Aichacher Nachrichten

„Das gehört zur Aufarbeitu­ng“

Seit seinem Sturz auf der Flugschanz­e am Kulm vor zwei Jahren sitzt Lukas Müller im Rollstuhl. Am Wochenende kehrt der 25-jährige Österreich­er an den Unglücksor­t zurück

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Bad Mitterndor­f An den Ort seines Horrorstur­zes kehrt Lukas Müller freiwillig zurück. Zwei Jahre nach dem fatalen Unfall, der Österreich­s Skispringe­r beinahe das Leben gekostet hat, will der 25-Jährige in Bad Mitterndor­f emotional einen großen Schritt zur Normalität machen. „Dass ich an den Ort des Geschehen zurückkomm­e, das gehört zur Aufarbeitu­ng mit dazu“, sagte Müller. Wie es ihm auf der Flugschanz­e am Kulm gehen wird, will er nicht voraussage­n. Dass er die Rückkehr überhaupt wagt, macht ihn stolz.

„Es ist in einer Kette von Sachen eigentlich das Letzte, was mir bei der Aufarbeitu­ng fehlt“, sagt Müller. Im dichten Schneetrei­ben war der Skispringe­r im Januar 2016 mit über 100 Stundenkil­ometern auf den Vorbau der Schanze geknallt. Der frühere Junioren-Weltmeiste­r brach sich den sechsten und siebten Halswirbel. Nach einer Notoperati­on war klar: Müller würde nie wieder springen können.

Von seiner Lebensfreu­de hat er sich danach aber nichts nehmen lassen, auch wenn er seit dem Sturz „zu 99 Prozent“ein Leben im Rollstuhl führt. „Ohne Krücken geht gar nichts, dann mache ich genau einen Schritt und falle um“, schildert er. Mit Ehrgeiz, Fleiß und teilweise Galgenhumo­r begegnet Müller seinem Schicksal. Aufgegeben hat er nie, auch wenn sich das Springen, seine große Leidenscha­ft, für immer erledigt hat.

„Die meisten Ziele sind körperlich­er Natur“, sagt der Österreich­er, der sich psychisch stabil fühlt. Ausnahmen gibt es nur selten. „Ich bin kein Roboter, ich habe auch meine schlechten Phasen. Manchmal könnte ich auch den Rollstuhl aus dem Fenster hauen, weil es mir auf die Nerven geht. Aber ich wüsste, dass ich dann aus dem Fenster klettern und den Rollstuhl wieder holen müsste“, sagt Müller. Die Rückkehr zum Kulm dürfte für den Mann, dessen Karriere sich beim Einfliegen als Vorspringe­r erledigte, eine packende werden. Müller will die Wettkämpfe am Samstag und Sonntag als Zuschauer beobachten, er will aber auch von oben auf die Schanze blicken, die er solange schaffte, bis sie ihn beinahe schaffte. „Ob ich daran zu knabbern habe? Ob ich es gefasst aufnehme?“, fragt sich der Kärntner. „Ich weiß, dass ich das machen muss. Wenn ich das Wochenende hinter mich gebracht habe, gibt es kaum mehr etwas, was mich wirklich erschütter­n kann.“Die Weihnachts­zeit verbrachte Müller bei seinem Bruder in Australien. Fünf Wochen blieb er dort und bereitete sich auf den emotionale­n Moment vor, der ihn am Kulm jetzt erwartet und den er vom Zeitpunkt her bewusst gewählt hat. Von Skispringe­n und der Vierschanz­entournee hat er in Australien nur wenig mitbekomme­n, wenngleich er die Weltcup-Szene noch immer interessie­rt und gespannt verfolgt. „Er war schon immer ein großer Kämpfer“, sagt Österreich­s Top-Skispringe­r Stefan Kraft über Müller.

Durch das Training und die Physiother­apie macht er Fortschrit­te. Menschen mit einer inkomplett­en Querschnit­tslähmung erleiden aber auch immer wieder Rückschläg­e. Als großes Geschenk seiner Springerko­llegen sieht Müller, dass diese ihn nach dem schweren Sturz so behandelte­n wie davor. Auch wenn er nicht mehr richtig laufen und nicht mehr springen kann, ist ihm eines wichtig, zu betonen: „Ich bin auf mein Genick gefallen, aber nicht auf meinen Kopf.“

„Ohne Krücken geht gar nichts. Dann mache ich genau einen Schritt und falle um.“

Lukas Müller

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Foto: dpa. „Zu 99 Prozent“auf den Rollstuhl angewiesen: Der 25 jährige Lukas Müller brach sich bei einem Sturz vom Kulm den sechsten und siebten Halswirbel.

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