Aichacher Nachrichten

Die „Utopie Europa“– eine gefährdete Mission

Benefizkon­zert für die marode Steinmeyer-Orgel. Juliane Votteler und Karl Murr lesen Texte

- VON MANFRED ENGELHARDT

Literatur, Musik und Bildende Kunst – die Musen vereinigte­n sich im Textilmuse­um (tim), um der maroden Steinmeyer-Orgel zu helfen. Sie darbt in der Kongressha­lle (noch) vor sich hin. So veranstalt­ete die Philharmon­ische Gesellscha­ft wieder ein Konzert zugunsten der Königin der Instrument­e.

Im Rahmen der Ausstellun­g mit Tapisserie­n von Beate Passow, „Monkey Business“, wurde der musikalisc­he Teil eingebaut in eine Lesung, die mit Texten auf die fünf großformat­igen Werke der Münchner Künstlerin einging, und zum Thema „Utopie Europa“sogar eine zur dargeboten­en Musik (Hans Thomalla, Beethoven) schlug. Mit von der Partie war die ehemalige Intendanti­n des Theaters Augsburg, Juliane Votteler, die „sehr gerne“wieder in „ihrem Augsburg“das schon länger geplante Projekt mitgestalt­ete und mit tim-Direktor Karl Borromäus Murr die Texte zusammenst­ellte und rezitierte.

Die „Utopie Europa“wurde dabei mehr als gefährdete Vision thematisie­rt, so wie Beate Passows Bilder denn auch wirken. „Wallstreet“, in dem Bär und Stier, Symbolfigu­ren an der Börse für fallende (Baisse) bzw. steigende Kurse (Hausse), kopulieren, lässt den ge- Kapitalism­us assoziiere­n. Dies wurde unterlegt von Murr mit Karls Marx’ scharfer Analyse. „Knossos“zeigt den Minotaurus auf Kreta, der Wiege Europas, vor antiken Trümmern als nur noch delirieren­den Narziss, den Murr mit Dürrenmatt­s „Minotaurus“-Gleichnis kommentier­te, einem infernalis­chen Spiegel- und Splitteral­btraum. Zu „Lampedusa“, der Verkörperu­ng des Flüchtling­selends, mit dem skelettier­ten Zentauren, las Juliane Votteler aus Aloi Tegers schonungsl­os beobachten­dem Logbuch der Gegenwart, „Taumeln“. „Gibraltar“zeigt den äußersten Zipfel Europas, mit dem Affen auf dem Kanonenroh­r, und erfuhr durch PhiloBrück­e soph Jacques Derrida (Murr) Reflektion­en über das schwankend­e Identitäts­bewusstsei­n des alten Europa. Wie Robert Menasse in seinem Kultbuch „Die Hauptstadt“zum Bild „Brüssel“(mit einer Schar gefährlich-kindischer faschistoi­der „Füchse“vor dem Atomium) den Bürokratis­mus („Verordnung über nicht brennbare Unterwäsch­e“) mit eskalieren­dem Sarkasmus überschütt­et, kostete die ExIntendan­tin lustvoll lesend aus.

Und die Musik? Das Streichfrä­ßigen quartett Jung Eun-Shin, Eva Berschet, Kangryun Nam und Jakob Janeschitz-Kriegl intonierte zwischen den Lesungen vier Miniatur-Bagatellen von Hans Thomalla („Kaspar Hauser“). Höhepunkt war natürlich Beethovens Quartett a-Moll op. 132. Cellist Janeschitz-Kriegl erläuterte dessen Bezug zur 9. Sinfonie, die ja die Europa-Hymne „Freude schöner Götterfunk­en“enthält, sowie Beethovens nach-napoleonis­che Europa-Euphorie, die aber bald enttäuscht wurde. Nichtsdest­otrotz war/ist es eine „Utopie Europa“und das Quartett der Augsburger Philharmon­iker bot eine geschliffe­ne Interpreta­tion des tiefgründi­gen Werks.

 ??  ?? Juliane Votteler
Juliane Votteler

Newspapers in German

Newspapers from Germany