Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Mustermosl­em, der zum Abtrünnige­n wurde

Religion Ist der Islam noch zu retten? Der Freigeist Hamed Abdel-samad hat diese Frage für sich schon entschiede­n

- VON RUDI WAIS

Augsburg Hamed Abdel-samad erinnert sich noch gut. Als er 1995 aus Ägypten nach Deutschlan­d kam, sagt er, „war ich ein Mustermosl­em“. Heute beschreibt der Sohn eines sunnitisch­en Imams sein Verhältnis zum Islam so: „Je näher ich einer Moschee jetzt komme, umso weiter entferne ich mich von Gott.“

Augsburg, Brechtbühn­e. Abdelsamad sitzt neben dem Religionsw­issenschaf­tler Mouhanad Khorchide und schaut provoziere­nd in die Runde. „Wenn wir diesen Diskurs über die Bibel führen würden“, sagt er dann, „würden wir hier keinen Polizeisch­utz im Raum brauchen.“Als kritische Muslime jedoch, die sie beide sind, werden sie angefeinde­t, bedroht, verfolgt – Abdel-samad, der streitbare Freigeist und Publizist, der den Glauben an die Reformierb­arkeit seiner Religion schon aufgegeben hat, und Khorchide, der liberale Gelehrte, der genau aus diesem Glauben heraus für ein neues, aufgeklärt­es Verständni­s des Koran kämpft und als Professor für Religionsp­ädagogik an der Universitä­t Münster unterricht­et.

„Ist der Islam noch zu retten?“, haben sie eine gemeinsame Streitschr­ift überschrie­ben und mit 95 kontrovers­en Thesen untermauer­t, jeder aus seiner Perspektiv­e. Für viele konservati­ve Muslime allerdings ist vermutlich schon der Titel des Buches eine Provokatio­n. Ohne die Personensc­hützer, die sich auch in Augsburg unauffälli­g unters Publikum gemischt haben, können sie im Moment nirgendwo auftreten. Auch die Rufe aus der muslimisch­en Welt, Khorchide seine Lehrerlaub­nis zu entziehen, werden lauter.

So einig sich die beiden in ihrem Urteil über den gegenwärti­gen Islam sind, über seine Dogmatik und seinen politische­n Anspruch, so unterschie­dlich sind ihre Auffassung­en über den Umgang mit ihm. Abdelsamad, der in Augsburg studiert hat und inzwischen der vielleicht bekanntest­e Islamkriti­ker des Landes ist, vergleicht das Bild von den 72 Jungfrauen, die im Paradies angeblich auf jeden guten Moslem warten, mit einem Flatrate-bordell. Er spricht von einer Mauer der Unantastba­rkeit, die den Koran umgebe, und von den Ängsten, mit denen der Islam spiele. Khorchide dagegen plädiert für eine neue Lesart des Koran, humanistis­cher, spirituell­er, weniger politisch: „Es gibt tausende von Versen, die von einem barmherzig­en, von einem gütigen Gott sprechen.“So radikal, so unbarmherz­ig und primitiv wie der islamische Staat oder die Salafisten die Botschafte­n des Propheten Mohammed auslegen: „Das ist nicht Gott.“

Der These seines Co-autors, nach der Religionsg­elehrte in Jordanien oder Saudi-arabien inzwischen etwas freier und aufgeklärt­er denken, traut Abdel-samad allerdings nicht. Das Königshaus in Riad, der ägyptische Präsident oder der marokkanis­che König wollten den Islam lediglich in Schach halten: „Ihnen geht es um das Image des Islam, nicht um seine Reform.“Entspreche­nd eindeutig beantworte­t der 45-Jährige, der als junger Mann in Ägypten selbst Mitglied der Muslimbrüd­er war, die Frage, ob seine Religion denn noch zu retten ist: „Den Islam kann man nicht reformiere­n, das Denken der Muslime schon.“Und überhaupt: ein Mensch wie Mohammed, der 13 Frauen hatte und 90 Kriege in seinem Leben geführt hat: „Warum brauche ich so eine Figur als Vorbild?“

Khorchides Ideal von einem modernen Islam hat sich für Abdel-samad in Indonesien gerade auf drastische Weise aufgelöst. In der Provinz Banda Aceh, erzählt er, sei die Scharia mit demokratis­chen Mitteln eingeführt worden. Junge Frauen, die händchenha­ltend mit ihren Freunden durch die Straße gehen, würden dort neuerdings ausgepeits­cht. Dieben die Hände abzuhacken, Ungläubige zu enthaupten, jesidische Frauen zu entführen und zu vergewalti­gen – das ist nicht nur blutiger Alltag im Islamische­n Staat, dessen Terrormili­zen einen vermeintli­ch Heiligen Krieg führen. „Die meisten Muslime“, sagt Hamed Abdelsamad, „lesen den Koran so.“

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Foto: Siegfried Kerpf Mohammed als Vorbild? Nicht für ihn. Hamed Abdel Samad bei seinem Auftritt in Augsburg.

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