Exklusiv Klassik:XL
Sie sind eingeladen zu einem Konzertbesuch der besonderen Art: Im Hamburger Michel traten lauter Preisträger des ECHO Klassik auf – und das audiophile Label Dabringhaus und Grimm schnitt mit.
Diese Aufnahmen gibt’s nur bei AUDIO: Ein ECHO-Konzert 2017 aus der Hamburger St.-Michaelis-Kirche
Glanz und Glamour in Hülle und Fülle: Wenn sich alljährlich die Crème de la Crème der klassischen Musik zur Preisverleihung „ECHO Klassik“versammelt, dann rollen rote Teppiche, gewittern Blitzlichter, promenieren Promis aller Provenienz. Das Zweite Deutsche Fernsehen ist vor Ort und schneidet eine Gala mit, die tatsächlich gesendet wird. Sogar mit Musik, freilich nur mit den Häppchen, die man meint, der Masse zumuten zu können. Doch erstens tragen viel mehr Künstler als die im ZDF vorgeführten einen ECHO davon, zweitens haben sie alle mehr zu bieten als nur klassische Quickies. Deshalb veranstaltete Class e.V., die Vereinigung unabhängiger Klassiklabels in Deutschland, gemeinsam mit klassik. tv, dem Internetportal für klassische Musik, das prall gefüllte Abendkonzert „Klassik:XL“. In der berühmten Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, weltberühmt als „Michel“. Bereits zum fünften Mal konzertierten am Vorabend des großen Spektakels Preisträger, und das Publikum hat gemerkt, das da etwas passiert. Folglich hat sich das Ereignis inzwischen vom echten Geheimtipp zum hochrangigen Konzertereignis gemausert. Dass hier die Musik im Mittelpunkt steht, macht schon der Programmzettel deutlich: Mehr als anderthalb Stunden pure Musik stehen drauf, statt Häppchenkost gab es zumeist komplette Werke zu hören, meisterhaft dargeboten von Künstlern, die auf ihre Gage zu Gunsten der sozialen Arbeit der Kirchengemeinde verzichteten. Die Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, den AUDIO- Lesern als audiophiles Label bestens bekannt, schnitt das Ereignis aufwendig mit. AUDIO konnte von MDG einen minimal gekürzten, in der Abfolge leicht modifizierten CD- Umschnitt ergattern. So kommen die Leser in den Genuss eines wahren Gala- Konzerts – auf CD exklusiv nur bei uns.
1. DIETRICH BUXTEHUDE PRAELUDIUM D-DUR, BUXWV 139 | Harald Vogel, Orgel
Harald Vogel ist der Nestor des historischen Orgelspiels. Die norddeutsche Orgeltradition steht im Mittelpunkt seines Interesses. Dafür steht wie kaum ein anderer Dietrich Buxtehude (1637–1707), der viele Jahre an der Lübecker Marienkirche wirkte. Johann Sebastian Bach machte sich zu Fuß auf nach Lübeck, um den bereits hochbetagten Buxtehude zu hören und wohl auch bei ihm Unterricht zu nehmen. Für Klassik:XL wählte Vogel das Präludium D- Dur, Buxtehude Werkverzeichnis 139, eine damals beliebte Battaglia- Komposition. In dieser kommt weniger die Schlacht an sich zum Ausdruck als vielmehr der Dank für den Frieden und Gedenken an die Opfer. Vor allem der zweite Teil mit seinen signalartigen Trompetenfanfaren lässt noch Assoziationen an Kampfgetümmel aufkommen, während ein ergreifendes Lamento kurz vor Schluss an die Gefallenen und Verwundeten erinnert, bevor das Werk in glanzvollem D- Dur endet. Wie „barock“die große Steinmeyer- Orgel – die größte der vier im Michel – unter kundiger Registrierung doch klingen kann!
2. BÉLA BARTÓK FÜNF STÜCKE FÜR ZWEI SAXOFONE | Eva van Grinsven, Lars Niederstrasser, Saxofon
In der Nähe der vierten Michel- Orgel, die Carl- Philipp- Emanuel- Bach- Orgel, bliesen Eva van Grinsven und ihr Partner Lars Niederstrasser Arrangements für ihre Baryton-Saxofone von Werken des Ungarn Béla Bartók (1881–1945). Für Klassik:XL wählten die beiden zunächst eine Reihe nach den Duos für zwei Violinen und kleinen Klavierstücken. Es war ein fantastisches Erlebnis, wie diese beiden Instrumente mit ihrer volltönenden dynamischen Bandbreite und feinsten Vibratowirkungen die Kirche bis in den letzten Winkel sonor zu füllen vermochten: Besonders im berühmten „Mückentanz“erhielten „Stiche“der Plagegeister annähernd naturidentische Intensität.
3. – 5. MARIE JAËLL APPEL, PETIT MORCEAU 6, POURSUITE Cora Irsen, Klavier
Marie Jaëll war zu Lebzeiten (1846– 1925) eine gefragte Pianistin, Camille Saint-Saëns widmete ihr sein erstes Klavierkonzert, und mit Franz Liszt, Johannes Brahms und Anton Rubinstein stand sie in regem Austausch. Auch als Pädagogin leistete sie Pionierarbeit. Cora Irsen hat Marie Jaëll als Komponistin wiederentdeckt. Und folgerichtig wurde die Gesamtaufnahme ihrer Klaviermusik auf vier CDs beim deutschen Label Querstand in diesem Jahr mit dem ECHO für die herausragende editorische Leistung ausgezeichnet. Parallel dazu hat Cora Irsen auch eine Monografie über Leben und Werk Marie Jaëlls vorgelegt. Bei „Klassik:XL“brachte sie eine Auswahl aus Jaëlls umfangreichem Schaffen aufs Podium. Anfängliche Bedenken wegen akustischer Unzulänglichkeiten – schließlich ist das Klavier nicht unbedingt das nächstliegende Instrument für die große Kirche – zerstreute Cora Irsen schon mit den ersten Anschlägen. Technisch brillant und so fein und nuanciert gelang ihr die Präsentation der gehaltvollen Miniaturen, dass man sich trotz des großen Raumes in die intime Atmosphäre des Pariser Salons versetzt wähnte. Worauf gleich die nächste Überraschung folgte, denn von belangloser Salonunterhaltung ist Jaëlls Musik weit entfernt. Einer ihrer Klavierzyklen – „18 Pièces d’après la lecture de Dante“– bezieht sich auf Dantes „Göttliche Komödie“, „ Appel“und „Poursuite“stammen aus dem ersten Teil davon Ce qu’on entend dans l’Enfer. Wie sich die ostinaten Tonwiederholungen des „Appel“ins Ohr bohren, lässt die eindringlich-visionären Klangbilder eines noch weit entfernten Maurice Ravel vorausahnen. EVA VAN GRINSVEN, LARS NIEDERSTRASSER: Die Saxofonisten spielten von der Südempore herab Bartók-Adaptionen.
6. OLE BULL LA MELANCHOLIE Dogma Chamber Orchestra, Henning Kraggerud
Klangbilder ganz anderer Art hatte Ole Bull (1810–1880) im Sinn, als er Mitte des 19. Jahrhunderts seine norwegische Heimat in Richtung USA verließ. Der äußerst begabte Geiger hatte sich beim „Teufelsgeiger“Niccolo Paganini Tricks abgeschaut. In den USA wollte er in der Mitte des 19. Jahrhunderts die norwegische Musik etablieren – der Erfolg blieb mäßig. Bulls „Melancholie“kostet Geiger und Dirigent Henning Kraggerud gemeinsam mit dem Dogma Chamber Orchestra voll aus: Das herzzerreißende Stück komponierte Bull zur Bewältigung des Todes seiner ersten Ehefrau. Das schluchzt und fleht … Kraggerud und Dogma fanden genau den richtigen Ton für diese kleine Miniatur: Ein bisschen mehr, und es wäre unerträglich schmalzig, ein bisschen weniger, und es wäre öd und leer gewesen. So aber wurde das Publikum zutiefst angerührt von einer Stimmung, die den Verlust unmittelbar nachfühlen lässt.
7. G. P. TELEMANN FANTASIE IN C | Thoms Fritzsch, Viola da Gamba
Vom höchst produktiven Georg Philipp Telemann (1681–767) gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Seine zwölf Fantasien für Viola da Gamba galten als verschollen; erst 2016 entdeckte Thomas Fritzsch ein Exemplar des seinerzeit im Eigenverlag publizierten Zyklus in einem Privatarchiv – ein trefflicher Grund für die Auszeichnung als „WeltErsteinspielung des Jahres“. Die Gambe war zu Telemanns Zeiten eigentlich schon nicht mehr en vogue; Violoncello und Violine hatten dem Lieblingsinstrument der Aristokratie den Rang abgelaufen. Doch nach dem Hören der Fantasie in c versteht man sofort, warum sich die Gambe lange so unglaublicher Beliebtheit erfreute. Die Verbindung von gesanglichem Spiel mit den harmonischen Möglichkeiten zum Beispiel einer Gitarre ist so nur auf der Viola da Gamba zu verwirklichen. Ihr leicht nasal-silbriger Klang erinnert an die menschliche Stimme – wie geschaffen für alle möglichen Formen des sehr persönlichen Ausdrucks. Thomas Fritzsch verstand es vorzüglich, sein Publikum in den Bann zu ziehen: Kein Husten und Rascheln störte den feinen Vortrag, der von tänzerischer Leichtigkeit bis zu tief empfundenem Ausdruck reichte, und der zarte Ton des Instruments füllte den weiten Raum mit zauberhaften Klängen.
8. BACH/REGER TOCCATA D-DUR BWV 912 Christoph Schoener, Orgel
| Max Reger (1873–1916) hat fünf der sieben Cembalotoccaten von Johann Sebastian Bach (1685–1750) auf die Orgel übertragen. Dabei ergänzte der Klangzauberer aus der Oberpfalz Vorschriften zur Artikulation und Dynamik, machte detaillierte Angaben zur Registrierung, und er fügte dem Notentext – passend zu den Möglichkeiten der großen romantischen Orgel – noch weitere Stimmen hinzu. Das ist schon manchem von Regers Zeitgenossen sauer aufgestoßen. Doch für „trockene Holzköpfe“und „fantasiearme Buchstabengelehrte“hatte Reger ohnehin nur Spott übrig. Für die gewaltige Orgelanlage des Michel ist Regers Neuschöpfung wie geschaffen. Die große Steinmeyer- Orgel auf der Westempore kann nach umfangreicher Restaurierung auch über eine gigantische fünfmanualige zentrale Spieleinrichtung mit der hochromantischen „Konzertorgel“aus dem Hause Marcussen von 1914 gemeinsam gespielt wer-
den. Mit frappanter Raumwirkung – ist doch die „Konzertorgel“auf der seitlichen Nordempore positioniert. Nochmals verstärkt wird dieser Effekt durch ein jüngst auf dem Dachboden errichtetes Fernwerk, dessen Klang über einen 20 Meter langen Schallkanal erst durch eine Rosette in der Decke ins Kirchenschiff gelangt. Wobei der Begriff „Fernwerk“etwas irreführend ist: Mit 17 Registern steht oben im Michel- Speicher eine voll ausgebaute Orgel, größer als manches Hauptinstrument in kleineren Kirchen. Durch die indirekte Übertragung der Orgeltöne über den Schallkanal entsteht der Eindruck eines weit oben entfernten Klanges, den der MichelHausherr Christoph Schoener überzeugend einzusetzen weiß.
9. HENNING KRAGGERUD EQUINOX 17 | Henning Kraggerud, Violine; Clare Hammond, Klavier
Für seine Einspielung mit Mozarts Violinkonzerten erhielt Henning Kraggerud (geboren 1973) seinen diesjährigen ECHO. Der norwegische Geiger komponiert jedoch auch selbst gerne. Für Klassik:XL präsentierte Kraggerud Ausschnitte aus seinem 24-teiligen Zyklus „Equinox“(hier ist Nr. 17 zu hören). Sein Landsmann und Erfolgsautor Jostein Gaarder lieferte ihm 24 Texte zu den 24 Zeitzonen der Erde, und Kraggerud machte daraus 24 Stücke in 24 Tonarten, so wie Bach es mit dem Wohltemperierten Klavier vorgemacht hatte. Gaarders Text verbindet Orte rund um die Welt mit Empfindungen und Seelenzuständen, die Kraggerud wiederum – ganz in barocker Tradition – bestimmten Tonarten zuordnete. Clare Hammond übernahm souverän, einfühlsam und unaufgeregt den Klavierpart, der die Begleitung mit großem Orchester ersetzte.
10. – 13. BENJAMIN BRITTEN SIMPLE SYMPHONY Dogma Chamber Orchestra
Orchesterklänge gibt es dennoch zu hören. Das 16-köpfige Streicherensemble des Dogma Chamber Orchestra spielt seit der Gründung 2004 ohne Dirigent, Leiter und spiritus rector Mikhail Gurewitsch hält vom Pult des Konzertmeisters alle Fäden in der Hand. Wie gut das funktioniert, zeigt die Darbietung der „Simple Symphony“von Benjamin Britten (1913–1976). Die stellt, anders als der Titel vermuten lässt, allerhöchste Anforderungen an die Ausführenden. In vier Sätzen verarbeitet der Brite Britten Erinnerungen an seine Kindertage. Die anspielungsreichen Satztitel folgen einem alliteratorischem Prinzip: „Boisterous Bourrée“, „Playful Pizzicato“, „Sentimental Sarabande“und „Frolicsome Finale“beziehen sich auf historische Formen, bezeichnen aber gleichzeitig bildhaft den Charakter jedes Teils. Mit dynamischer Wucht eröffnete das internationale Ensemble die Bourrée, und die enormen Kontraste aus kraftvollem Fortissimo und fast verschwindend leisem Pianissimo sollten die Darbietung auch im Weiteren prägen. Dazwischen gibt es
ein verblüffend präzises Zusammenspiel im gefürchteten Pizzicato- Satz zu bewundern, in dem tatsächlich wird kein einziger Ton gestrichen wird. Und dann die schmerzlich-süße Intensität der Sarabande … Ein Fortissimoschlag zum Schluss zwang das Publikum geradezu zu Bravo- Rufen. Nicht wundern: Die hören Sie hier aus Platzgründen nicht.
14.+15. ARTHUR LOURIÉ SPLEEN, FORMEN IN DER LUFT Thomas Günther, Klavier
Thomas Günther erhielt 2017 einen ECHO Klassik für seine vier Super Audio CDs umfassende Einspielung von Werken russischer Futuristen. Diese Gruppe von Komponisten, zu denen Arthur Lourié gehörte (1891–1966, russischer Name Naum Israilewitsch Lurja), knüpfte an das Spätwerk Aleksandr Skrjabins an. Die Überwindung alles Überkommenen, vor allem der Moral, stand ab 1909 ganz oben auf der Agenda. Das passte hervorragend ins vorrevolutionäre Russland und wurde als Begründung einer neuen Tonsprache begeistert aufgenommen. Dass die Revolution mit Stalins Gewaltherrschaft die großen Utopien abservierte, führte zu gebrochenen Künstlerpersönlichkeiten. Thomas Günther präsentierte zwei Werke von Arthur Lourié, die ihren zerstörerischen Schrecken verloren zu haben scheinen. Das damals Neue erschließt sich aus dem histori-
schen Kontext: Klangliche Statik ersetzt harmonische Entwicklung, das momentane Ereignis steht vor der thematischen Feinarbeit. Alles in allem scheint diese Tonsprache jedoch sofort verständlich zu sein – sicher auch ein Verdienst Thomas Günthers, der als ausgewiesener Experte für neue und neueste Musik auch zahlreiche Klavierstücke aus der Taufe gehoben hat.
16. MENDELSSOHN BARTHOLDY/ BEST SINFONIE NR. 5, 3. UND 4. SATZ; ARR. | Leo van Doeselaar, Orgel
Mit großer Orgelkunst ging das GalaKonzert im Hamburger Michel zu Ende. Leo van Doeselaar spielte auf den drei Orgeln des Michel den dritten und vier- ten Satz aus der „Reformatiossymphonie“von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) in der Übertragung von William Thomas Best (1826–1897). Van Doeselaar erschuf mit den 145 Registern, die ihm zur Verfügung standen, eine Sinfonie an Klangfarben, die über die Imitation eines Orchesters weit hinausgingen. Der tiefromantische Klang des Marcussen-Werks vermochte die Atmosphäre des wie eine Einleitung zum grandiosen Finale wirkenden dritten Satzes hervorragend einzufangen. Und als dann beim Einsatz des Chorals „Ein feste Burg ist unser Gott“die Melodiestimme von der Großen Orgel an die Konzertorgel und wieder zurückgegeben wurde, schien der ganze Kirchraum von Martin Luthers Statement erfüllt zu sein. Die komplexe Struktur des fugierten Finalteils machte Doeselaars Registrierung faszinierend transparent. Der Schluss der Sinfonie mit dem Choral ist im Original schon großartig; im gewaltigen Plenum der drei Orgeln und der fantastischen Akustik der St. Michaeliskirche ging das im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut. Wir hoffen, dass Ihnen unsere CD einen Eindruck dieses großartigen Konzerts verschaffen wird.