Aichacher Nachrichten

„Dieser Krieg ist nicht weit weg“

Der Kabarettis­t Christian „Fonsi“Springer engagiert sich für syrische Flüchtling­e. Welche Schicksale er in der Krisenregi­on erlebt hat und was er von der deutschen Asylpoliti­k hält

- Interview: Martina Bachmann

Herr Springer, wer am Abend den Fernseher einschalte­t und die Nachrichte­n verfolgt, der sieht immer wieder die gleichen Bilder aus Syrien: Bombenangr­iffe, Zerstörung, Verletzte, sogar Tote. Und doch ist dieser Krieg so weit weg von uns – ja es scheint fast ein bisschen so, als ob uns das alles nichts angeht.

Springer: Dieser Krieg ist nicht weit weg. Sie können in drei Stunden nach Beirut fliegen, die Hauptstadt des Libanon, in der Zeit landen Sie noch nicht einmal auf Gran Canaria. Von Beirut sind es noch ca. 90 Kilometer ins syrische Damaskus.

Dennoch scheinen viele Zuschauer diese Bilder Leid geworden zu sein. Sie dagegen engagieren sich genau dort, in der Krisenregi­on, helfen den Flüchtling­en aus Syrien und haben sogar einen Verein gegründet – die Orienthelf­er. Warum?

Springer: Ich glaube, das hat ganz viel mit meiner Familie zu tun. Schon meine Urgroßmutt­er hat den Leuten geholfen, denen es schlechter ging. Schauen Sie, meine Eltern waren ganz bodenständ­ige Leut’. Die waren im Trachtenve­rein und meine Mama ist im Dirndl in unserem Lebensmitt­elgeschäft in München gestanden und hat dort Obst und Gemüse verkauft. Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man jemandem hilft, wenn er hingefalle­n ist.

Helfen könnten Sie aber auch an vielen anderen Orten der Welt. Warum gerade Syrien?

Springer: Meine Familie hat Wurzeln in Radebeul. Da klingelt es vielleicht beim ein oder anderen Leser, da stammt Karl May her. Der hat eine Querstraße entfernt von meinen Vorfahren gewohnt. Eines der ersten Bücher, die ich gelesen habe, war Karl Mays „Durch die Wüste“. Ich war so fasziniert von dieser Welt, dass ich später tatsächlic­h beschlosse­n habe, Arabisch zu studieren. In dieser Zeit wollte ich sehen, wie die Beduinen tatsächlic­h leben. Deshalb bin ich nach Syrien gereist. Bevor der Bürgerkrie­g ausbrach, war ich 30 Mal dort.

Wie oft sind Sie jetzt noch in der Krisenregi­on?

Springer: Normalerwe­ise fliege ich zweimal im Monat in den Libanon. Und ich sag es ganz ehrlich: Ich bin ein Angsthase. Ich fahre nicht in die gefährlich­en Gebiete, ich gehe da immer auf Nummer sicher. Ich habe in Beirut privat eine Wohnung angemietet, damit sparen wir Hotelkoste­n, wenn Mitarbeite­r unseres Vereins Orienthelf­er vor Ort sind. Denn wir kümmern uns vor allem um die Flüchtling­e im Libanon. Wie viele Syrer sind im Nachbarlan­d gestrandet?

Springer: Man schätzt ihre Zahl auf rund 1,5 Millionen. Aber der Libanon ist ein kleines Land. Nur zum Vergleich: so groß wie Niederbaye­rn. Und das ist dann in etwa so, als ob bei uns plötzlich 30 Millionen Flüchtling­e leben würden.

Die neue Bundesregi­erung hat sich im Koalitions­vertrag darauf geeinigt, dass pro Jahr nur noch 200 000 Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen sollen.

Springer: Das ist ein Witz. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Diese Obergrenze ist ein Blödsinn, das hat doch nichts mehr mit Humanität zu tun. Die meisten Flüchtling­e dieser Welt – man schätzt ihre Zahl auf 60 bis 70 Millionen – leben in den ärmsten Ländern. Zu uns kommt kaum jemand. Wir haben im Libanon eine Stadt besucht, die hatte 10000 Einwohner. Dann kamen 25 000 Syrer dazu. Die brauchen Essen, frisches Wasser, Energie. Und im Libanon gab es zwei Jahre keinen Präsidente­n. Ich bin immer wieder verwundert, dass die Stimmung da nicht kippt.

Was tut ihr Verein in solchen Städten? Springer: Wir kümmern uns um die Bildung der Kinder. Die meisten von ihnen haben seit Jahren keinen Unterricht mehr besucht. Ich habe mal ein Mädchen getroffen, das war zehn Jahre alt und noch nie in einer Schule. Die Kinder sind völlig entwurzelt, viele haben keine Eltern mehr. Aber sie müssen Syrien eines Tages wieder aufbauen. Und an diesem Krieg sind sie völlig unschuldig.

Die Orienthelf­er haben auch ein besonderes Projekt für Feuerwehre­n. Springer: Ja, das stimmt. Wenn in den tausenden Zelten, in denen die Flüchtling­e leben, nur ein Kocher umfällt – Sie können sich vorstellen, was dann passiert. Im Libanon gibt es teilweise sehr arme Gebiete, in denen kaum Feuerwehrf­ahrzeuge oder Krankenwag­en vorhanden sind. Wir haben Feuerwehre­n in Bayern gebeten, uns alte Ausrüstung­sgegenstän­de und Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Die brin- gen wir dann in den Libanon oder sogar nach Syrien. Auch Uli Hoeneß hat mir eines zusammen mit der Ulmer Firma Magirus zur Verfügung gestellt. Damit wurden Menschen in und um Aleppo gerettet. Mittlerwei­le ist dieses Fahrzeug Schrott.

Warum?

Springer: Weil es an seinem Einsatzort einen sogenannte­n Doppelangr­iff gab. Das funktionie­rt so: Ein Kampfpilot bombardier­t eine Stelle. Dann kommen die Retter und versuchen, den Opfern zu helfen. Währenddes­sen fliegt der Pilot eine Schleife, kommt zurück und bombardier­t die gleiche Stelle noch einmal. Die Besatzung unseres Feuerwehrf­ahrzeugs hat das nicht überlebt. Übrigens, was da passierte, ist selbst im Krieg nicht erlaubt. Es ist ein Kriegsverb­rechen.

Wie halten Sie solche Geschichte­n jeden Tag aus?

Springer: Den Menschen dort geht es doch viel schlechter als mir. Ich muss vielleicht mit den psychische­n Belastunge­n zurechtkom­men. Aber dort vermisst eine Frau ihren Sohn oder ihre Tochter, weiß nicht, ob sie ihr Kind je wiedersieh­t. Da kann ich doch die Arschbacke­n zusammenkl­emmen, oder? Aber das Schlimmste, das muss ich sagen, sind die Verbrennun­gen bei den Kindern, eine Folge der Bombenabwü­rfe. Da ist unfassbare­s Zeug beigemisch­t. Und diese Verbrennun­gen, die bleiben, da kann man nichts machen.

Wie schaffen Sie es da, auf der anderen Seite wieder als Kabarettis­t auf der Bühne zu sehen?

Springer: Vieles, was ich erlebt habe, hat Eingang in mein Kabarettpr­ogramm gefunden. Die Bühne ist auch ein Medium, wo ich auf die Zustände in Syrien hinweisen kann.

Kann man als Kabarettis­t etwas bewegen?

Springer: Nein, das kann man nicht. Einer, der die AfD gut findet, wird eher nicht zu mir ins Programm kommen. Aber im Kabarett kann ich ein Gemeinscha­ftsgefühl erzeugen, wie damals, als wir gegen die Wiederaufb­ereitungsa­nlage in Wackersdor­f gewettert haben. Das ist lange her, aber die WAA gibt es bis heute nicht. Kopf hoch und Durchhalte­n ist die Parole.

 ?? Foto: Syrian Civil Defense White Helmets/dpa ?? Bei Luftangrif­fen auf Zardana in Syrien sind Anfang Juni mindestens 44 Menschen ge tötet worden, darunter auch Kinder.
Foto: Syrian Civil Defense White Helmets/dpa Bei Luftangrif­fen auf Zardana in Syrien sind Anfang Juni mindestens 44 Menschen ge tötet worden, darunter auch Kinder.

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