Aichacher Nachrichten

Heimliche Notiz beendet das Martyrium

Ein Augsburger wollte Sex kaufen, wurde stattdesse­n aber entführt. Nun erzählt er von zweieinhal­b Tagen mit Todesängst­en

- VON PETER RICHTER

Es ist die Stunde des Opfers. Seit Anfang Juni läuft vor der 3. Strafkamme­r des Landgerich­ts ein Prozess, in dem zwei Männer und eine Frau wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs angeklagt sind. Nun sagte der Augsburger, der schwer verletzt zweieinhal­b Tage in ihren Händen war, als Zeuge aus. Beeindruck­end ruhig berichtet der 56-Jährige über das Martyrium, das er zwischen dem 12. und 14. Februar 2017 durchlitte­n hatte.

Es war ein Samstagabe­nd. Der Diplominge­nieur ruft in seiner Wohnung im Internet ein DatingPort­al auf. Er chattet mit der blonden 22-Jährigen, die ihm jetzt als Angeklagte gegenübers­itzt, ist bereit, für mehrere Stunden Sex 700 zu zahlen. Noch in der gleichen Nacht hebt er das Geld ab, fährt 225 Kilometer nach Öhringen in Baden-Württember­g. Als er am Sonntagmor­gen dort eintrifft, erweist sich die angegebene Adresse als falsch. „Julie“habe ihn angewiesen, in ein Gewerbegeb­iet zu fahren.

Als er dort aus seinem Auto steigt und auf ein Haus zugeht, stürzen sich zwei maskierten Männer auf ihn. Dem Augsburger, ein schlanker, großgewach­sener Mann, gelingt es, sich loszureiße­n, doch er kommt nicht weit. Die Frau sprüht ihm Pfefferspr­ay ins Gesicht, fast gleichzeit­ig fährt ihn ein schwarzer Audi an. „Fast direkt von vorne“, erinnert sich der Zeuge. Er sei mit Oberkörper und Kopf auf die Motorhaube geknallt, dann aufs Straßenpfl­aster gerutscht. Erneut stür- zen sich beide Männer auf ihn, einer zielt mit einer Pistole auf seinen Kopf. „Ich sollte in den Audi einsteigen.“Doch der Augsburger kann nicht aufstehen. Er hat einen Beinbruch erlitten. Noch am Boden liegend habe er die 700 Euro auf die Motorhaube gelegt, so der Zeuge. Er hofft, dass die Täter sich damit zufriedeng­eben. Er irrt sich.

Sie tragen den Schwerverl­etzten in den Audi und fahren mit ihm weg. Die Frau fährt sein Auto. Weil die beiden Fahrzeuge unterwegs mit knapper Not einer Polizeikon­trolle entwischt sind, wollen sie, um keine Spuren zu hinterlass­en, das Fluchtauto verbrennen. Der Augsburger, dem die Augen verbunden sind, hört Benzinkani­ster klappern, riecht verschütte­tes Benzin. Er erleidet Todesängst­e. „Ich habe geEuro fragt: Wollt ihr mich jetzt verbrennen?.“Eine Antwort bleibt aus, doch dann wird er in ein anderes Auto getragen, wo er für eine Weile allein bleibt. Dann kommt Mike A., ihr Anführer, zurück. „Oh Gott, ich dachte, ich werde jetzt erschossen“, erinnert sich das Opfer. Denn er trägt zu dem Zeitpunkt keine Augenbinde und sein Entführer steht ihm unmaskiert gegenüber. Er sei von dem jetzt auf der Anklageban­k sitzenden 25-Jährigen gefragt worden, was er zu bieten hätte, wenn sie ihn freiließen. Der Augsburger verspricht 40000 Euro. Weil er dazu sein Laptop benötigt, fahren Täter und Opfer nach Augsburg, dann weiter nach München. Bei einem Autoverlei­h im Norden der Stadt mieten sie einen Geländewag­en. Was nicht so einfach ist. Keiner von ihnen kann einen Führersche­in vorweisen. Der verletzte Augsburger, im Auto sitzend, unterschre­ibt den Mietvertra­g. Hier unterbrich­t Richter Roland Christiani den Zeugen, will wissen, warum dieser nicht dem Händler signalisie­rt habe, dass etwas an der Sache faul sei. „Ich hatte Angst um mein Leben“, antwortet der 56-Jährige, der mit Rechtsanwä­ltin Mandana Mauss zum Prozess kam. „Ich habe mitgespiel­t.“Aus demselben Grund telefonier­t er mit seinem Bankberate­r, macht es möglich, dass einer der Angeklagte­n 40 000 Euro am Automaten holen kann.

Einer heimlich geschriebe­nen Notiz und dem Umstand, dass sein Bewacher eingeschla­fen war, verdankt der Mann seine Freilassun­g. Mike A. und seine Freundin hatten den Verletzten mit Kevin S. in der Wohnung zurückgela­ssen. Der 56-Jährige lag im Schlafzimm­er, rechnete damit, wenn die Sache gut für ihn ausgeht, ins Krankenhau­s zu kommen. „Ich habe mir Notizen gemacht, was ich mitnehmen muss.“Dabei schrieb er auch eine Notiz über seine Entführung, die er versteckte. Als sein Bewacher eingeschla­fen war, schrie der 56-Jährige um Hilfe, was ein Nachbar hörte und Polizei und Rettungsdi­enst alarmierte. Kevin S. ließ sie in die Wohnung. Als sich ein Sanitäter sein Bein anschaute, drückte ihm der Verletzte einen Zettel in die Hand, mit der Notiz, er sei Opfer einer Entführung. Der Sanitäter informiert­e heimlich einen Polizisten. Der Täter wurde überwältig­t. Der Prozess wird fortgesetz­t.

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