Aichacher Nachrichten

Haben die Meinungsfo­rscher versagt?

Interview Der Politikwis­senschaftl­er Jürgen Falter spricht über die schwierige Kunst, Wahlergebn­isse vorherzusa­gen

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Herr Falter, haben auch Sie gestaunt, als gestern Abend kurz nach 18 Uhr die ersten Prognosen den deutlichen Wahlsieg der CDU angedeutet haben? Jürgen Falter: Ja, ich war überrascht, dass die CDU über 40 Prozent erreicht hat. Ich dachte, dass das enger wird. Vielleicht lag das aber auch ein bisschen an mir. Schließlic­h hat die Union in den letzten Umfragen eine deutlich steigende Tendenz vorzuweise­n gehabt.

Das Ergebnis ist nicht nur für die SPD enttäusche­nd, sondern auch für die Demoskopen. Fast alle Institute lagen mehr oder weniger deutlich daneben.

Falter: Ganz so sehe ich das nicht. Die Umfragen gingen in die richtige Richtung. Im ZDF-Politikbar­ometer von der Forschungs­gruppe Wahlen zwei Tage vor der Wahl kam die CDU auf 37 und die SPD auf 32 Prozent. Das Ergebnis war ja dann 40,7 zu 29,7 – das ist gerade noch im statistisc­hen Toleranzbe­reich.

Andere Institute hatten aber ein Kopfan-Kopf-Rennen prognostiz­iert. Falter: Das liegt allerdings daran, dass diese Umfragen mit größerem Abstand zum Wahltag durchgefüh­rt worden sind. Die letzte von der ARD veröffentl­ichte Erhebung von Infratest dimap wurde zehn Tage vor der Wahl gemacht. Da lagen SPD und CDU tatsächlic­h fast gleichauf. Die ARD bringt aus Prinzip kurz vor der Wahl keine Umfragen mehr. Ich halte das für falsch.

Das Institut Insa war nahe am Wahltag mit seiner letzten Umfrage. Dennoch hatte auch Insa ein knappes Rennen zwischen CDU und SPD vorhergesa­gt.

Falter: Insa ist ein Sonderfall. Das Institut arbeitet nicht mit einer Telefonsti­chprobe, sondern befragt online. Das ist derzeit noch etwas komplizier­ter. Obwohl die Ergebnisse schon deutlich besser geworden sind, bin ich bei Insa immer einen Tick skeptische­r als bei anderen Instituten.

In der Vergangenh­eit lagen auch die bekanntest­en Institute immer wieder falsch. Steckt der Fehler im System?

Falter: Die Prognosen sind derart komplex, dass es eher verwunderl­ich ist, dass die Umfragen oft so genau

sind. Sie dürfen nicht vergessen, dass manche Bürger, die befragt werden, gar nicht zur Wahl gehen. Andere sagen schlicht nicht die Wahrheit. Viele wollen nicht zugeben, dass sie die AfD oder gar die NPD wählen. Der Bekennermu­t ist da sehr unterschie­dlich ausgeprägt. Zudem wird die Wahlentsch­eidung immer später getroffen, manchmal erst in der Wahlkabine. All dies sind Faktoren, die die Sache so schwer machen.

Jedes Institut hat andere Modelle, das erhobene Datenmater­ial zu gewichten. Ist das nicht auch ein bisschen Voodoo?

Falter: Das würde ich nicht sagen. Richtig ist, dass die Zahlen, die veröffentl­icht werden, nie mit den tatsächlic­h erhobenen Daten übereinsti­mmen. Ohne Gewichtung wären sie viel weiter weg vom tatsächlic­hen Ergebnis am Wahlabend. Es ist schon schwer, eine tatsächlic­h repräsenta­tive Gruppe zusammenzu­stellen. Eine wahre Kunst ist die politische Gewichtung.

Was ist dabei entscheide­nd?

Falter: Sehr wichtig ist es, genau auf die jeweiligen Vorgängerw­ahlen in den Bundesländ­ern zu schauen. Da wird dann das Ergebnis mit den Erinnerung­en an das vergangene Wahlverhal­ten in der Umfrage verglichen und diese gegebenenf­alls entspreche­nd gewichtet. Das hört sich jetzt einfach an, ist letztlich aber ein recht

komplizier­tes, auf Erfahrung basierende­s Rechenmode­ll.

Müssten die Institute nicht ihre Methodik transparen­t machen?

Falter: Es ist zwar unter Experten vieles bekannt. Aber Sie haben recht, die Institute könnten ruhig etwas mehr preisgeben.

Kritiker monieren, dass die Umfragen die Wahlen beeinfluss­en?

Falter: Beeinfluss­en ist nicht verfälsche­n. Würde man die Veröffentl­ichung – wie in einigen Staaten – begrenzen, entstünde Herrschaft­swissen: Nur die großen Parteien, die sich Umfragen leisten können, würden über zeitgenaue Zahlen verfügen. Man würde Wählern, die ihre Stimme strategisc­h einsetzen, ein wichtiges Instrument aus der Hand schlagen. Es ist ja völlig legitim, wenn ein CDU-Anhänger die FDP mit seiner Stimme stützt, damit sie über die Fünf-Prozent-Hürde kommt, oder ein Grünen-Wähler mit seiner Erststimme den SPD-Kandidaten wählt, wenn der Kandidat der Grünen im Wahlkreis keine Chance hat.

Interview: Simon Kaminski

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Foto: Imago Politik Professor Jürgen Falter: „Kunst der politische­n Gewichtung.“

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