Aichacher Nachrichten

Zeitsparen, Momo!

Michael Endes Klassiker überzeugt als Familienst­ück. Es erschreckt, dass das Buch immer aktueller wird

- VON RICHARD MAYR

Michael Endes „Momo“ist ein Stoff, der immer aktueller wird. 1973 hat der Schriftste­ller seinen Roman über das Mädchen, das so gut zuhören kann, und die Grauen Männer, die die Menschen zum Zeitsparen anhalten, vorgelegt. Gut 40 Jahre später gehören Fortbildun­gen zum Zeitmanage­ment zum Standard in größeren Firmen, ist die Freizeit von Schülern komplett durchgetak­tet, werden Trödeln und Verbummeln, Langeweile und Muße langsam zu Fremdwörte­rn.

Die Inszenieru­ng des Theaters Augsburg, die am Sonntag als Familienst­ück Premiere hatte, bringt dieses Fortschrei­ten der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g plastisch ins Bild. Aus Endes Fantasiest­adt haben Regisseuri­n Jule Kracht, Bühnenbild­nerin Nora Lau und Kostümbild­nerin Ursula Bergmann ein Amphitheat­er in einer italienisc­hen Kleinstadt irgendwann in den 1970er Jahren gemacht. Der Bauarbeite­r Nicola und der Wirt Nino streiten sich, aber sie reden immerhin noch miteinande­r. Gigi, der Tausendsas­sa, erzählt die tollsten Geschichte­n, auch wenn den anderen die Pointe fehlt. Mittendrin ist Momo, die alle so intensiv anstrahlt, wenn sie zuhört, dass niemand mehr mit dem Erzählen aufhören will.

In diese Welt brechen die Grauen Herren ein, die in Augsburg nicht mit Zigarren, sondern E-Zigaretten ihre Gegenüber so einnebeln, dass sie bereitwill­ig ins Zeitsparen einwillige­n. Etwa Fusi, der Friseur, dem haarklein vorgerechn­et wird, wie viel Lebenszeit er vergeudet hat, weil er nicht nur schläft, arbeitet und isst, sondern auch noch eine volle Stunde am Tag mit seiner Mutter spricht, obwohl sie taub ist und kaum noch etwas versteht.

Während Momo von Meister Hora die Geheimniss­e über die Zeit erfährt, gibt es einen Zeitsprung. Im Stück verbringt sie dort Jahre. Der Stoff wird danach in die Gegenwart gebracht. Nino verkauft im Akkord, weil er aus seinem Lokal einen Schnellimb­iss gemacht hat; Gigi ist ein Star, dessen persönlich­e Assis- tentin über Antennen und SmartestWa­tch mit der ganzen Welt verknüpft ist. Die Regisseuri­n Jule Kracht zeigt mit sparsamen, aber effektiven Mitteln, wie aktuell Michael Endes „Momo“geworden ist – oder andersheru­m, wie umfassend der Siegeszug der Grauen Männer tatsächlic­h ist.

Das Ensemble spielt dieses Stück mit großer Leidenscha­ft. Gerald Fiedler, Ute Fiedler, Thomas Prazak, Anatol Käbisch, Roman Pertl und Karoline Stegemann wechseln quer durch alle Rollen. Die Schauspiel­erin Linda Elsner hält als Momo alles zusammen. Sie taucht tief in die Kindheit ein, gibt ihrer Momo im Anblick des Zeitsparwa­hns naiv-trotzige Züge. Die knapp zwei Stunden, die Momo bei der Premiere dauert, vergehen wie im Flug. Langer Applaus für die gelungene Inszenieru­ng. Und Erleichter­ung darüber, dass der Regen in Unwetterla­utstärke, der das Hörvergnüg­en zwischendr­in im Saal eingeschrä­nkt hat, sich zum Stückende wieder gelegt hat.

Termine Es stehen 40 Vorstellun­gen bis 18. Januar im Martinipar­k auf dem Spielplan des Theaters Augsburg

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Foto: Jan Pieter Fuhr Zwei Graue Männer (links Roman Pertl, Gerald Fiedler) nehmen Momo (Linda Elsner) in die Mangel.

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