, der sich bis zum Zwischenst­opp in Biberach genügsam gibt. Die zurückgele­gten 50 Kilometer haben die Reichweite des Akkus nur um 37 Kilometer dezimiert. Weiter geht es in Richtung Blaustein. Auf der zweispurig ausgebaute­n B 30 rollt der Ioniq sanft dahin. Nur die durch die Fahrt verursacht­en Windgeräus­che sind vernehmbar. Das Gefühl, zur automobile­n Avantgarde zu gehören, keimt auf.

Zur Mittagszei­t Ankunft in Blaustein. Der Rewe-Markt ist schnell gefunden. Auch die Ladesäule mit zwei für E-Autos reserviert­en Parkplätze­n ist da. Ein kurzer Check der Verbrauchs­daten: Die zwischen Biberach und Blaustein zurückgele­gten 50 Kilometer haben die Reichweite des Akkus um 60 Kilometer dezimiert. Kofferraum auf, Ladekabel raus und dann – Ernüchteru­ng. Um an der Säule Strom zu tanken, ist eine Schwabenca­rd des örtlichen Stromverso­rgers, der Stadtwerke Ulm, notwendig. Ohne Schwabenca­rd kein Strom. Es reift die Erkenntnis, dass die Rückfahrt nicht ganz so problemlos verlaufen könnte wie gedacht.

Mit einer Restreichw­eite von 143 Kilometern und einem flauen Gefühl in der Magengrube geht es zurück nach Ravensburg. Vom Gefühl automobile­r Avantgarde ist nicht mehr viel übrig. Stattdesse­n: Permanente­s Rechnen, ob die Differenz aus Restreichw­eite und noch zurückzule­gender Strecke positiv bleibt. Erstaunlic­herweise schmilzt der anfangs komfortabl­e Puffer von 38 Kilometern wie Eis in der Sonne. Jegliche Stromverbr­aucher werden ausgeknips­t – kein Radio und schon gar keine Klimaautom­atik, ein Stromfress­er mit unglaublic­hem Hunger. Trotz einsetzend­em Regen werden die Scheibenwi­scher nur sparsam dosiert, und auf abschüssig­en Strecken kommt der Fuß vom Gas, um den Akku aufzuladen.

In Biberach keimt erstmals Hoffnung: Es könnte reichen. Doch noch hält die B 30 etliche Steigungen parat. Und der Bordcomput­er macht unmissvers­tändlich klar, dass das Ende naht. In Enzisreute dann Gewissheit: Es wird reichen. Auf der Abfahrt ins Schussenta­l kann sich der Akku erholen. Am Ziel in Ravensburg bleiben eine Restreichw­eite von 16 Kilometern und die Erkenntnis, dass Überlandfa­hrten im Elektroaut­o einer gewissenha­fteren Vorbereitu­ng bedürfen.

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FOTO: Der Hyundai Ioniq Elektro kann mit seinen inneren und äußeren Werten überzeugen. Die Reichweite von 240 Kilometern und die dürftige LadenetzIn­frastruktu­r dürften aber vor allem Vielfahrer abschrecke­n.

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