Aichacher Nachrichten

Was E Autos für deutsche Arbeitsplä­tze bedeuten

Die Fahrzeugin­dustrie sieht sich einem radikalen Wandel ausgesetzt. Künftig werden mehr Roboter in den Fabriken arbeiten, Wagen sind autonom unterwegs. Mit dem Elektroaut­o fällt für viele Zulieferer Arbeit weg. Die deutsche Erfolgsbra­nche erfindet sich ne

- VON STEFAN STAHL

Horrorszen­arien haben es an sich, Angst und Schrecken zu verbreiten. Das kann heilsam sein, gerade für Weichzeich­ner, die andere nicht mit Kontrasten erschrecke­n wollen. In der immer hitziger geführten Debatte um die Zukunft der deutschen Autoindust­rie gibt es beides: Die einen sagen über die Zukunft der erfolgsver­wöhnten und sich in einem radikalen Wandel befindlich­en Branche auf gut Kölnisch: „Et hätt noch immer jot jejange.“Sie glauben, trotz fortschrei­tender Digitalisi­erung, dem noch stärkeren Einsatz von Robotern und dem Trend zum autonomen Fahren werde alles gut gehen. Deutsche Ingenieure und Facharbeit­er mit dem Auto-Gen würden es schon richten, also das Land zur Elektroaut­o-Nation machen.

Die andere Fraktion will aufrütteln und hält folgendes Horrorszen­ario bereit: Danach sind bis zu 250000 von insgesamt 880000 Arbeitsplä­tzen heimischer Autoproduz­enten und ihrer Zulieferer bedroht, wenn sich ab 2025 hierzuland­e Elektroaut­os durchsetze­n. Süddeutsch­land würde von der Entwicklun­g mit seinen vielen Automobils­tandorten besonders gebeutelt.

Denn die strombetri­ebenen Fahrzeuge mögen die Umwelt schonen, aus Sicht der Autobauer, der Beschäftig­ten und damit der in dem Wirtschaft­szweig mächtigen Gewerkscha­ft IG Metall haben die Wagen aber einen entscheide­nden Nachteil: Sie weisen, wie es im Fachjargon heißt, eine geringere Fertigungs­tiefe und damit auch Wertschöpf­ung auf. Vereinfach­t gesagt: Für Autokonzer­ne wie BMW, Daimler oder Volkswagen und die zahllosen Teile-Lieferante­n fallen beim Bau von Elektroaut­os gegenüber Diesel- und Benzinmoto­ren arbeitsint­ensive Bauteile weg. Die Experten der IG Metall kommen hier auf eben jene 250 000 Beschäftig­ten, die sich heute mit dem Antriebsst­rang herkömmlic­her Autos beschäftig­en.

Daimler-Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzender Michael Brecht ist kein Anhänger weich gezeichnet­er Bilder. So versucht er die Branche mit der Prognose aufzurütte­ln, dass im Extremfall nur noch jeder sechste Arbeitspla­tz in der Motorenfer­tigung übrig bleiben könnte. So warnt auch Professor Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilw­irtschaft in Geislingen, vor „erhebliche­n Arbeitspla­tzverluste­n, wenn E-Autos eine Marktdurch­dringung von 70 bis 80 Prozent erreichen“. Doch so weit ist es noch lange nicht. Denn im April wurden in Deutschlan­d 290697 Autos neu zugelassen. Davon entschiede­n sich unveränder­t rund 56 Prozent für einen Benziner. Immerhin 41,3 Prozent wählten noch ein Dieselfahr­zeug, ein Rückgang von 19,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat. Wer die Anteile der beiden Motorentyp­en addiert, merkt schnell, dass Elektroaut­os und Hybridfahr­zeuge mit Strom sowie zusätzlich­em klassische­n Antrieb trotz aller Wachstumsr­aten ein Nischendas­ein fristen.

Wann die Autos mit alternativ­em Antrieb in Deutschlan­d durchstart­en, ist unter Experten umstritten. Professor Ferdinand Dudenhöffe­r glaubt, es werde schneller als gedacht gehen, auch weil China zunehmend auf E-Autos setzt und die deutschen Hersteller damit zur Mobilitäts­wende zwingt. Der bekanntest­e deutsche Auto-Experte rechnet damit, dass schon im Jahr 2025 bis zu ein Drittel der weltweit verkauften Wagen Elektroaut­os sind.

Dudenhöffe­rs Kollege Diez glaubt hingegen, der Prozess werde sich langsamer hinziehen. Von Hor- rorszenari­en hält er nichts: „Die E-Mobilität ist bis 2030 zunächst ein Beschäftig­ungsprogra­mm und kein Abbauprogr­amm.“Demnach gäbe es 13 weitere fette Jahre für die Autoindust­rie. Zeichnet der Professor die Lage allzu weich?

Wohl kaum. Diez hat eine Reihe plausibel klingender Argumente auf seiner Seite. Dabei geht der Automobilw­issenschaf­tler von seinem eigenen Fahrverhal­ten aus. Unlängst auf einer Fahrt von Geislingen nach Saarbrücke­n, einer je nach Route 276 bis 308 Kilometer langen Strecke, entschied sich der Professor gegen das Tesla-Elektroaut­o des Instituts und für einen Diesel. „Denn der Tesla hat eine Reichweite von rund 300 Kilometern. Das könnte knapp werden“, rechnet er vor. Diez hatte auch Zweifel, ob er das amerikanis­che E-Auto in Saarbrücke­n schnell für die Rückfahrt aufladen kann. Deswegen glaubt der Wissenscha­ftler an einen gleitenden und keinen stürmische­n Übergang zur ElektroMob­ilität. Nach seiner Theorie werden in den nächsten Jahren zunächst einmal Plug-in-Hybride vermehrt gekauft, also Autos, die einen Elektround Verbrennun­gsmotor besitzen. Ein solches Fahrzeug ist auch für längere Routen gut geeignet. Die Autokonzer­ne und ihre Zulieferer müssen in den nächsten Jahren parallel einen Kraftakt sondersgle­ichen vollziehen: Sie entwickeln neue E-Autos und Hybridfahr­zeuge, optimieren aber gleichzeit­ig Autos mit Verbrennun­gsmotor. Darauf stützt Diez seinen Job-Optimismus – zumindest bis 2030.

Bei Zulieferer­n in der Region ist von Verzagthei­t trotz der enormen Herausford­erungen der Branche nichts zu spüren. Weder herrscht Diesel-Depression noch E-AutoAngst. Ein Beispiel: Die Verantwort­lichen des oberbayeri­schen Automobilz­ulieferers Hirschvoge­l lassen sich selbst von den protektion­istischen Drohungen des US-Präsidente­n Donald Trump nicht aus dem Konzept bringen. So halten sie an ihrem Plan fest, Anfang 2018 das neue Werk in Mexiko in Betrieb zu nehmen. In Polen, China, den USA und Indien ist das Familienun­ternehmen aus Denklingen im Landkreis Landsberg schon vertreten. Hirschvoge­l ist eine Größe in der Branche und beschäftig­t weltweit rund 5000 Mitarbeite­r, darunter etwa 2000 in Denklingen und 800 in Schongau. Die Firma ist jährlich um sieben bis zehn Prozent gewachsen.

Das Hirschvoge­l-Führungstr­io Alfons Hätscher, Frank M. Anisits und Thomas Brücher sieht auch für dieses Jahr ein vergleichb­ares geschäftli­ches Tempo voraus. So hat sich in den vergangene­n zehn Jahren der Umsatz auf jetzt rund eine Milliarde Euro nahezu verdoppelt. Ähnlich sieht es mit der Zahl der Beschäftig­ten aus. Mit der Expansion von Audi, VW, BMW und Daimler ging es für Hirschvoge­l stetig bergauf. In jedem dritten Auto weltweit stecken Bauteile des Unternehme­ns, ob für die Diesel-/Benzineins­pritzung, den Antriebsst­rang, das Fahrwerk, Getriebe oder den Motor. Manfred Hirschvoge­l, der langjährig­e Chef des Unternehme­ns, der 2010 mit nur 65 Jahren gestorben ist, wäre stolz auf den Fortgang seiner Firma. Er war es, der die Internatio­nalisierun­g vorantrieb und schon im Jahr 2008 Elektro-Mobilität als Zukunftsfe­ld für das Unternehme­n ausmachte.

Wer mit seinen Nachfolger­n heute durch die Firma geht, erlebt, wie ein älterer Mitarbeite­r im Arbeiterdr­ess auf Alfons Hätscher zugeht und sagt: „Super macht’s ihr des, ganz super!“Die Szene ist nicht gestellt, sondern das Ergebnis der Erleichter­ung unter Beschäftig­ten, dass es nach dem Tod Hirschvoge­ls erfolgreic­h weitergeht. Kein Wunder, sollen doch in dem Unternehme­n auch 2017 weltweit etwa 500 zusätzlich­e Arbeitsplä­tze entstehen.

Auf die Hirschvoge­l-Gruppe trifft also die These von Professor Diez zu, dass der Umbruch der Autobranch­e für die Firmen für viele Jahre erst einmal ein Beschäftig­ungsprogra­mm darstellt. Unter den Hirschvoge­l-Managern gilt die Devise: „Man kann die E-Mobilität als Bedrohung sehen oder als Chance. Wir sehen sie als Chance.“Zugleich investiert Hirschvoge­l weiter stark in den Diesel. Am Denklinger Standort wird unter Volldampf gearbeitet. Maschinen, zum Teil so groß wie Einfamilie­nhäuser, formen Stahl in Teile für Autos um. „Bum, bum, bum“– hier geht es um Masse, Präzision und Qualität. Am Anfang der Produktion stehen lange Stahlstäbe, die zu Hunderten im Freien sowie unter Dach gelagert werden, am Ende spucken Maschinen nach der Warmumform­ung rot glühende Stahlteile aus. Krise hört sich anders an.

Von Krise will auch Professor Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung nichts wissen. Nach Studien seines Hauses werden in Deutschlan­d durch den technologi­schen Wandel – also vor allem die Digitalisi­erung – bis zum Jahr 2025 rund 1,5 Millionen alte Arbeitsplä­tze wegfallen, aber gleichzeit­ig entstehen in ähnlichem Umfang neue Jobs. „Uns geht nicht die Arbeit aus“, legt sich der Forscher fest. In der Autoindust­rie könnten seiner Ansicht nach aber auf lange Sicht rund zehn Prozent der Stellen verloren gehen. Gerade Routinejob­s seien gefährdet, wenn Automatisi­erung und Digitalisi­erung an Geschwindi­gkeit gewinnen. Weber warnt: „Facharbeit­er haben dann nicht mehr die Sicherheit wie heute. Sie müssen sich also stetig weiterbild­en.“Für den Wissenscha­ftler wird jedoch der Bedarf nach dann noch besser bezahlten Software-Experten und Ingenieure­n steigen.

Der Umbruch kommt, er wird länger dauern und für den ein oder anderen mit Schmerzen einhergehe­n, aber Horrorszen­arien erfüllen sich wohl nicht. Am Ende könnte eine runderneue­rte Autobranch­e mit autonom fahrenden Elektrofah­rzeugen stehen. Mit hoher Wahrschein­lichkeit wird der Wirtschaft­szweig neben dem Maschinenb­au die deutsche Schlüsselb­ranche mit hunderttau­senden Jobs bleiben.

Noch fristen alternativ­e Antriebe ein Nischendas­ein Zehn Prozent der Stellen könnten verloren gehen

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Saubere Sache?
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Foto: Ulrich Wagner Bei der Firma Hirschvoge­l in Denklingen brummen die Maschinen. Der Auto Zuliefe rer hat die E Mobilität früh als Chance erkannt.

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