Der Kronprinz und sein riskantes Spiel
In Saudi-Arabien ist das Ende des Öl-Zeitalters in Sicht. Der junge starke Mann hinter König Salman setzt auf Modernisierung. Doch seine Außenpolitik ist aggressiv. Und den Machtkampf im Inneren hat er auch noch nicht gewonnen
Augsburg An der Spitze des Staates Saudi-Arabien stehen seit Jahrzehnten alte, teilweise gebrechliche Männer. Das liegt daran, dass seit dem Tod des Staatsgründers Abdul Asis al-Saud im Jahr 1953 ausschließlich dessen Söhne das Land regierten. Derzeit ist der sechste dieser Brüder König, der 81-jährige Salman bin Abdul Asis. Der starke Mann im Hintergrund zählt aber gerade einmal 32 Jahre: Kronprinz Mohammed bin Salman. Und der ist dabei, nicht nur das Land umzukrempeln, sondern auch die gesamte Region in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Der Lieblingssohn des Königs, der beste Aussichten hat, als Erster aus der Enkelgeneration eines Tages den Thron in Riad zu besteigen, hat erkannt, dass Saudi-Arabien seine Zukunft nicht alleine auf Erdöl gründen kann. Zwar sprudeln die Quellen noch kräftig, aber die Zeitenwende kommt in Sichtweite. Zum einen sind die Vorkommen endlich, zum anderen streben immer mehr Staaten auf dem Globus weg von dieser klimaschädlichen fossilen Energiequelle. Ein Vorbote dieser Entwicklung war bereits der Ölpreisverfall der vergangenen Jahre. Der Staat der Saudis, der bisher so bequem vom Öl gelebt hat, braucht ein neues Geschäftsmodell.
Der Jungdynamiker Mohammed bin Salman hat sich die Modernisierung auf die Fahnen geschrieben – nicht nur technologisch. Da gibt es auf der einen Seite das 500-Milliarden-Dollar-Projekt der Zukunftsstadt „Neom“, in der viele Produktionsund Dienstleistungsprozesse vollautomatisch ablaufen sollen. Doch auf der anderen Seite sollen dort auch „idyllische Lebensverhältnisse“herrschen – eine Abkehr von der streng religiösen Bevormundung, die im heutigen SaudiArabien allgegenwärtig ist. So weit, dass Alkohol ausgeschenkt wird, soll die Liberalisierung aber nicht gehen.
Der Prinz, der – im Gegensatz zu seinem Vater und vielen seiner Onkel und Cousins – nur mit einer Frau verheiratet ist, will die Macht der wahhabitischen Geistlichkeit brechen. Deren puristische und traditionalistische Auslegung des Islam ist dafür verantwortlich, dass in Saudi-Arabien die Rechtslehre der Scharia mit Auspeitschungen und Hinrichtungen besonders grausam praktiziert wird und dass Frauen nicht ohne einen männlichen „Beschützer“aus ihrer Familie reisen dürfen. All dies behindert den Modernisierungskurs. Mohammed ließ deswegen bereits im vergangenen Jahr die Religionspolizei entmachten. Und er steckt hinter dem kürzlichen Erlass von König Salman, wonach Frauen demnächst in Sportstadien gehen und Auto fahren dürfen. Auf einer Wirtschaftskonferenz in Riad sagte Mohammed im Oktober: „Wir gehen zurück zu einem modernen Islam, der offen für die Welt und alle Religionen ist.“Er kann darauf hoffen, dass dieser Kurs unter der großenteils jungen Bevölkerung Saudi-Arabiens großen Anklang findet.
Doch eines hat der Kronprinz nicht aufgegeben, im Gegenteil: Die Auseinandersetzung der in SaudiArabien dominierenden sunnitischen Glaubensrichtung mit den Schiiten, deren wichtigster Staat der Iran ist, hat sich unter seinem Einfluss dramatisch verschärft. Beide Staaten kämpfen um die Vorherrschaft in der Golf-Region.
Saudi-Arabien, dessen Könige den Titel „Hüter der heiligen Stätten“in Mekka und Medina tragen, verlangt von allen sunnitischen Regimes, sich in dieser Frage bedingungslos an seine Seite zu stellen. Das Scheichtum Katar scherte allerdings aus und begann, seine Beziehungen zum Iran zu normalisieren. Als Antwort brachen vier sunnitische Staaten unter Führung Riads die diplomatischen Beziehungen ab und verhängten einen Verkehrsboykott gegen den kleinen, aber reichen Golfstaat. Die saudische Einmischung im syrischen Bürgerkrieg und die neuerdings von Riad ausgehende Destabilisierung des Libanons sind weitere Auswüchse des Konflikts zwischen Sunniten und Schiiten.
Die schlimmsten Auswirkungen droht der innerislamische Bruderzwist allerdings im Jemen hervorzurufen. Mohammed, der seit der Thronbesteigung seines Vaters im Januar 2015 auch Verteidigungsminister ist, begann einen Luftkrieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Nachbarstaat. Die Machtverhältnisse in dem bettelarmen Land konnte er damit nicht umkehren. Aber der Militäreinsatz verursachte gigantische Zerstörungen und brachte die Zivilbevölkerung in eine dramatische Notlage. Hunderttausende Bewohner des Staats am Südende der Arabischen Halbinsel könnten als Folge einer Hungersnot und einer Cholera-Epidemie ihr Leben verlieren.
Trotz der vielen ungelösten Konflikte im Ausland, die Saudi-Arabien ausgelöst oder verschärft hat, nimmt der Kronprinz auch im Inneren den Kampf gegen potenzielle Gegner auf. So ließ er vor wenigen Tagen elf Prinzen und 38 vormals hochrangige Regierungsmitglieder verhaften, darunter den Großinvestor Prinz Al-Walid bin Talal und den Minister für die Nationalgarde, Prinz Motaib bin Abdullah. Offiziell gilt die Verhaftungswelle als Teil einer Kampagne gegen die Korruption, aber es geht auch um die Macht im Staat. Denn innerhalb der weitverzweigten Saud-Familie gibt es viel Neid und Missgunst. Dass die Macht möglicherweise auf Jahrzehnte in der Stammlinie Salmans bleiben soll, ist für potenzielle Konkurrenten ein Albtraum.
Auch wenn US-Präsident Donald Trump sein „großes Vertrauen in König Salman und den Kronprinzen“bekundete, ist die Ambivalenz der neuen saudischen Politik unübersehbar: Sie schwankt zwischen überfälliger Modernisierung und unnötiger Aggressivität.
Der Luftkrieg im Jemen hat katastrophale Folgen