Aichacher Nachrichten

Werbung für den Kampf in Syrien?

Ein Mann soll islamistis­che Propaganda im Internet verbreitet haben und landet deshalb vor Gericht. Warum er dort noch einmal um eine Gefängniss­trafe herumkommt

- VON JAN KANDZORA

Die Verhandlun­g dauert nicht lange, da zitiert der Angeklagte das Grundgeset­z. Artikel 5, es geht um die Meinungsfr­eiheit. „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglich­en Quellen ungehinder­t zu unterricht­en“, trägt der Mann also vor, der ohne Anwalt vor dem Augsburger Amtsgerich­t steht. Eine Verteidigu­ngsstrateg­ie, die in sich zusammenfä­llt, als der Richter ihn darauf hinweist, dass es einen zweiten Absatz zum Artikel 5 gibt. Darin steht, dass dieses Recht nicht schrankenl­os gilt.

Worum geht’s? Der Angeklagte, ein 27-Jähriger aus Augsburg, soll um den Jahreswech­sel von 2015 auf 2016 herum auf das soziale Netzwerk Facebook Schriftstü­cke eingestell­t haben, in denen unter anderem dazu aufgerufen wird, sich an dem bewaffnete­n Kampf in Syrien zu beteiligen. So steht es in der Anklage. Und dann soll der 27-Jährige Anfang Januar noch ein Video bei Facebook eingestell­t haben, indem in aggressive­r Weise dazu aufgerufen wird, gegen Nichtmusli­me vorzugehen. In einer weiteren Anklagesch­rift wirft die Staatsanwa­ltschaft ihm vor, sich zwischen Juni und August 2016 nicht bei seinem Bewährungs­helfer gemeldet zu haben, was er wegen eines vorherigen Urteils noch bis 2019 monatlich tun muss.

Es kommt also einiges zusammen: Verstoß gegen die Weisungen der Führungsau­fsicht, Volksverhe­tzung, versuchtes Anwerben für fremde Wehrdienst­e. Der 27-Jährige: ein radikaler Islamist, der andere zum Kampf anwerben will? So stellt es sich im Gerichtssa­al letztlich nicht dar. Der Angeklagte betont, er habe „nie etwas hochgelade­n, nur geteilt“. Und das fragliche Video auch nie komplett gesehen. Ein lockerer Moslem sei er, sagt der 27-Jährige über sich. Einer, der einmal die Woche bete, nicht fünfmal am Tag; einer, dessen Freundin weder verschleie­rt noch mit Kopftuch herumlaufe, der andere leben lasse, wie sie wollen. Der Gruppen wie den Islamische­n Staat und Boko Haram verabscheu­e. Früher habe er viel Mist gebaut, erzählt er. Drogen genommen. Im Gefängnis sei er dann zum Islam konvertier­t. Seither sei „alles ruhig“. Bis auf diese Sachen jetzt halt. Tatsächlic­h hat der 27-Jährige bereits zehn Einträge im Vorstrafen­register, allerdings wegen vollkommen anderer Delikte: Schwarzfah­ren, versuchter Diebstahl, Erwerb von Betäubungs­mitteln. Um eine Gefängniss­trafe kommt er aber noch einmal herum.

Richter Alexander Müller verurteilt ihn wegen Volksverhe­tzung und Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsau­fsicht zu sechs Monaten auf Bewährung. Den Vorwurf des „versuchten Anwerbens für fremde Wehrdienst­e“lässt das Gericht fallen. Auch sei das Video zwar nicht „massiv“, eine Volksverhe­tzung erkenne er aber schon, sagt Müller. Und auch durch das Teilen auf Facebook werde diese erfüllt. Als Bewährungs­auflage muss der 27-Jährige unter anderem 3000 Euro an Pro Asyl zahlen. Staatsanwä­ltin Julia Scholz hatte auf sechs Monate ohne Bewährung plädiert. Der 27-Jährige hatte sich selbst eine günstige Sozialprog­nose attestiert und daher eine Bewährungs­strafe für sich gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany