Aichacher Nachrichten

Liebe hält sie über Wasser

Der Isländer Baltasar Kormákur weiß vom Überlebens­willen auf stürmische­r See zu erzählen. Jetzt holt er eine junge Frau auf die havarierte Jacht. Aus Verantwort­ung für ihren Freund wächst sie über sich hinaus

- VON MARTIN SCHWICKERT

Als der Zollbeamte am Hafen sie nach dem endgültige­n Ziel ihrer Reise fragt, zieht Tami (Shailene Woodley) langsam die Schultern nach oben und die Mundwinkel nach unten. Die 23-jährige Amerikaner­in hatte gleich nach dem Schulabsch­luss den Rucksack gepackt, um ihre Heimatstad­t San Diego weit hinter sich zu lassen. Seit ein paar Jahren tingelt sie nun schon durch die Welt und finanziert sich durch diverse Gelegenhei­tsjobs das Ticket zum nächsten Reiseziel.

Jetzt ist sie auf Tahiti angelangt und bekommt Arbeit in einem Jachthafen. Als der britische Segler Richard (Sam Claflin) am Steg festmacht, finden die beiden schnell Gefallen aneinander. Richard lässt sich genauso wie Tami ohne Zielvorgab­en durchs Leben treiben. Bald wird er sie fragen, ob sie mit ihm um die Welt segeln will, und wenig später werden beide den Auftrag überneh- men, eine Luxusjacht von Tahiti nach San Diego zu überführen.

Dass dieses Unternehme­n nicht gut ausgeht, weiß man schon seit den ersten Filmminute­n von Baltasar Kormákurs „Die Farbe des Horizonts“, in denen Tami aus der Bewusstlos­igkeit erwacht, sich durch das knietiefe Wasser in der Kajüte den Weg an Deck bahnt und verzweifel­t nach Richard ruft. Ihr Freund ist mit dem Sturm von Bord gespült worden, die Jacht stark beschädigt.

Ausgehend von dieser aussichtsl­osen Situation gleitet der Film von nun an zwischen desaströse­r Gegenwart und romantisch­er Vergangenh­eit hin und her. Mit den Rückblende­n und der Erinnerung scheint auch die Schiffbrüc­hige zunehmend wieder an Kraft zu gewinnen. Sie flickt das Leck aus, setzt das Vorsegel und entdeckt in der Ferne auf einem Beiboot Richard. Der ist schwer verletzt und es ist klar, dass die mäßig erfahrene Seglerin die Geschicke in die Hand nehmen muss.

Als gebürtiger Isländer hat Regisseur Kormákur seit jeher eine besondere Verbindung zum Meer und zum Überlebens­willen in aussichtsl­osen Situatione­n. Vor fünf Jahren erregte er mit „The Deep“internatio­nale Aufmerksam­keit, in dem er einen Fischer porträtier­t, der Kilometer durch das eiskalte Wasser an Land schwamm und zum isländisch­en Nationalhe­lden wurde. Auch „Die Farbe des Horizonts“beruht auf wahren Ereignisse­n und befindet sich als Seglerdram­a im Kino in bester Gesellscha­ft. Robert Redford zeigte in J. C. Chadors „All Is Lost“(2013), was man alles auf dem engen Raum einer havarierte­n Jacht erzählen kann. Dieser klaustroph­obischen Erzählsitu­ation entzieht sich Kormákur mit seinen Rückblende­n und öffnet die Aussichtsl­osigkeit der Tragödie mit romantisch­er Erinnerung­sarbeit.

Denn es ist nicht allein der innere Überlebens­trieb, der Tami die ausweglose Situation meistern lässt, sondern die Liebe und Verbundenh­eit zu ihrem Freund. Das macht die Angelegenh­eit auf der Leinwand deutlich gefälliger, ist aber auch ein durchaus realistisc­heres Szenario. Denn die Kraft über sich selbst hinauszuwa­chsen entsteht selten allein aus eigenen Ressourcen, sondern sehr viel öfter aus der Verantwort­ung, die man für andere übernimmt. Dieser Punkt wird in „Die Farbe des Horizonts“durch eine überrasche­nde Schlusswen­dung eindrückli­ch unterstric­hen. Shailene Woodley, die sich in „Divergent“tapfer durch ein dystopisch­es Zukunftssz­enario kämpfte, ist auch als Alleinsegl­erin wider Willen vollkommen überzeugen­d. Dasselbe gilt für die dramatisch­en Sturmseque­nzen, die das Gefühl vollkommen­en Ausgeliefe­rtseins mit atemberaub­ender Effizienz direkt in den Kinosessel hinein transporti­eren.

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Foto: Tobis Auf stürmische­r See lernt Tami (Shailene Woodley), auch mit Naturgewal­ten zu kämpfen und fertig zu werden.
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