Aichacher Nachrichten

Ab jetzt tickt die Brexit Uhr

Heute beginnen die Verhandlun­gen über den EU-Austritt Großbritan­niens. Bis 2019 müssen tausende Gesetze neu aufgelegt werden. Schon jetzt glaubt niemand, dass dies in der angesetzte­n Zeit klappt

- VON DETLEF DREWES

Es geht los. Über ein Jahr nach der Entscheidu­ng der Briten, die EU zu verlassen, beginnen heute die Verhandlun­gen über einen Austritt aus der Union. Steht am Ende ein „harter“Brexit oder ein „weicher“? Und was ist das überhaupt? Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Wie laufen diese Verhandlun­gen konkret ab? Zunächst treffen sich die britische und die europäisch­e Delegation von 11 bis 18 Uhr in Brüssel. Man spricht Englisch miteinande­r. Allerdings hat EU-Delegation­sleiter Michel Barnier ausgehande­lt, dass er, wenn es schwierig wird, ins Französisc­he wechseln darf. Übersetzer stehen bereit. Zunächst dürften Grundsatzf­ragen wie die Tagesordnu­ng anstehen. Danach wird auf der Ebene von Fachbeamte­n weiter verhandelt – möglicherw­eise auch parallel zu verschiede­nen Themen.

Warum wird überhaupt verhandelt? Kann Großbritan­nien nicht einfach seine Mitgliedsc­haft kündigen? Nein. Denn das Land hat ja nicht nur finanziell­e Verpflicht­ungen übernommen. Es müssen auch 21 000 Gesetze besprochen und entwirrt werden. Dabei geht es um zen- trale Themen – zum Beispiel um die Frage, ob die rund 3,5 Millionen Bürger aus anderen EU-Staaten, die jetzt schon im Vereinigte­n Königreich leben, weiter ein Aufenthalt­srecht haben. Oder ob sie sich alle neu um eine Erlaubnis bewerben müssen. Das Gleiche gilt umgekehrt für die über 1,2 Millionen Briten, die in den 27 Staaten der Gemeinscha­ft leben.

Es wird oft von einem „harten“oder „weichen“Brexit gesprochen. Was ist damit eigentlich gemeint? Vereinfach­t gesagt geht es um Kompromiss oder Bruch. Bei einem weichen Brexit würden beide Partner viel aufeinande­r zugehen. Großbritan­nien könnte einen Großteil der EU-Gesetze übernehmen oder bestehen lassen und würde europäisch­e Standards im Grundsatz beibehalte­n. Auch der Zugang zum Binnenmark­t bliebe offen – was für London undenkbar ist. Denn dann müsste man auch die Personenfr­eizügigkei­t akzeptiere­n. Dann dürften die Unternehme­n der Insel weiter ihre Produkte ohne Zollzuschl­äge auf dem Kontinent verkaufen, die europäisch­en Firmen würden weiter Zugang zum britischen Markt haben. Bei einem „harten“Brexit würde London praktisch alles kündigen, was von Europa je übernommen wurde. Dies dürfte zu großen Problemen bei Import und Export führen, Zölle würden wieder eingeführt und alle Produkte verteuert. Und es gibt viele Fragen, die auch den Bürger betreffen. Zum Beispiel: Werden die EU-Passagierr­echte künftig noch für Flüge mit britischen Airlines gelten?

Es heißt, Premiermin­isterin Theresa May wolle insgeheim keinen Deal. Was wäre daran so schlimm? Kein Deal heißt offener Bruch. In diesem Fall müsste London seine Beziehunge­n zur EU praktisch völlig neu definieren und aushandeln. May könnte damit erreichen, dass sie nicht mehr gegen die 27er-Union anrennen muss, sondern mit jedem Mitgliedst­aat einzeln politische und wirtschaft­liche Abkommen auskungelt – was wohl Jahre dauern würde. Das will Brüssel verhindern.

Um welche Themen geht es denn überhaupt? Neben dem Aufenthalt­srecht für die EU-Ausländer auf der Insel beziehungs­weise der britischen Auswandere­r auf dem Kontinent muss geklärt werden, welche finanziell­en Verpflicht­ungen London für die laufende Finanzperi­ode bis 2020 eingegange­n ist. Dazu zählen Förderprog­ramme, aber auch Pensionen für EU-Beschäftig­te. Denn die Gemeinscha­ft hat ja alle ihre Ausgaben geplant, und darin sind die Beiträge Londons enthalten. Ein drittes Thema ist die Grenze zwischen dem EUMitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland. Sie würde zur Außengrenz­e der EU, was de facto zu einer Spaltung des Landes führen könnte. Aus politische­n Gründen wollen beide Seiten dies verhindern.

Müssen die britischen Europaabge­ordneten das Parlament verlassen? Die Parlamenta­rier wurden streng genommen zwar von London entsandt, üben ihr Mandat allerdings im Namen aller EU-Bürger aus. Deshalb sollen sie – ebenso wie der britische Kommissar – bis zum Ende der Legislatur­periode bleiben. Nach der Europawahl 2019 wird sich das Parlament dann allerdings verändern. Denn die Zahl der Sitze ist mit 751 festgelegt. Diese werden dann unter den Abgeordnet­en der 27 Mitgliedst­aaten neu aufgeteilt, sodass auch Deutschlan­d mehr als die bisher 96 Parlamenta­rier stellen darf.

Wer muss einem Brexit-Abkommen zustimmen? Zunächst ist das Europäisch­e Parlament zuständig. Im Anschluss daran wird die Vereinbaru­ng allen Volksvertr­etungen der Mitgliedst­aaten (also auch dem britischen Unterhaus in London) vorgelegt. Im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs ist eine qualifizie­rte Mehrheit von 20 Ländern notwendig, die insgesamt 65 Prozent der EU-Bevölkerun­g repräsenti­eren.

Ist das alles innerhalb der vorgeschri­ebenen Frist bis zum 29. März 2019 zu schaffen? Damit rechnet niemand. Allerdings können alle Beteiligte­n (Großbritan­nien und die 27 EU-Staaten) einstimmig beschließe­n, die Verhandlun­gsfrist hinauszusc­hieben.

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Foto: Glyn Kirk, afp Knapp zwei Jahre haben die britische und die europäisch­e Delegation Zeit, um etwa 21000 Gesetze zu entwirren und neu zu verhandeln. Noch ist nicht klar, ob London einen „weichen“oder einen „harten“Brexit be vorzugt, also einen Kompromiss – oder einen...

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