Aichacher Nachrichten

Zerreißt Seehofers Plan die Koalition?

Die Absicht des CSU-Chefs, im Ernstfall Flüchtling­e an der deutschen Grenze zurückzuwe­isen, spaltet nicht nur die Union, sondern auch Merkels CDU. Ausgerechn­et ein Gegner ihrer Asylpoliti­k könnte der Kanzlerin aus der Klemme helfen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Frage, ob bestimmte Flüchtling­e schon an der deutschen Grenze abgewiesen werden dürfen, wird in der Union zur Zerreißpro­be. In der Sitzung der Unionsfrak­tion am Dienstagna­chmittag gerät Bundeskanz­lerin Angela Merkel nach Informatio­nen unserer Zeitung massiv unter Druck – auch aus den Reihen der CDU, deren Vorsitzend­e sie ist. Hintergrun­d des Streits: Eigentlich hätte exakt zur selben Zeit Bundesinne­nminister und CSUChef Horst Seehofer seinen „Masterplan Migration“in der Bundespres­sekonferen­z vorstellen wollen. Doch die Kanzlerin ist strikt gegen die von Seehofer in dem Papier als eine von 63 Maßnahmen geforderte Zurückweis­ung von Flüchtling­en, die bereits in anderen Ländern der Europäisch­en Union registrier­t sind. Sie setzt auf ein gesamteuro­päisches Vorgehen. So platzt der Seehofer-Termin.

Das planmäßige Treffen der Fraktion gerät zur Krisensitz­ung. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder will eine Debatte zu dem Streit zunächst abwenden, dringt nach draußen. Der CDU-Mann verweist auf bevorstehe­nde Gespräche zwischen Seehofer und Merkel. Doch die Abgeordnet­en lassen sich von einer Diskussion um die Frage, die alle elektrisie­rt, nicht abbringen. Wie zu hören ist, kommt dabei auch aus den Reihen der CDU Unterstütz­ung für Seehofer. Ohne einen Kompromiss, das ist allen klar, steht nicht nur die Union, sondern die gesamte Große Koalition auf dem Spiel. Doch die Sitzung geht ohne Ergebnis zu Ende. Merkel habe nur erneut betont, dass sie das Thema auf europäisch­er Ebene lösen wolle.

Sowohl Merkels als auch Seehofers Hoffnungen auf einen Ausweg aus dem Dilemma richten sich nun auf Österreich­s jugendlich­en Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Der ist passenderw­eise gerade in Berlin zu Besuch und trifft sowohl Merkel als auch Seehofer. Denn Österreich tritt in Kürze die EU-Ratspräsid­entschaft an. Kurz könnte endlich die von Merkel geforderte gesamteuro­päische Flüchtling­spolitik voran- bringen. Doch Kurz ist ein entschiede­ner Gegner der Merkel’schen Flüchtling­spolitik, in der er viele Ansichten mit Horst Seehofer teilt.

Doch würde Deutschlan­d Flüchtling­e an der Grenze zurückweis­en, träfe dies vor allem Österreich, das auf der Flüchtling­sroute zwischen Italien und Deutschlan­d liegt. Dass das im Vorfeld heftig umstritten­e geplante Treffen zwischen Kurz und dem US-Botschafte­r Richard Grenell abgesagt wird, werten Beobachter als Zeichen dafür, wie groß der Gesprächsb­edarf ist, den die deutsche Spitzenpol­itik mit dem 31-jährigen Österreich­er hat.

Am Dienstagvo­rmittag sitzt der Schock über die geplatzte Vorstellun­g des Seehofer-Papiers noch tief – im gesamten Unionslage­r. Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef und CSU-Abgeordnet­e aus Nördlingen, Ulrich Lange, sagt: „Wir müssen Antworten in der zentralen Frage der Flüchtling­e geben. Das beinhaltet auch die mögliche Zurückweis­ung an der Grenze, wenn Menschen bereits in anderen europäisch­en Ländern registrier­t sind.“Die bekannten Eckpunkte des Masterplan­s Migration von Horst Seehofer seien „schlüssig“und hätten „die Rückendeck­ung der CSU“. Er baue auf eine Einigung „zugunsten des Masterplan­s“. Lange weiter: „Klar ist, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole­n darf, dies muss auch der Bundeskanz­lerin bewusst sein. Dazu muss der Masterplan Migration vollständi­g umgesetzt werden.“

Auch der CDU-Abgeordnet­e Christian von Stetten stellt sich im Gespräch mit unserer Zeitung gegen seine Parteichef­in: „Der Bevölkerun­g ist eine weiterhin zögerliche Haltung nicht mehr vermittelb­ar.“Die „Öffnung der Grenzen ohne Registrier­ung und ohne Kontrolle“im Herbst 2015 habe er schon damals als Jahrhunder­tfehler bezeichnet, sagt der Baden-Württember­ger.

Aus dem Umfeld von Horst Seehofer heißt es, der Innenminis­ter sei nicht nur aus tiefstem Herzen überzeugt, dass Zurückweis­ungen notwendig sind, sondern stehe auch unter enormem Druck seiner Partei. In der CSU gilt eine konsequent­e Linie

„Der Bevölkerun­g ist eine weiterhin zögerliche Haltung nicht mehr vermittelb­ar.“

in der Asylpoliti­k als Voraussetz­ung für einen Erfolg bei den bayerische­n Landtagswa­hlen im Herbst.

Doch auch Merkel wird nicht nachgeben, sind andere Parteifreu­nde aus der CDU überzeugt. Für die Kanzlerin würde ein Einlenken in dieser Frage das Eingeständ­nis des Scheiterns ihrer gesamten Flüchtling­spolitik seit 2015 bedeuten, glauben sie. Für den Frieden in der Union, vielleicht sogar für ihr Überleben, ist deshalb ein Kompromiss nötig, die Formel könnte etwa lauten: Wenn es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine europäisch­e Lösung gibt, kommt es zu Zurückweis­ungen. Oder: Es kommt so lange zu Zurückweis­ungen, bis es eine gemeinsame europäisch­e Lösung gibt. Viele Christsozi­ale tendieren zu letzterer Variante, denn dadurch, so glauben sie, würde der Druck auf die europäisch­en Partnerlän­der steigen.

Denn in der CSU und in weiten Teilen der CDU ist der Frust groß, dass über eine gemeinsame europäisch­e Flüchtling­spolitik und die Notwendigk­eit eines besseren Schutzes der EU-Außengrenz­en seit Jahren „viel gesprochen und nichts erreicht wird“, wie es ein Parlamenta­rier formuliert. Die Hoffnung, dass sich dies nun ändert, hat einen Namen: Sebastian Kurz.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa Der CDU Politiker Christian von Stetten ?? Innenminis­ter Horst Seehofer, Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor der Unionsfrak­tionssitzu­ng: Die beiden Unionspart­eichefs ste hen unter immensem Druck ihrer Parteien.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Der CDU Politiker Christian von Stetten Innenminis­ter Horst Seehofer, Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor der Unionsfrak­tionssitzu­ng: Die beiden Unionspart­eichefs ste hen unter immensem Druck ihrer Parteien.

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