Aalener Nachrichten

Attraktive­r Italiener mit amerikanis­chen Genen

Der Jeep Compass bringt einen Hauch von Individual­ität auf die Straße – Knackiges Fahrwerk, hoher Verbrauch

- Von Hendrik Groth

Vielleicht liegt es ja daran, dass der Testwagen in Italien zugelassen ist. Oder auch, dass Jeep vor Jahren von Fiat geschluckt wurde, denn: Wer hinter dem Steuer des kompakten SUV Jeep Compass Platz nimmt, den Vierzylind­er-Benziner anwirft, den Blinkerheb­el nach unten oder oben drückt, der hat von Anfang an das Gefühl, nicht in einem Amerikaner aus mexikanisc­her Produktion zu sitzen, sondern in einem hübsch gestylten Italiener – Fiat-Motorenger­äusch inklusive. Und so geht es dann auch weiter.

Auf dem für große Fahrer nur durchschni­ttlich bequemen Sitz fühlt sich der vermeintli­che Ami tatsächlic­h eher wie ein Turiner an. „Not fair“würde US-Präsident Trump über dieses Urteil twittern, ohne abzuwarten, was eigentlich gemeint ist. Das Auto fährt sich eben wie ein Südeuropäe­r. „Das ist auch gut so“, um einen anderen Politiker zu zitieren. Gar nicht schwammig oder behäbig, das Fahrwerk ist recht knackig abgestimmt. Es wäre zwar übertriebe­n, die Stoßdämpfe­reinstellu­ng als hart zu bezeichnen, aber der Straßenzus­tand wird deutlich wahrgenomm­en. Dafür lenkt der Compass prima in die Kurven ein und wirkt dabei gar nicht wie ein SUV mit amerikanis­chen Genen. Vielleicht ist die Lenkung ein wenig zu leichtgäng­ig geraten, alles in allem aber repräsenti­ert der Jeep den Branchendu­rchschnitt.

Feines Fahrverhal­ten, attraktive­s Design, gute Verarbeitu­ng, ausreichen­des Platzangeb­ot für vier Passagiere

Warum das Fiat-Gefühl dann doch für einige Geschmäcke­r zu deutlich erlebbar ist? Zum einen sind es die Schalter, die an Tipo, Panda oder Tempra erinnern. Dazu kommt der Motorsound. Kein Brabbeln wie bei den größeren US-Brüdern, sondern eher der Klang eines Kleinwagen­s, ein bisschen gequält bei hohen Drehzahlen. Kurzum: Das 1,4-LiterAggre­gat mit beachtlich­en 170 PS tönt bei kalter Maschine wie ein Fiat Uno. Hat der Wagen aber erst Betriebste­mperatur erreicht, dann ist ein flinkes Fahren ohne Lärmbeläst­igung durchaus möglich. Die Neunstufen-Automatik hilft dabei, auch wenn in mancher Situation per Hand eingegriff­en werden muss. Sie arbeitet in der Regel zwar einwandfre­i, dennoch scheint der Wandler hin und wieder nicht zu wissen, welcher Gang gerade der beste ist.

Die Instrument­e sind – zumindest auf den ersten Blick – prima gestaltet. Kommt es aber zu direkter Sonneneins­trahlung, erweist sich die Anordnung eher als suboptimal. Der konvention­elle Tachometer und der Drehzahlme­sser spiegeln dann unangenehm zwischen den digitalen Anzeigen. Bei Nacht alles bestens, im italienisc­hen Sommer jedoch könnte die Reflexion gewöhnungs­bedürftig sein.

Aber lassen wir das Mosern auf hohem Niveau. Der Jeep ist ansprechen­d gestaltet und auch gut verarbeite­t. Innen wie außen. Die Oberfläche­n des Armaturenb­retts sind nicht aus Hartplasti­k, die allgemeine Bedienung ist einfach, Infotainme­nt und Navigation­ssystem sind kinderleic­ht über den zentralen Touchscree­n zu steuern. Alles simpel und schnell. Zudem stehen zahlreiche Apps zur Verfügung wie etwa die Offroad-App, mit deren Hilfe der Allradler theoretisc­h alle Widerständ­e überwinden kann.

Damit sind wir bei der zentralen Frage: Brauchen wir im Südwesten der Republik wirklich einen Allrad? Die hiesigen Straßenmei­stereien arbeiten so profession­ell, dass sie selbst bei plötzliche­n Wintereinb­rüchen in der Lage sind, die wichtigen Straßen zu räumen. Also ist der Allradantr­ieb wohl eher etwas fürs Gemüt oder Gefühl, eine Art Beruhigung­spille. Notwendig ist er in aller Regel nicht.

Wer sich in dem Jeep dann beim Fahren nicht wohlfühlt, der hat allerhöchs­te Ansprüche. Ein Manko, zugegeben, sind die fehlenden Ablagen. Wer etwas Größeres in den Seiten oder zwischen den Sitzen verstauen möchte, sucht vergebens. Dafür reicht der Platz für vier Personen problemlos, ein fünfter Passagier allerdings freut sich recht schnell nach der Abfahrt auf die Ankunft. Aber das ist auch nicht anders im VW Tiguan, im Ford Kuga oder in einem vergleichb­aren Koreaner oder Japaner. Für das Gepäck hingegen genügt der Kofferraum, der gut zu beladen ist und über einen herausnehm­baren Boden verfügt. Dort kann allerlei verstaut werden.

Schauen wir uns noch die nackten Fahrwerte an: Unter zehn Sekunden von 0 auf 100, und auch 200 km/h sind bei Vollgas drin. Ein Verkehrshi­ndernis ist der schmucke Compass also nicht. Wie die CO2-Bilanz bei derart zügiger Fahrt aussieht, möchte man aber lieber nicht wissen. Den angegebene­n Durchschni­ttsverbrau­ch von knapp unter sieben Litern haben wir nie erreicht, nicht einmal bei einem ausgesproc­hen defensiven Fahrstil. Bei uns schluckte der Motor durchschni­ttlich neun Liter. Wurden die Gänge ausgereizt, signalisie­rte der Bordcomput­er sogar schnell einen zweistelli­gen Benzinkons­um. Ein Diesel macht das deutlich

Leichtgäng­ige Lenkung, gequälter Motorsound, Automatik nicht optimal abgestimmt, hoher Verbrauch, Mangel an Ablagefläc­hen

besser, aber in der aktuellen Diskussion um Fahrverbot­e wegen Stickoxide­n wollen das die meisten nicht hören.

Mit Fahrassist­enzsysteme­n ist der Compass gut ausgestatt­et. Der ToteWinkel-Warner ist ebenso an Bord wie der Spurhaltea­ssistent und der Frontkolli­sionswarne­r. Im wahrsten Sinne des Wortes fand das Lautsprech­ersystem von Boals Anklang.

Für wen der Compass eine Alternativ­e ist? Für alle, die sich an Volkswagen und Co. sattgesehe­n haben. Das Auto ist attraktiv gezeichnet. Von außen ist es unverkennb­ar ein Jeep, die harten Kanten sind verschwund­en, und Motorhaube, Scheinwerf­er sowie Kühlergril­l sind einfach ganz anders gestaltet als bei der europäisch­en und asiatische­n Konkurrenz. Die Technik ist auf dem aktuellen Stand. Es mag ja sein, dass es SUV-Modelle gibt, die ein paar Dinge besser können als der Jeep Compass. Aber ein Hauch von Individual­ität kann nicht schaden.

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FOTO: JEEP Attraktiv gezeichnet: Der Compass versprüht einen Hauch von Individual­ität auf dem hart umkämpften Markt der kompakten SUV.

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