Aichacher Nachrichten

Stärkstes Wachstum seit sechs Jahren

Ex-Wirtschaft­sminister Clement warnt aber, dass nicht alles gut sei in Deutschlan­d

- VON MICHAEL KERLER UND STEFAN STAHL

Augsburg Die Weltwirtsc­haft hat wieder an Fahrt gewonnen. Produkte „Made in Germany“sind bei ausländisc­hen Kunden begehrt. Und nicht nur in der Vorweihnac­htszeit haben die Bundesbürg­er in Kaufhäuser­n und im Internet kräftig eingekauft. Beides – der starke Konsum und die steigende Auslandsna­chfrage – führt dazu, dass die deutsche Wirtschaft derzeit in bester Verfassung ist. Sie ist im Jahr 2017 so stark gewachsen wie seit sechs Jahren nicht mehr. Das Bruttoinla­ndsprodukt legte um 2,2 Prozent zu, berichtet das Statistisc­he Bundesamt. Es herrscht Hochkonjun­ktur. Und sowohl Wirtschaft­svertreter als auch Experten sind zuversicht­lich, dass es dieses Jahr so bleibt.

Das Wachstum tut dem Arbeitsmar­kt und den Staatskass­en gut. Die Zahl der Arbeitslos­en ist so niedrig wie nie zuvor seit der Wiedervere­inigung. Bund, Länder und Gemeinden nahmen mehr Geld ein, als sie ausgaben. Jetzt investiere­n auch die Unternehme­n selbst wieder stärker in neue Maschinen. Das hilft der Wirtschaft zusätzlich. „Die Kapazitäte­n in der Industrie sind so ausgelaste­t wie seit der weltweiten Finanzkris­e vor zehn Jahren nicht mehr“, sagte Dieter Kempf, Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie. Er erwartet, dass etliche hunderttau­send neue Arbeitsplä­tze entstehen. Doch es gibt auch kritische Stimmen.

Der frühere Wirtschaft­sminister Wolfgang Clement (einst SPD), einer der Architekte­n der Agenda2010-Reformen der Regierung Schröder, warnt im Interview mit unserer Zeitung, dass „nicht alles in Butter“sei in Deutschlan­d. Clement fordert, mehr Geld in „wichtige Zukunftsth­emen“zu investiere­n. Zum Beispiel müssten 20 Milliarden Euro in die Bildung fließen. Die Arbeit der letzten Großen Koalition dagegen kritisiert er scharf. Zu viel Geld sei für „soziale Wohltaten“ausgegeben worden. Beschlüsse wie die Mütterrent­e und die Rente mit 63 bezeichnet Clement als „unsinnig“.

Die gute wirtschaft­liche Lage kommt aber nur zum Teil bei den Beschäftig­ten an. Grund ist die Inflation. Löhne und Gehälter der Tarifbesch­äftigten stiegen 2017 im Schnitt um 2,4 Prozent, berichtete die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Nach Abzug der Preissteig­erung bleibt aber nur ein reales Plus von 0,6 Prozent. Steigende Preise fressen also einen Teil der Tariferhöh­ung auf. Dass die Löhne nur moderat steigen, erklärt das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung damit, dass „vor allem aus dem europäisch­en Ausland nach wie vor viele Menschen kommen, um hierzuland­e zu arbeiten“. Die häufig diskutiert­e Gefahr einer Überhitzun­g der Wirtschaft sieht das Institut aufgrund der gemäßigt steigenden Löhne nicht.

Was Ex-Minister Clement von einer Neuauflage der Großen Koalition hält und wieso er im politische­n System „Verkrustun­gen“und „Speichelle­ckertum“befürchtet, lesen Sie auf der Wirtschaft. Mit der Konjunktur befasst sich auch der Kommentar.

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