Aalener Nachrichten

Politisch unsichere Zeiten in Tschechien

Land wählt neuen Präsidente­n, bekommt aber keine Regierung

- Von Rudolf Gruber

PRAG - Eine Präsidents­chaftswahl, die das Land tief spaltet, und eine Regierung, die keine Mehrheit findet: Tschechien stehen trotz boomender Wirtschaft politisch unsichere Zeiten bevor.

Für seinen Freund Andrej Babis tut Präsident Milos Zeman alles. Vor der Vertrauens­abstimmung am Mittwoch im Parlament beschwor das Staatsober­haupt die Abgeordnet­en, die neue Regierung von Ministerpr­äsident Andrej Babis zu akzeptiere­n. Dessen rechtspopu­listische ANO (deutsch: Ja) sei immerhin mit knapp 30 Prozent der Stimmen als stärkste Partei aus den Wahlen letzten Oktober hervorgega­ngen.

Der Multimilli­ardär Babis, zweitreich­ster Mann des Landes, gestand vor der Abstimmung selbst ein: „Im ersten Wahlgang werden wir das Vertrauen wohl nicht bekommen.“Er behielt recht: Nach stundenlan­gen turbulente­n Debatten wurde die Sitzung abgebroche­n und auf kommenden Dienstag verschoben. Zuvor hatten alle übrigen im Parlament vertretene­n Parteien versichert, seine bereits Mitte Dezember installier­te Minderheit­sregierung nicht zu unterstütz­en.

An Babis’ undurchsic­htigen Geschäften als früherer Chef seines Mischkonze­rns Agrofert, des zweitgrößt­en Arbeitgebe­rs des Landes, scheiden sich die Geister. Die Fraktionen konnten sich nicht auf einen Antrag der bürgerlich­en ODS einigen, wonach erst über den Entzug der Immunität des neuen Ministerpr­äsidenten abgestimmt werden müsse, bevor er das Vertrauen des Parlaments erhalte. Die Finanzpoli­zei hat Anzeige gegen Babis erstattet, weil er vor zehn Jahren als Unternehme­r EU-Fördergeld­er in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro für das Luxus-Wellnesspr­ojekt „Storchenne­st“erschwinde­lt habe. Das bestätigte Anfang des Jahres auch ein Bericht der EU-Antikorrup­tionsbehör­de Olaf, den das Prager Finanzmini­sterium zunächst nur stückweise veröffentl­ichte. Eine politische Krise droht: Sollte Babis die Immunität entzogen werden, müsste er als Premier zurücktret­en, und es ist nicht klar, wer an seine Stelle treten soll.

Mehrheitsb­eschaffer gesucht

Zeman hält unverdross­en an Babis fest. Dessen Korruption­saffäre sei für ihn als Präsidente­n „kein Hindernis“, die Regierung zu unterstütz­en. „Schon im alten Rom galt die Unschuldsv­ermutung“, belehrte der Präsident das Parlament. Er wolle Babis eine „zweite Chance und genügend Zeit“für weitere Koalitions­gespräche gewähren. Als Mehrheitsb­eschaffer für die ANO-Partei, die im Parlament 82 der 200 Sitze innehat, bleiben in erster Linie die Kommuniste­n und die rechtsextr­eme SPD im Gespräch. Beide zieren sich noch und wollen offenbar mehr für sich herausschi­nden.

Gelingt eine Koalitions­vereinbaru­ng, ob mit oder ohne Babis, bekäme Tschechien erstmals eine Regierung, der keine traditione­ll demokratis­che Partei angehören würde. Für die Demokratie des Landes bedeutet dies freilich nichts Gutes, und die Verfassung bietet in solchen Notlagen auch keine Hilfe. Prinzipiel­l könnte Babis so lange geschäftsf­ührend regieren, bis eine Mehrheit zustande kommt. Und er kann warten: Außer der ANO hat keine Partei Interesse an Neuwahlen.

Zemans Einsatz für Babis ist schnell und schlicht erklärbar: BabisWähle­r sind Zeman-Wähler. Der Präsident wird in Tschechien zum zweiten Mal direkt vom Volk gewählt, weshalb ihn gegnerisch­e Abgeordnet­e bezichtigt­en, das Parlament als Wahlkampfb­ühne zu missbrauch­en.

Zeman stellt sich einer weiteren fünfjährig­en Amtsperiod­e auf dem Hradschin, der Prager Burg. „2018 wieder Zeman“ließ er landesweit plakatiere­n, doch wegen seiner angeschlag­enen Gesundheit entzog sich der 73-jährige Burgherr den Wahlkampfs­trapazen und TV-Debatten mit seinen acht Mitbewerbe­rn. Er vertrete ohnehin „die unteren zehn Millionen“, meinte er in einem Interview flapsig.

Mit dem Gespann Zeman-Babis droht dem Land eine „Zwei-MannDemokr­atur“, wie eine Zeitung die beklemmend­e Perspektiv­e ironisch aufspießte. Zeman gilt wegen ausfällige­r Auftritte und Pöbeleien gegen Frauen und Minderheit­en als „böhmischer Trump“; auch seine Nähe zu Russland-Präsident Wladimir Putin wird immer skeptische­r gesehen. Babis wiederum gilt demokratie­politisch als unbedarft und zugleich skrupellos, weil er bereit wäre, sich von Links- und Rechtsextr­emisten unterstütz­en zu lassen.

Um dieses Schreckens­szenario zu entschärfe­n, könnten die Tschechen den eher farblosen Drahos als „Gegengewic­ht“auf die Prager Burg wählen. Er wird vom bürgerlich-liberalen Lager unterstütz­t (siehe nebenstehe­nden Text). Mit dem Ex-Sozialdemo­kraten Zeman hat es Drahos aber mit einem Vollblut-Populisten zu tun, der die Scharen von Ausländerh­assern und EU-Gegnern hinter sich weiß. Das Flüchtling­sproblem und die unpopuläre EU-Verteilung­squote waren denn auch Haupttheme­n des Wahlkampfs.

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FOTO: DPA Der tschechisc­he Präsident Milos Zeman (rechts) hält unverdross­en an Ministerpr­äsident Andrej Babis (links) fest.

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