Vom Flüchtlingsbua zum Urbayern
Seit über 70 Jahren lebt Reinhard Pachner in Heimatshausen. Seine Wurzeln liegen woanders, doch er fühlt sich an beiden Orten zu Hause. Was ihm seine Heimat bedeutet
Friedberg Auf dem Sockel vor seinem Haus thront der bayerische Löwe, über der Eckbank in der Stube reihen sich Bierkrüge aus Stein und Zinn aneinander. Das ist seine Heimat. Reinhard Pachner sitzt am Tisch, seine bayerisch-blauen Augen strahlen, als er vom Leben in Heimatshausen erzählt. Seit 71 Jahren wohnt er hier, doch seine Wurzeln liegen woanders.
Pachner ist in Schwarzbach, einem Dorf in Tschechien im Böhmerwald, nahe der Ortschaft Frymburk, zu deutsch Friedberg, geboren. Mit zwei Jahren musste er seine Heimat verlassen. Auf einem Viehwagen flüchtete er mit seinen Eltern nach Augsburg. Von dort aus kam die Familie nach Heimatshausen. Heute besteht der Friedberger Ortsteil aus 16 Häusern, damals gab es nur zwei Bauernhöfe. Pachner war erst zwei Jahre alt, aber an eines kann er sich noch gut erinnern. „Die Bäuerin, bei der wir unterkamen, sagte zu uns, dass wir bestimmt Hunger hätten, und gab uns Eierhafer und Gurkensalat zu essen“, erzählt er. Von da an war er der „Flüchtlingsbua“.
Die Familie besaß nicht viel, aber genug, um zu überleben. „Mein Vater hat immer gesagt: Wenn’s da Hosn am Oarsch und koan Hunger im Bauch host, muast zfried’n sei“, er. Nicht alle Flüchtlinge wurden so gut aufgenommen wie sie, erinnert sich Pachner. „Aber wir haben uns schnell eingelebt, denn die bayerische Lebensart hat uns zugesagt.“
In der Schule lernte er Akkordeon und Englisch. „Das hat mir gutgetan für meinen weiteren Bildungsweg“, sagt Pachner. Das war aber nicht sein erster Sprachunterricht. „Davor habe ich erst mal den bayerischen Dialekt gelernt“, sagt er. Denn zu Hause sprachen seine Eltern nur Böhmerwäldlerisch. Nach der Grundschule besuchte er die Landwirtschaftsschule in Landsberg. Doch er landete nicht auf dem Traktor, sondern als CSU-Mitglied im Landwirtschaftsministerium. „Meierzählt ne beiden Söhne sind quasi als Halbwaisen aufgewachsen, weil ich ständig unterwegs war“, so Pachner. Aber es habe ihm immer Spaß gemacht.
„Auch wenn viel diskutiert wurde und man nicht einer Meinung war, fand man am Ende immer wieder zusammen“, sagt er. Als Landtagsabgeordneter war er in Kanada oder Peking unterwegs, aber die Vertrautheit von zu Hause blieb nicht auf der Strecke. „Was gibt es Schöneres, als mit einer g’scheiten Brotzeit und einem frischen Weißbier auf der Terrasse zu sitzen“, sagt er. „Da brauche ich keinen Urlaub.“
Dabei war der heute 73-Jährige nicht nur als Landtagsabgeordneter unterwegs. 26 Jahre lang saß er im Friedberger Stadtrat, war Zweiter Bürgermeister und langjähriger Ortsvorsitzender der CSU. „Ich bin so ‚schwarz‘, dass ich in der Nacht noch einen Schatten werfe“, sagt er. Mit Blick auf die Flüchtlinge, die heute nach Deutschland kommen, meint er: „Man muss für beide Seiten Verständnis aufbringen. Es sollte eine humane Abgrenzung geben, aber man darf nicht vergessen, dass es sich um Menschen handelt, die Hilfe suchen.“
Die politische Arbeit hat er mittlerweile beendet, aber langweilig wird ihm trotzdem nicht. Denn er ist Mitglied im Schützenverein, bei der Feuerwehr, im Bund der Vertriebenen, beim Krieger- und Soldatenverein. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wo ich überall dabei bin“, sagt er. Insgesamt dürften es an die 30 Vereine sein, aber das gehöre für ihn einfach dazu. „Das ist auch ein Stück bayerische Kultur“, sagt Pachner. Dabei gehe es nicht ums Biertrinken, sondern vor allem um die Gemeinschaft und den gegenseitigen Austausch. „Das Gefühl von Heimat hat man nur, wenn man jeden Strauch, jedes Haus und die Menschen um einen herum kennt“, sagt Pachner. Die Vertrautheit mit der Gegend und zu den Menschen könne einem keiner nehmen. Gerade auf dem Land herrsche auch heute noch ein großer Zusammenhalt.
1973 besuchte Pachner zum ersten Mal seinen Geburtsort in Tschechien. „Meine Eltern mussten damals den Hof und ihre Heimat mit nichts verlassen“, sagt er. Sie hätten immer viel von daheim erzählt. „So hatte ich schon beim ersten Besuch das Gefühl, nicht weit weg zu sein. Es kam mir alles sehr vertraut vor“, erzählt der 73-Jährige. Von da ab fuhr er regelmäßig in seine alte Heimat, bemühte sich sogar um eine Partnerschaft zwischen Friedberg und dem tschechischen Frymburk.
Seine Geburtsheimat sei zwar weit weg, aber er fühle sich dort genauso zu Hause wie in Heimatshausen. „Man darf seine Wurzeln und die eigene Geschichte nicht vergessen“, betont Pachner. So wollte er seine persönliche Geschichte, wie aus dem kleinen Flüchtlingsbuben ein bayerischer Landtagsabgeordneter wurde, längst einmal aufschreiben. „Ich komme einfach nicht dazu, aber vielleicht packe ich es jetzt mal an.“