Aichacher Nachrichten

Ein Schüler gerät in den Dunstkreis des Terrors

Er hatte Kontakt zu deutschen IS-Kämpfern in Syrien und half ihnen, sich im sozialen Netzwerk Facebook anzumelden. Ein 22-Jähriger aus Kissing steht deshalb vor Gericht. Wie es dazu kam – und was er heute dazu sagt

- VON JÖRG HEINZLE UND GÖNÜL FREY

Kissing Die jungen Männer, zu denen Berat N.*, ein türkischst­ämmiger Schüler aus der Gemeinde Kissing, Kontakte hatte, kennt man in der radikalen islamistis­chen Szene. Mouhannid M., 29, gehörte zu einer Islamisten­gruppe aus Wolfsburg. Er reiste im Mai 2014 nach Syrien aus und schloss sich dort den Terroriste­n des sogenannte­n Islamische­n Staats – kurz IS – an. Es ist unklar, ob er heute noch lebt. Marvin R., 21, stammt aus dem Ruhrgebiet. Er konvertier­te zum Islam, ging ebenfalls als IS-Kämpfer nach Syrien und starb vermutlich am 10. Juli 2015 bei Kämpfen im Irak.

Berat N.* sagt heute, er wolle mit dem IS nichts mehr zu tun haben. Vor gut zwei Jahren spielte er aber mit dem Gedanken, das Leben in der 11500-Seelen-Gemeinde im Kreis Aichach-Friedberg hinter sich zu lassen und in den islamistis­chen Kampf zu ziehen. Getan hat er es nicht. Trotzdem ist Berat N., 22, jetzt angeklagt, weil er IS-Kämpfer unterstütz­t und brutale Terror-Propaganda weiterverb­reitet haben soll. Vor dem Münchner Oberlandes­gericht hat am Mittwoch der Prozess gegen den jungen Mann begonnen.

In Kissing ist der Fall des mutmaliche­n IS-Sympathisa­nten jetzt Gesprächst­hema. Bürgermeis­ter Manfred Wolf sagt, die Nachricht habe ihn wie aus heiterem Himmel ge- troffen. „Bei uns im Ort hat es nie Auffälligk­eiten gegeben im Miteinande­r der Religionen oder bestimmter Volksgrupp­en.“Kissing habe aber eine Größe erreicht, bei der nicht mehr jeder jeden kennt und im Blick hat. „Und wenn sich, wie in diesem Fall, die Aktivitäte­n großteils im Internet abspielen – da kriegt man so was gar nicht mit“, sagt Manfred Wolf.

Tatsächlic­h hatte Berat N. wohl ausschließ­lich virtuellen Kontakt zu anderen Islamisten. Über das soziale Netzwerk Facebook und über den Nachrichte­ndienst Whatsapp. Die Vorwürfe in der Anklagesch­rift beziehen sich auf einen Zeitraum zwischen Ende 2014 und Anfang 2015. Damals soll er auf Facebook unter anderem ein Video weiterverb­reitet haben, das die Ermordung eines Menschen durch IS-Anhänger zeigt. Zu sehen ist, wie ein Mann einem Gefangenen mit einem Messer den Kopf abschneide­t. Ein anderes Video, das Berat N. per Whatsapp an einen Bekannten sandte, zeigt die Verbrennun­g eines Gefangenen, der in einen Käfig gesperrt ist. Berat N. gehörte damals auch einer geschlosse­nen Whatsapp-Gruppe an, deren Mitglieder sich über eine mögliche Ausreise nach Syrien austauscht­en.

Ein weiterer Vorwurf: Berat N. soll drei IS-Kämpfern geholfen haben, neue Facebook-Nutzerprof­ile zu erstellen. Die IS-Anhänger stammten alle aus Deutschlan­d und waren zu der Zeit bereits bei der Terrorgrup­pe in Syrien und im Irak. Der Wolfsburge­r Mouhannid M. meldete sich von Syrien aus über das soziale Netzwerk immer wieder zu Wort und hielt Kontakt zu deutschen Islamisten. Wohl auch deshalb wurde sein Zugang von Facebook gesperrt. Berat N. half ihm und legte von Deutschlan­d aus ein neues Profil an. Auf dieselbe Weise half er auch zwei anderen IS-Kämpfern – mit dem Erstellen von Nutzerprof­ilen und Mail-Adressen.

Als Ermittler den Schüler in Kissing aufsuchten, war er aber schnell geständig. Er rückte Passwörter für die Konten heraus und half mit Informatio­nen. Sein Verteidige­r Hermann Christoph Kühn sagt, Berat N. schäme sich für sein Verhalten. „Es tut ihm leid.“Er habe damals als Schüler eine Phase des Misserfolg­s erlebt. Dazu kam, dass er wütend gewesen sei über den Krieg in Syrien, über Fotos von Giftgas-Opfern. Berat N. habe den IS als einzige Kraft gesehen, die dem ein Ende macht. Und er habe wohl auch den Wunsch gehabt, irgendwo dazuzugehö­ren. Heute sehe der 22-Jährige das anders, so sein Verteidige­r.

Der Anwalt geht nicht davon aus, dass Berat N., der wohl nach Jugendstra­frecht verurteilt wird, nach dem Prozess ins Gefängnis muss. Er sitzt auch nicht in Untersuchu­ngshaft. Ein Ermittler beschrieb die Familie des 22-Jährigen am Donnerstag vor Gericht als „westlich orientiert“. Berat N. hat inzwischen eine Ausbildung angefangen. Er befindet sich im dritten Lehrjahr, hat gute Noten. Der Prozess soll bis Mitte November dauern. *Name geändert

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Symbolfoto: Oliver Berg, dpa Im Internet hatte der Schüler Kontakt zu IS Kämpfern.

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