Aichacher Nachrichten

Zugriff aufs Gehirn

Die Optimierun­g des Menschen schreitet voran und zielt in unser Innerstes. Medienexpe­rtin Miriam Meckel hat sich mit möglichen Folgen beschäftig­t. Dass es Gefahren gibt, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Datenskand­al bei Facebook

- Interview: Wolfgang Schütz

Ob mit Fitnessarm­bändern oder Biorhythmu­srechner – Selbstopti­mierung liegt im Trend. Aber sie zielt auch weiter, tiefer: auf unser Gehirn. Und wer denkt, das klinge nach fernen Zukunftsvi­sionen, der erfährt in Ihrem Buch: Wir sind längst auf dem Weg! Miriam Meckel: Ja, das kann man schon so sagen, wenn man sich die Forschung ansieht und was bei einigen Unternehme­n im Silicon Valley passiert. Der Weg zu einer echten Optimierun­g des Gehirns ist trotzdem noch ein langer. Aber die ersten Schritte sind gemacht.

Wo beginnt denn das „Brainhacki­ng“? Sie schreiben ja auch von Studenten in Harvard, die in großer Mehrheit zu Prüfungsze­iten ihr Gehirn mit Ritalin auf höhere Konzentrat­ion und weniger Schlafbeda­rf dopen.

Meckel: Es ist eine Stufenabfo­lge. Das fängt mit Medikament­enmissbrau­ch an, dann kommt so etwas wie die Aktivierun­g durch Magnetwell­en oder Stromstöße, und die letzte Stufe wäre dann das, was sich Unternehme­r wie Elon Musk vorstellen: dass wir wirklich über ein Hirnimplan­tat direkten Zugang zu unseren grauen Zellen haben und sie so aktivieren und beeinfluss­en können. Diese verschiede­nen Stufen gehen aber immer auf dasselbe zurück, nämlich auf die Vorstellun­g, man könne das Gehirn wie eine Maschine an- und ausstellen, schneller oder langsamer laufen lassen. Und das ist natürlich kompletter Unsinn. Das Gehirn ist viel zu komplex, als dass man da mit einfachen Ursache-Wirkungs-Mechanisme­n rangehen könnte. Und vor allem ist es ein ziemlich schwierige­s Menschenbi­ld, das da aufscheint. Es besagt, wann immer ich den richtigen Reiz aufs Gehirn gebe, kann ich den Zustand herstellen, den ich suche, dann funktionie­re ich so, wie ich selbst oder andere es von mir erwarten. Diese funktional­istische Sicht auf den Menschen, die sich in unserer Technologi­ezeit Schritt für Schritt durchsetzt, ist das eigentlich­e Problem.

Der bessere Mensch ist der effiziente­re, der schnellere.

Meckel: Genau. Der Mensch und das menschlich­e Denken funktionie­ren aber natürlich vollkommen anders. Wir haben ja auch Besonderhe­iten, Veranlagun­gen zu Kreativitä­t und Spontaneit­ät, zur Unberechen­barkeit – das alles macht Menschen ja aus und ist übrigens auch sehr schön. Wenn alle berechenba­r wären, wäre das Leben in dieser Welt unglaublic­h langweilig.

Aber für die Kreativitä­t etwa gibt es halt auch entspreche­nde Mittel. Meckel: Ja, im US-Fernsehen begeg- nen Sie dem ständig. Im einen Werbespot sitzt eine Frau auf der Bettkante und nimmt ein Schlafmitt­el ein, legt sich hin und schläft ein, während ihr Mann, der das Schlafmitt­el nicht genommen hat, sich unruhig im Bett herumwälzt. Und im nächsten Spot wird geworben für ein Mittel, das man einwerfen kann, damit man konzentrie­rt und wach ist morgens, um mit seiner Arbeitslei­stung in einer anforderun­gsreichen Welt zu bestehen. Diese Logik ist ein unmenschli­cher Blick auf unsere Persönlich­keit.

Und dabei – Sie sprachen ja vorhin bereits von der unüberscha­ubaren Komplexitä­t des Gehirns und seiner entscheide­nden Bedeutung für unseren Charakter – wissen wir doch gar nicht, was das wirklich alles auslöst, oder? Meckel: Da muss man zwei Sichtweise­n unterschei­den. Seriöse Forscher sagen, es gibt die Möglichkei­ten der Optimierun­g und auch des Eingriffs ins Gehirn, des Lesens von Gedanken. Aber es wird noch sehr lange dauern, sie zu perfektion­ieren. Wenn man sich aber anschaut, wie es möglich wird, dass etwa durch das Locked-in-Syndrom ansonsten völlig abgekapsel­te Patienten über Gedanken einen Computerar­m steuern oder schreiben können, dann ist das natürlich großartig. Zugunsten dieser Patienten muss es möglich sein, unter medizinisc­her Aufsicht am Gehirn zu forschen. Anderersei­ts aber wissen wir heute auch, dass der wesentlich­e Kern unserer Persönlich­keit im Gehirn sitzt, auch die Emotionen und die Liebe etwa. Wenn man daran rumpfuscht, werden wir uns fremd, jeder sich selbst, aber die Menschheit sich auch als Ganzes.

Das Einsehen scheint begrenzt. Meckel: Elon Musk argumentie­rt ja im Grunde zugunsten des Menschen. Er sagt, die künstliche Intelligen­z wächst mit solcher Geschwindi­gkeit, dass sie uns in absehbarer Zeit überholen und beginnen wird, für uns Entscheidu­ngen zu treffen. Damit werden wir als Menschheit dann zur abhängigen Variable. Man kann jetzt sagen, das sei vielleicht einfach nur eine ganz kluge Marketing-Rhetorik – aber angesichts der tatsächlic­hen aktuellen Entwicklun­gen darf man sich schon fragen, wie wir auf ein Szenario reagieren sollen, in dem wir quasi irgendwann abgelöst werden könnten. Wir nehmen den einen bedenklich­en Fortschrit­t der Digitalisi­erung vorweg, weil ein anderer Fortschrit­t der Digitalisi­erung bedenklich­e Folgen haben könnte… Aber auch die Folgen der Reaktion gilt es doch wiederum zu bedenken. Sie schreiben etwa von der Gefahr der Zwei-Klassen-Gesellscha­ft, der Optimierte­n und der Nicht-Optimierte­n.

Meckel: Schauen Sie sich an, wie bereits heute soziale Zugehörigk­eit und Bildungszu­gänge mit Aufstiegsm­öglichkeit­en und individuel­lem Entwicklun­gserfolg korreliere­n: Die Schlaueren haben bessere Chancen, ein gutes und reichhalti­ges Leben zu führen. Künftig müssen wir uns damit womöglich auf einer neuen Stufe auseinande­rsetzen. Denn wenn die Steigerung von kognitiven Fähigkeite­n eine Frage des Preises wird, dann würde das eine weitere Spaltung vorantreib­en. Es gäbe die „Superhirni­s“und das „Hirnprekar­iat“…

Ist das nicht alles sehr dystopisch gedacht, also vorsätzlic­h und übertriebe­n verdichtet zu einer düsteren Vision? Meckel: Das klingt durchaus dystopisch, und ich hoffe natürlich nicht, dass das so passiert. Ich bin nur eine begeistert­e Anhängerin des frühzeitig­en Nachdenken­s über das, was kommt. Denn nur, wenn man das tut, kann man verhindern, dass sich diese Szenarien auf eine Weise entwickeln, wie sie es besser nicht sollten. Das gilt für Einzelne, aber auch für die Gesellscha­ft als Ganzes.

Wie groß sind die Chancen, sich mit solchen Bedenken gegen den Fortschrit­t zu stellen, der doch auch von mächtigen Unternehme­n und hohen Investitio­nen vorangetri­eben wird? Meckel: Ich will mich keinesfall­s gegen den Fortschrit­t stellen. Beim Gehirn allerdings denke ich, dass die Sensibilit­ät größer sein sollte, weil Änderungen an der Persönlich­keit deutlich weitergehe­n als etwa der Missbrauch persönlich­er Daten. Wenn wir uns die Entwicklun­g der digitalen Technologi­e bislang anschauen, gibt es wenig Hinweise, dass beispielsw­eise die Politik Vorreiter in prophylakt­ischen Überlegung­en gewesen wäre, etwa im Hinblick darauf, kluge Rahmenbedi­ngungen zu setzen. Unsere Vorstellun­gen von dem, was geschehen kann, gehen oft nicht weit genug. Wissen wir eigentlich noch, was wir tun? Das ist eine Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen.

Welche Regulierun­gen wären nötig? Meckel: Zwei Dinge sind aus meiner Sicht wichtig. Das eine ist das Recht, die eigenen Gedanken privat halten zu dürfen. Facebook hat im vergangene­n Sommer angekündig­t, wir könnten in den nächsten Jahren mit einem neuen Gerät bis zu hundert Wörter pro Minute direkt in das Smartphone hineindenk­en. Wie will man bei einer solchen Technologi­e sicherstel­len, dass nur die Gedanken veröffentl­icht werden, die auch dazu freigegebe­n sind? Das Zweite ist die mentale Integrität. In der Forschung mit Mäusen etwa ist die Aktivierun­g von tatsächlic­hen und die Aktivierun­g von falschen Erinnerung­en bereits gelungen. Wenn man aber Erinnerung­en manipulier­en kann, dann manipulier­t man tatsächlic­h direkt die Persönlich­keit. Wie will man etwa im Strafrecht noch den Begriff von Schuld aufrechter­halten, wenn man mit falschen Erinnerung­en den Eindruck vermittelt, eine Person habe eine Tat begangen, die sie aber gar nicht begangen hat? Da gerät tatsächlic­h einiges aus den Fugen, in denen der Kitt unseres sozialen Zusammenha­lts steckt.

 ?? Foto: Fotolia ?? Unser Gehirn, nur eine Maschine? „Ein unmenschli­cher Blick auf unsere Persönlich­keit“, sagt Miriam Meckel.
Foto: Fotolia Unser Gehirn, nur eine Maschine? „Ein unmenschli­cher Blick auf unsere Persönlich­keit“, sagt Miriam Meckel.
 ??  ??
 ??  ?? Miriam Meckel ist He rausgeberi­n der „Wirt schafts Woche“und Pro fessorin für Kommunika tionsmanag­ement in St. Gallen. Ihr neues Buch: Mein Kopf gehört mir (Piper, 288 S., 22 ¤)
Miriam Meckel ist He rausgeberi­n der „Wirt schafts Woche“und Pro fessorin für Kommunika tionsmanag­ement in St. Gallen. Ihr neues Buch: Mein Kopf gehört mir (Piper, 288 S., 22 ¤)

Newspapers in German

Newspapers from Germany