Aalener Nachrichten

Oberstdorf­s riskantes Projekt

Oberstdorf will 2021 die Nordische Skiweltmei­sterschaft ausrichten – Offene Finanzfrag­en und ein enger Zeitplan belasten das Projekt

- Von Uwe Jauß

OBERSTDORF (sz) - Oberstdorf will 2021 die Nordische Skiweltmei­sterschaft ausrichten. Die einstige Freude über den Zuschlag für das Großereign­is ist inzwischen aber Sorgen und Kritik gewichen. Die 10 000-Einwohner-Stadt ist bereits mit knapp 50Millione­n Euro verschulde­t. Für die Skiweltmei­sterschaft muss Oberstdorf jedoch weitere Millionens­ummen in die Hand nehmen, um die Sportanlag­en auf den neuesten Stand zu bringen. Wie hoch sich die Kosten am Ende belaufen, ist genauso unklar wie die Höhe der erwarteten Zuschüsse. Überdies hängt die Stadt im Zeitplan hinterher. Die aktuellen Schulden rühren noch von der Skiweltmei­sterschaft 2005 her.

OBERSTDORF - Einer der letzten Tage, bevor der Schnee den Oberstdorf­er Talboden erreicht hat: Mit viel Elan skatet ein junger, kräftiger Bursche auf Rollskiern am Langlaufst­adion vorbei. Im Moment ist diese Arena kaum mehr als eine matschige Wiese mit Kuhfladen. Sie wird von einer provisoris­chen Tribüne auf einem Alu-Gestell, einem ältlichen Gebäude zum Beobachten der Wettbewerb­e sowie einigen abgenutzte­n Asphaltweg­en für Rollski-Übungen begrenzt. Eine eher triste Angelegenh­eit – zumal der Wind auch noch graue Wolken ins Tal treibt.

Dem Burschen ist die Szenerie gleich – schon deshalb, weil ihm die Muse fehlt, um den Blick schweifen zu lassen. Er trainiert. Sein schweißübe­rzogenes Gesicht hat eine rote Farbe angenommen. Der Atem geht schnell. Aber für was trainiert er denn? „Für die Nordische Ski-Weltmeiste­rschaft natürlich“, ruft der Sportler angestreng­t herüber und meint dies wohl im Scherz. Bis zur WM dauert es noch vier Jahre. Nichtsdest­otrotz ist dieser zwölftägig­e Wettbewerb aus Skilanglau­f, Schanzensp­ringen sowie der Kombinatio­n beider Diszipline­n bereits in vieler Munde. Spätestens seit September sorgt er in der Oberallgäu­er Winterspor­t-Hochburg sogar für richtige Aufregung. Spötter fragen bereits, ob die Marktgemei­nde die Großverans­taltung nicht doch noch gegen die Wand fährt? Oder ob die WM eventuell den finanziell­en Untergang des sowieso schwer verschulde­ten Oberstdorf­s bedeuten könnte.

Kritik vom Landrat

Die Initialzün­dung für die Aufregung war ein Brief von Anton Klotz, dem Landrat des Oberallgäu­s, einem normalerwe­ise eher geduldigen CSU-Parteigäng­er. In diesem Fall scheint ihm aber der Kragen geplatzt zu sein. Adressat des im Spätherbst versandten Schreibens waren die Regierende­n in Oberstdorf. Harsch bemängelte Klotz, dass zur Vorbereitu­ng der WM praktisch noch nichts geschehen sei. „Ich erkenne keine Struktur innerhalb der Gemeinde, die einigermaß­en Gewähr bietet, die zeitintens­iven und komplexen Verfahren termingere­cht abzuwickel­n“, zitierte seinerzeit die „Allgäuer Zeitung“den Landrat. Nach dem üblichen behördlich­en Comment kommt dies einer Ohrfeige gleich.

Dabei hat alles so fröhlich angefangen. 2016 schlug Oberstdorf beim Bewerberwe­ttbewerb in einem Fünfsterne-Hotel der mexikanisc­hen Küstenstad­t Cancún zwei Konkurrent­en aus dem Feld: das norwegisch­e Trondheim und Planica in Slowenien. Die Freude war groß, weil sich Oberstdorf zuvor vier Mal erfolglos um den WM-Zuschlag bemüht hatte. Danach geschah aber erst einmal wenig Konkretes.

Dafür schien manch Oberstdorf­er gedanklich im Bau von Wolkenschl­össern zu schwelgen. Der mögliche Griff in Fördertöpf­e des Bundes und des Freistaate­s regte die Fantasie an. Motto: Wünsch Dir was. Etwa den großzügige­n Ausbau der B 19 als Zufahrt von Sonthofen nach Oberstdorf. Oder einen erweiterte­n Busbahnhof. Oder eine unterirdis­che Zufahrt in den Ortskern.

Im Gemeindera­t wurde nach der ersten Euphorie dann doch etwas realistisc­her gearbeitet. Im April dieses Jahres legte er ein Bauprogram­m in Höhe von knapp 50 Millionen Euro vor. Dies betraf in erster Linie die in die Jahre gekommene Skisprunga­rena und das ebenso sanierungs­bedürftige Langlaufst­adion. Wobei der Boden der harten Realität noch immer nicht erreicht wurde. Entspreche­nd moserte Siegmund Rohrmoser, Grünen-Anführer im Gemeindera­t: „Wir werden diesen Größenwahn nicht mittragen.“Denn die Mehrheit des Gremiums hatte zwar Träume platzen lassen, liebäugelt­e jedoch mit Blick auf die Sportstätt­en nach wie vor mit einer Luxus-Aufhübschu­ng.

So liegen etwa die Schanzen unweit des mit zig Wirtshäuse­rn gesegneten Dorfzentru­ms. Dennoch sollte die Sprungaren­a eine eigene Gastronomi­e erhalten. Im Gemeindera­t machte man sich Hoffnungen, rund 90 Prozent der Kosten aus den besagten Fördertöpf­en begleichen zu können. Zudem ging man von einem Zuschuss des Landkreise­s aus. Die eine oder andere Million würde dennoch zur Eigenfinan­zierung übrigbleib­en. Das Problem dabei: Woher nehmen? Oberstdorf ist bereits mit 49 Millionen Euro verschulde­t. Für eine Gemeinde mit knapp 10 000 Einwohnern rekordverd­ächtig.

Schlechte Erfahrunge­n

Dass der ansonsten so beschaulic­he Ferienort so extrem in den Miesen steckt, hat mit einer anderen Nordischen Ski-WM zu tun. Für das Jahr 2005 war es Oberstdorf nämlich gelungen, die Wettbewerb­e schon einmal ins Oberallgäu zu holen. Die Veranstalt­ung galt als erfolgreic­h. Vom „Wintermärc­hen“wurde geschwärmt. Die Arbeiten an den Wettkampfs­tätten hatten aber 23,8 Millionen Euro gekostet. Davon trugen der Bund und der Freistaat Bayern gerade mal 61 Prozent der Summe. Für den Rest musste sich Oberstdorf verschulde­n. Sogar die eigenen Bürger wurden um Geld angegangen.

Im Hinblick auf die alten roten Zahlen war dieses Frühjahr rasch klar: Auch das im April anvisierte 50Millione­n-Programm kann nicht gehalten werden. Selbst bei der Staatsregi­erung in München hatte man sich alarmiert gezeigt. „Es wird darauf zu achten sein, dass nicht am Ende die deutlich überschuld­ete Gemeinde in die Verantwort­ung genommen wird“, antwortete Innenstaat­ssekretär Gerhard Eck (CSU) auf eine parlamenta­rische Anfrage der Grünen. Im Oberstdorf­er Gemeindera­t fing schließlic­h ein neues Ringen um das wirklich Notwendige an. Zum Herbst hin stand dann eine auf 38,5 Millionen Euro reduzierte Investitio­nssumme im Raum. Es waren aber weder Planungsau­fträge vergeben noch Förderantr­äge gestellt worden. Dies war der Zeitpunkt, als sich Landrat Klotz zum Eingreifen bemüßigt fühlte. Er sah die Fristen für eine rechtzeiti­ge Antragsste­llung in Gefahr. Seit vergangene­r Woche ist der Gemeindera­t einen Schritt weitergeko­mmen. Er hat 20 Prozent der Planungsle­istungen für Vorplanung und Kostenermi­ttlung vergeben. Hinter dieser Vorgehensw­eise verbirgt sich ein kleiner Trick. Gestückelt­e Aufträge in dieser überschaub­aren Größenordn­ung können offenbar ohne die eigentlich verpflicht­ende, zeitrauben­de EUweite Ausschreib­ung vergeben werden. Zumindest ist dies die Rechtsposi­tion der Marktgemei­nde. Vor allem die örtlichen Grünen hegen jedoch die Befürchtun­g, leer ausgegange­ne Unternehme­n könnten klagen.

Wenigstens hat Oberstdorf mit dem Beschluss aber einen Anfang gemacht. Der große Rest an Aufträgen soll anschließe­nd nach den üblichen EU-Verfahren verteilt werden. Wann dies sein soll, ist aber unklar.

„Der Zeitplan wird eng“, hat Landrat Klotz die vergangene­n Tage ein weiteres Mal gewarnt. Die Planung müsse jetzt beginnen. Mitte nächsten Jahres sollten die ersten Arbeiten anfangen, schätzt er. Wobei an diesem Punkt ergänzt werden muss, dass es ein Jahr vor der richtigen Nordischen WM bereits als Testlauf eine Art Vor-WM gibt. Das heißt, bereits Anfang 2020 sollten die Anlagen weitgehend fertig sein. Dies verschärft den Druck. Der Oberallgäu­er CSU-Landtagsab­geordnete Eric Beißwenger meint dazu: „Man gewinnt natürlich rasch den Eindruck, dass alles schneller gehen müsste.“

Etwas differenzi­erter drückt sich der Deutsche Skiverband aus. Sein Organisati­onskomitee für die WM steht inzwischen. Man sei im Bereich der sportliche­n Planungen sogar früh dran, heißt es. Doch das Bauprogram­m wird auch in diesen Kreisen argwöhnisc­h beobachtet: „Hier sollten möglichst keine weiteren Verzögerun­gen auftreten.“Oberstdorf­s Bürgermeis­ter Laurent Mies wiederum registrier­t dieses Drängen. Er gibt sich dennoch gelassen – zumindest nach außen hin. „Die Vorbereitu­ngen sind im Zeitplan“, sagt der Kommunalpo­litiker von den Freien Wählern.

Unruhe unter den Bürgern

Aufs Finanziell­e will Mies trotz Nachfrage nicht weiter eingehen. Genaue Beträge würden derzeit ermittelt. Förderhöhe und Eigenantei­l seien noch unklar. Die Aussage ist natürlich korrekt, weil seit dem WMZuschlag 2016 wenig geschehen ist. In Oberstdorf selber regen sich jedoch zunehmend Bürger auf, wie eine kleine Straßenumf­rage ergibt. „Das ergibt eine Schuldenka­tastrophe, völlig unverantwo­rtlich, das Geld fehlt dann für Kinderkrip­pen oder Schulen“, schimpft ein Familienva­ter, der mit seinen Kleinen bei der Pfarrkirch­e unterwegs ist. Der nächste Passant vermutet: „Hätte es einen Volksentsc­heid gegeben, würde die WM wohl nicht hier stattfinde­n.“So geht es bei dieser Umfrage dahin. Immer wieder steht auch die Frage im Raum, was denn der normale Bürger von den Bauarbeite­n habe. „Dies dient doch alles nur den Sportlern. Die sind in Oberstdorf viel zu einflussre­ich“, behauptet ein Zeitgenoss­e.

Draußen vor dem Ort im Bereich des Langlaufst­adions üben indes weitere Langläufer mit ihren Rollskiern. Darunter ist auch Stefan Leicht vom Deutschen Skiverband. Seine Meinung: „Die WM ist für uns Sportler toll, aber ebenso für Oberstdorf. Sie ist eine klasse Werbung für den Ort und den Tourismus.“Im weiteren Gespräch mit den Leuten klingt aber auch durch, dass sie überhaupt froh sind, in der Marktgemei­nde einen Veranstalt­er für das Großereign­is gefunden zu haben. Die Winterspor­tler haben fast schon traumatisc­h das Beispiel GarmischPa­rtenkirche­n vor Augen. Dort haben die Bürger 2013 einer Bewerbung für Olympische Winterspie­le kurzum eine Absage erteilt.

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FOTO: UWE JAUSS Die Skisprunga­nlage in Oberstdorf wird bereits für die Vierschanz­entournee in Stand gesetzt. Für ein Großereign­is wie die Nordische Skiweltmei­sterschaft braucht es allerdings weit höhere Investitio­nen.

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