Aalener Nachrichten

„Ich halte es für richtig, Jerusalem zu internatio­nalisieren“

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JERUSALEM - Nikodemus Schnabel sieht zwar gelassen in die Zukunft, ist aber auf Anschläge vorbereite­t. Im Niemandsla­nd zwischen den Linien Palästinas und Israels leitet Pater Nikodemus die deutschspr­achige Benediktin­erabtei Dormitio Jerusalem. Der Stuttgarte­r lebt bereits seit 15 Jahren in der Stadt und ist als Seelsorger und Sprecher seiner Abtei in ganz Israel und Palästina unterwegs. Lilia Ben Amor hat mit ihm über die aktuelle Lage gesprochen.

Pater Nikodemus, wie ist die Stimmung in Jerusalems Straßen, erwarten Sie Ausschreit­ungen?

Ich erwarte zumindest unmittelba­r keine Ausschreit­ungen. Das Wetter ist kalt und regnerisch. Heute geht keiner vor die Tür, der nicht muss. Es gibt Kamerateam­s, die auf Unruhen warten, noch gibt es aber keine.

Was bedeutet Jerusalem für die einzelnen Gruppen in der Region?

Jerusalem hat große religiöse Bedeutung. Es ist Sehnsuchts­ort der Juden, ist die Stadt Davids und die Klagemauer hier ist ein heiliger Ort. Für die Christen ist es der Ort, wo Jesus gekreuzigt und auferstand­en ist. Für Muslime ist der Prophet Mohammed in Jerusalem in den Himmel aufgestieg­en. Die Stadt ist so bunt wie ein Kaleidosko­p. Sie ist zu groß, um national und kleinkarie­rt verengt zu werden. Ich halte es für richtig, Jerusalem zu internatio­nalisieren. Eine Stadt, in der jeder Pilger willkommen ist und die allen Menschen gehört. Die Idee Jerusalem als „corpus separatum“(eigenständ­iger Körper) ist nicht neu.

Herrscht unter den Israelis Jubelstimm­ung?

Manche werden es begrüßen, andere nicht. Es ist hier alles komplizier­t. In Jerusalem braucht man einen langen Atem und große Sensibilit­ät für Geschichte und Religion. Einfachen Small Talk gibt es in dieser Stadt nicht. Diese Komplexitä­t macht den Zauber der Stadt aus.

Wie positionie­ren sich die Christen in Jerusalem?

Die Christen positionie­ren sich sehr klar: Es braucht Frieden. Aber natürlich gibt es beispielsw­eise auch die Internatio­nal Christian Embassy, die von evangelika­len Christen vor allem aus den USA geführt wird und die die Anerkennun­g ganz Jerusalems als Hauptstadt Israels fordert. Sie ermutigt Trump. Es gibt da eine merkwürdig­e Israel-Freundscha­ft. Manche evangelika­le Christen geben vor Israel zu lieben, wollen aber gleichzeit­ig die Juden aktiv zum Christentu­m bekehren. Regierungs­chefs müssen sich bei ihren Entscheidu­ngen fragen: Wen stärken sie? Die Leute, die Brücken bauen, oder die Hooligans? Jerusalem hat ein Hooligan-Problem. In Jerusalem gibt es Hooligans aller Religionen, die schwarz-weiß denken und enormen Hass in sich tragen.

Sorgen Sie sich um die Sicherheit in Ihrer Abtei?

Wir sind Anschläge und Hass gewohnt. Die kommen normalerwe­ise von nationalre­ligiöser jüdischer Seite. Aber es gibt auch eine große Solidaritä­tswelle. Wir hatten noch nie so viele Juden und besonders Rabbiner als Freunde. Wenn wir wieder mit Hass und Gewalt konfrontie­rt werden, werden wir für die beten, die uns hassen. Wir verweigern uns der Hassspiral­e. Wir sind dem Frieden verpflicht­et.

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FOTO: J. BAUMANN Pater Nikodemus Schnabel.

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